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Österreichische Kulturpolitik

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Der folgende Aufsatz wurde vor den Ereignissen geschrieben, die soeben in der neuen Besetzung der höchsten Stelle unserer Kulturverwaltung einen gewissen Niederschlag gefunden haben. Gerade deshalb ist er, der aus technischen Gründen zurückstehen mußte, geeignet, in eben diesen Tagen die Situation in Oesterreich und die Stellung Oesterreichs in der heutigen Welt zu beleuchten. Die „Furche"

In diesen Wochen gab es eine Reihe von Ereignissen, die Oesterreichs kulturelle Leistung einer breiteren Oeffentlichkeit sichtbar werden ließen. Aus London kam das Ensemble der Staatsoper heim, das in der Metropole des britischen Reiches, in der in eben diesen Tagen schicksalsschwere bedeutsame politische Verhandlungen das Augenmerk der ganzen Welt auf sich zogen, Triumphe gefeiert hatte wie nie zuvor. In Wien fand unter Anteilnahme vieler Gelehrten internationalen Formats die Hundertjahrfeier des Instituts für österreichische Geschichtsforschung statt, einer in Europa und darüber hinaus einzigartige Stätte wissenschaftlicher Forschung, die nur in der Ecole des Chartes in Paris, ihrem ursprünglichen Vorbild, eine europäische Schwester besitzt. Gleichzeitig vereinigte, ebenfalls in der Hauptstadt unseres Landes, der Internationale Kongreß für Kirchenmusik Fachleute, Schaffende und Chöre aus vielen Ländern der freien Welt. Kurz zuvor hatten große internationale Kongresse Aerzte und Psychiater in Salzburg und Innsbruck versammelt. Dazu hatten die Salzburger, Vorarlberger, Wiener und Grazer Festwochen ein ausgewähltes Publikum aus vielen Zonen in unser Land gebracht — und die große Ausstellung, die soeben in München dem Reiseverkehr und Gastwesen gewidmet war, bewies ebenso wie die gastrono-

mische Exhibition in der Schweiz, die „Hospes", daß sich Oesterreich auch in Haus, Küche und Keller sehen lassen kann, im Verein mit der Schönheit und dem Reiz seiner Landschaft.

Diese Kongresse und Veranstaltungen, denen morgen bereits neue folgen werden, finden zu einem Zeitpunkt statt, der von weltweiten Nachrichten über eine neue Aktivierung der österreichischen Außenpolitik erfüllt ist — von Finnland bis Japan beobachtet man mit hoher Aufmerksamkeit jeden Schritt dieses kleinen Landes im Schnittpunkt der Weltmächte, im Grenzraum des Ostens und des Eisernen Vorhanges. Die österreichische Regierung selbst hat einige demonstrative Gesten getan, so die erneute mahnende Bitte an das Generalsekretariat der UNO, Oesterreich doch endlich den ihm lange gebührenden Platz in der Gesellschaft der Vereinten Nationen zu geben, und Oesterreich hat durch nicht mißzuverstehende Erklärungen aus dem Munde des Bundeskanzlers immer wieder seine Bereitschaft bekundet, als freies Land an einer wirklichen Befriedung der Welt, an einer Zusammenarbeit der durch Haß und Propaganda getrennten Völker mitzuarbeiten. Voraussetzung ist freilich, daß unser Land diese Freiheit wirklich erhält.

Hier scheiden sich nun die Wege und Meinungen von Oesterreichern. Trotz lauter gegenteiliger Erklärungen ziehen es nicht wenige unserer Landsleute, auch in einflußreichen Stellungen, vor, sich einem Attentismus zu ergeben, einer zögernden, abwartenden Haltung — sie verbleiben, ohnees oft selbst zu wissen, in der zwielichtigen und fragwürdigen Aera des Provisoriums und des Improvisierens, die für die Jahre 1945 bis nahe an unsere Tage heran charakteristisch war und deren Grundtendenz eine Art Heiligsprechung in vielen Aemtern und auch in der Ueberzeu- gung angesehener Persönlichkeiten gefunden hatte: „Fortwursteln ist alles" und „Ueberleben ist alles"; was nachher komme, werde man schon sehen.

