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Österreichisch und national

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In. seinem Artikel „Oesterreich und national" hat Dr. Fritz Zimmermann („Furche" Nr. 23 5, VI., 1954) ein klares Wort an jene, die es angeht gerichtet. Aus der angesprochenen Richtung ist uns bisher kein Widerhall entgegengeklungen. Dagegen liegt ein wohldurchdachter Beitrag eines Mannes vor, dessen geistiger und politischer Standort keinen Zweifel zuläßt. Er enthält weitere Gedanken, die wir unseren Lesern in folgendem zugänglich machen.

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In. seinem Artikel „Oesterreich und national" hat Dr. Fritz Zimmermann („Furche" Nr. 23 5, VI., 1954) ein klares Wort an jene, die es angeht gerichtet. Aus der angesprochenen Richtung ist uns bisher kein Widerhall entgegengeklungen. Dagegen liegt ein wohldurchdachter Beitrag eines Mannes vor, dessen geistiger und politischer Standort keinen Zweifel zuläßt. Er enthält weitere Gedanken, die wir unseren Lesern in folgendem zugänglich machen.

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Die Redaktion

Dr. Fritz Zimmermann sieht in seinem aus Ueberzeugung und mit edlem Schwung geschriebenen Beitrag"‘ den Garanten für Erhaltung und Gedeihen der österreichischen Gemeinschaft und damit für die Heimat und alle ihre einzelnen Glieder im Staatsgefühl und einem bedingungslosen Bekenntnis zu einem freien Oesterreich. Mit diesem Hinweis hat er gewiß einen wesentlichen Faktor gekennzeichnet. Er wollte vermutlich die Diskussion um Oesterreich nicht abschließen und beschränkte sich daher auf den im Titel erscheinenden Aspekt. Die Sache verdient indessen eine Fortsetzung des Gesprächs, wobei der Kreis derer, „die es angeht“, sich erweitert. Das Ganze der Betrachtung wird dann auch der Sicht „Oesterreichisch und national“ den gebührenden Platz anweisen lassen. Dazu muß man einen Schritt zurückgehen, um zu ermitteln, wie das Staatsgefühl grundgelegt werden kann — eine pädagogische Angelegenheit der Kinder- und Erwachsenenerziehung, der wir hier auch Beachtung schenken wollen —, und man muß vorausschauen, wie es vom bloßen Gefühl und Bekenntnis zum Staats willen kommt und wie dieser für die Aufgaben mobilisiert werden kann. Denn man kann sehr wohl etwas aus Ueberzeugung bekennen, ja bis zur Begeisterung fühlen, aber der weiteste und schwerste Schritt ist immer der zur Tat, zur Tat mit allenKonseq.uen.zen.

Patriotismus in Ehren, aber er bleibt hohl, Gefühlsschwärmerei, und daher in der Wurzel unecht, wenn er sieh nicht im Tun auswirkt, und das heißt allemal Opfer bringen, bedeutet vielfachen Verzicht auf Bequemlichkeit, Behaglichkeit, das Leben verschönernde Genüsse. Wie so oft ist es verhängnisvoll, daß sich an die Stelle eines Ideals, eines Ziels unvermerkt ein anderes schiebt, oder daß, was nur Mittel sein sollte,, zum Selbstzweck wird. Die vaterländische Erziehung sieht bei manchen Vertretern im „heiligen Feuer der Begeisterung“ wenn schon nicht das einzige, so doch das wesentlichste Ziel ihrer Bemühungen, die Krönung des Erfolgs, während es — abgesehen davon, daß es nur momentane Faszinierung durch eine zündende Ansprache sein kann, eine Gefühlswallung, nicht nachhaltige Gemütshaltung — doch nur eine Etappe zum echten Vaterlandsbewußtsein darstellt. Man würde den Kern der Sache besser treffen, wenn man statt Vaterlandsbewußtsein Vaterlands b e- r e i t s c h a f t sagte; denn Bewußtsein bleibt auf das innere, zu nichts verpflichtende Wissen beschränkt, während es doch gerade auf die Entschlossenheit des Willens ankommt, bereit zu sein, wenn das Vaterland gebietet.

Wir sagen „Vaterland“, denn für die innrere Stellung eines Menschen zum staatlichen Gebilde ist es von Bedeutung, zwischen Staat und Vaterland zu unterscheiden. Territorial gesehen, pflegen die beiden Begriffe einander zu decken — sie müssen es nicht, die Staatenlosen haben noch immer ihr Vaterland, an dem sie mit allen Fasern ihres Herzens hängen —aber gesinnungsmäßig ist es nicht dasselbe; grob gefaßt, sind die Beziehungen zum Staat materieller Art, die zum Vaterland ideeller. Staat ist organisierte Ordnung, der seinen Angehörigen Wohlfahrt angedeihen läßt, sie schützt, ihnen gibt — die Segnungen des Staates bleiben leider meist unbewußt ;—, der aber mit den menschlichen Gebrechen behaftet ist, im Alltag von der unangenehmen Seite her erlebt wird, in Steuerzahlen, bei Aemtern anstehen, Bürokratisieren, Schikanieren, Zuteilung nach Proporz statt nach Gebühr, Zentralisieren und ändern Eingriffen auf die Nerven gehen kann. Bedenklicher als diese Aergerlichkeiten ist: man kann sich einer klaren Linienführung des staatlichen Willens, der von Gnaden der Parteien abhängig ist, nicht versichern; was heute verboten ist, ist morgen gestattet, was heute frei ist, wird morgen unterdrückt. Sosehr das zum

„Oesterreichische Furche" 1954, Nr. 23, S. 3.

Wesen dieser Institution gehört, so wenig kann Staat an sich ein leuchtendes Ideal sein. Immerhin bildet er innerhalb dieser Grenzen ein Ordnungssystem. Nun kann man Ordnungen notwendig finden, man kann sie achten, aber man kann sie nicht lieben. Das Vaterland kann man nicht nur lieben, sondern man liebt es schlechtweg. Diese Unterscheidung ist keineswegs eine Begriffsspalterei, man muß sich des Unterschiedes besonders in der staatsbürgerlichen Erziehung bewußt sein. Sie pflegt das Ordnungssystem in Verwaltung und Gesetzgebung, in Wirtschaft, Produktion und Verkehr darzulegen, oft sogar recht anschaulich durch Besuch von kommunalen, Landes- und Bundeseinrichtungen, wie Fürsorgestellen, Gemeinderats- und Landtagssitzungen, läßt einen Einblick in die öffentlichen Agenden gewähren und die Notwendigkeit dieser Einrichtungen bejahen. Aber damit ist nur staatsbürgerliche Einsicht grundgelegt, noch nicht staatsbürgerliche G e- sinnung und noch nicht eine demokratische, und wenn schon eine solche, dann noch immer nicht eine österreichische — wie wir aus der Erfahrung an Jugendlichen und Erwachsenen wissen —; ein anderer Staat würde diese Aufgaben ja auch lösen. Für das bloße Staatsbewußtsein kann an Stelle dieses Staates ebensogut ein anderer treten, für das Vaterlandsbewußtsein tritt aber an Stelle des Vaters ein Stiefvater. Es ist ein i n t e 1- lektualistlsches Vorurteil, zu glauben, man könne durch Wissensübermitt lung, und geschähe sic auch mit den modernsten Mitteln der Anschauung und Erarbeitung, Vaterlandsbewußtsein, in unserem Fall österreichisches Vaterlandsbewußtsein, erzeugen. Dazu gehört mehr und anderes als Erkennen, ja mehr als Anerkennen, dazu gehört Erlebe n.

Was heißt erleben? Wir erleben, was als mächtiger Eindruck in die Tiefen unserer Seele greift, die große Liebe, die aufwühlende Musik von Beethovens IX. Symphonie, den schweren Schicksalsschlag des Todes der Mutter; so erlebte der junge Goethe am Straßburger Münster die Gotik, so wurde Kleist durch eine Erkenntnis, daß wir nach Kant nichts erkennen können, wie Faust bis zur Verzweiflung getrieben, so hat Paulus in Damaskus Christus erlebt. Es braucht aber nicht immer um so Großes zu gehen, auch das stille Walten in Natur und Menschenleben, wie Stifter es uns darstellt, kann zum Erleben führen. Immer aber muß ein Erkenntnis- oder ästhetischer, gesellschaftlicher, sittlicher, religiöser Wert — manchmal durch einen Unwert hindurch — empfunden und ergriffen werden. Der Erlebniskreis wurzelt in der engsten Umgebung von Familie, Haus und Hof, Gemeinde und Heimat, die primär, ganzheitlich anschaubar sind und jene Intimität der Beziehungen ermöglichen, die in unserer Muttersprache mit dem Worte „H e i m a t“ zum Ausdruck gelangt. Niclit umsonst spricht man von Verwurzelung in der Heimat. Sie ist — und dies ganz unab hängig von allem Politischen — unmittelbar erlebbar und ist Ausgangspunkt für das Erleben des Vaterlandes. Man muß sich diese Zentral Stellung der Heimat vor Augen halten, um nicht einem gegensätz- liehen Dualismus von Heimat und Staat zu verfallen oder die vaterländische Erziehung vom räumlich Weiten, Unanschaulichen und anfänglich Unpersönlichen zu beginnen. Die von einer Seite aufgestellte Erziehungsmaxime:. „Nicht weißgrüner, sondern rotweißroter Patriotismus“ ist genetisch, psychologisch und pädagogisch irrig, sondern siejj muß lauten: „Vom weißgrünen (weißroten usw.)

zum rotweißroten Patriotismus.“

Die Kenntnis von Heimat und Vaterland ist eine unabdingbare Voraussetzung für jedes Verstehen und Erleben, auch für das patriotische, wenn es nicht bloßer Hurrapatriotismus sein soll. Aber es fundiert nur das Erleben, ist noch nicht das Erleben selbst. Die Erziehung bemüht sich daher um das Verstehen des Vaterlandes, sie zeigt, daß auch das kleine Oesterreich so gut V i c etwa die Sch w e i z wir t s c h a f t- liche L e bensf ähig.ke i t besitzt und dank seiner zentralen Stellung innerhalb der umliegenden Nationalstaaten zur völkerverbindenden Mission wie bestimmt ist, wenngleich es derzeit daran mehrfach behindert ist. Es geht der Erziehung um die Wert- machung des Vaterlandes, seines Großen, Tüchtigen, Gesunden in der Vergangenheit und den gegenwärtigen Leistungen, vornehmlich im Geschichtsunterricht, in Literatur, Musik, Kunstpflege, Erdkunde.

Aber es bleibt noch eines, an dem letztlich die Erziehung zum bewußten Oesterreicher hängt, der in aller Erziehung wichtigste, unersetzbare und vpn keinem anderen Mittel aufwägbare Faktor, vom Beispiel und Vorbild. Sie haben magische Gewalt, gegen die keine logische Begründung, keine Vernunft ankommt. Hier wird der „unbewußt“ eingenommene Standpunkt gesetzt, der alle Funktionen des Denkens, der Ueberlegung, der Ratio in seinen Dienst nimmt. „Sic volo, sic iubeo“; die „voraussetzungslose“ Wissenschaft hat hier bei jedem ihrer Forscher ihre Vorausseteung, wie wir seit einer feinsinnigen Analyse Rothackers wissen. Auch die Bildung zum Oesterreicher in der doppelten Hinsicht: Erstens zum echten Tat-Oesterrei- c h e r, nicht nur zum unechten Gesinnungs- Oesterreicher, der wohl bekennt, aber ganz unverbindlich für das, was für das künftige Oesterreich verlangt wird.

Zweitens: Das Vorbild ist wirksam nur in der Anschaulichkeit einer beispielhaften und vorbildlichen Person. Meistens ist das die Person des engsten Milieus, der Familie oder des Gesinnungskreises. Was hier gesprochen und gewertet wird, das gilt. So ist auch „Oesterreich“ durchaus vom gelebten Vorbild des wirksamen Milieus abhängig. Hier stoßen wir, wie bekannt, auf die Schranken der einmal angenommenen Position, deren Niederlegung außerhalb der Reichweite der Erziehung liegt. Aber es lohnt sich, die Hindernisse und Grenzen der Erziehungsmöglichkeit zu kennen und sie nicht noch durch falsche Alternativen zu verwischen und damit ungewollt einem Andersdenkenden einen Angriffspunkt in die Hände zu spielen.

Dazu gehört auch die von „österreichisch und national“. Wie immer die Meinung des im Artikel erwähnten österreichischen Abgeordneten gewesen sein mag, darf es uns nicht hindern, der Wahrheit auch dort recht zu geben, wo sie einem nicht genehm ist. In Wirklichkeit kann sie das — wie wir noch

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