Diese oft nicht offen einbekannte Haltung des Attentismus hat seinerzeit auch Oesterreichs Wirtschaft schweren Schaden zugefügt. Taumelnd von Preis-Lohn-Abkommen zu Preis- Lohn-Abkommen, konnten sich ihre Energien nicht entfalten, bis die energische Hand des gegenwärtigen Bundeskanzlers dem Einhalt gebot. Kostbare Jahre waren aber vergangen. Die für Oesterreich offenstehenden Märkte im Nahen Osten und in Uebersee wurden von anderen, kühneren und weitsichtigeren Handelspartnern besetzt. Oesterreich hatte, wieder einmal, das Nachsehen.

Dieses Nachsehen kostet uns im Raume der Weltpolitik und des internationalen Einflusses nicht nur schweres Geld, sondern gefährdet alle Versuche, Oesterreich die Stellung eines freien Landes in Europa zu erobern. Zu erobern — denn wir besitzen sie noch nicht, und es bedarf der Kühnheit und Klarheit, der zähen Arbeit, ohne die eine friedliche Eroberung des uns zukommenden Platzes nicht möglich ist.

Hier sagen mm jene anderen Oesterreicher: Oesterreich hat in diesen Jahren seine starken kulturellen und geistigen Potenzen weithin ungenützt und unbetreut gelassen, es hat verabsäumt, sie in die Waagschale der internationalen Gewichte zu werfen. So kommt es, daß alle diese als Einzelleistungen oft bewunderungswürdigen Veranstaltungen und Manifestationen österreichischer kultureller und künstlerischer Leistung sich in einem luftleeren Raum verlieren, weil sie nicht von einer zielstrebigen, weitsehenden österreichischen Kulturpolitik auf gefangen und ausgewertet werden, die es, um es schlicht deutsch zu sagen, nicht gibt. Die Hilflosigkeit und das Desinteressement amtlicher Stellen in den letzten Jahren soll hier nur an wenigen Beispielen- beleuchtet werden — große Exempel, wie die Abwanderung von Gelehrten und Forschern, die Nichtberufung österreichischer Nobelpreisträger, die gerne nach Oesterreich zurück wollten und noch wollen, seien hier, da oftmals in der Presse besprochen, beiseite gelassen. Das berühmte Wort Wartburgs: „Der liebe Gott ist im Detail", gilt gerade hier: an vielen „kleinen" Einzelfällen im täglichen Leben konnte und kann man ersehen, woran es fehlt: am Geist, der übersieht und der begreift, was not tut und wo gehandelt werden muß.

Versuchte da also ein bekannter Salzburger Maler einer ausländischen großen Galerie einige seiner Arbeiten zu übersenden — die Uebersendung scheiterte, weil sie an Zoll- und anderen Versandschwierigkeiten erstickte. Ein weit über Europa hinaus bekannter deutscher Kunsthändler, Verleger und Kunstförderer, der nach 1945 sogar österreichischer Staatsbürger geworden war, bietet unentgeltlich seine Dienste an, um Oesterreichs Gegenwartskunst im Ausland herauszustellen; dazu erklärt er sich noch bereit, in München, an einem wichtigen Umschlagplatz des heutigen Deutschlands, an hervorragender Stelle ein Werbelokal für Oesterreichs Fremdenverkehr und Kulturwerbung einzurichten. Keine Antwort;oder Antworten, die Forderungen enthalten, die unerfüllbar sind (er hätte für eine Ausstellung junger österreichischer Künstler in den Niederlanden als Gegengabe eine Van-Gogh-Ausstellung einbringen sollen!). Drittens und viertens: Es kam in diesen letzten Jahren vor, daß die Anerbietungen etwa von UNESCO-Steilen in Paris, österreichischen Studenten Jahresstipendien für Reisen durch Europa usw. zu geben, unbeantwortet blieben, trotz persönlicher Vorsprache der Vergeber der Stipendien in Wien: Erklärung, ės sei zu schwierig, man wisse auch nicht recht wem …, der PropoFz, und so weiter. Gleichzeitig flogen (und fliegen wohl noch) österreichische Vertreter auf österreichische Staatskosten, in alle Kontinente zu UNESCO- und anderen Kongressen, ohne dort auch nur den Mund aufzutun. Die klägliche Rolle, die sie da spielen, wurde von ausländischen Beobachtern verglichen mit der Rolle des „schlafenden Gesandten" in Rom, Rintelen, in den schwierigen Jahren um 1934.

Immer wieder wurden in diesen letzten Jahren aus dem Ausland durch alte und neue Freunde Oesterreichs Projekte und konkrete Anerbieten zu einer Belebung der österreichischen Präsenz in Europa und darüber hinaus in den zuständigen Aemtern vorgetragen — und stießen hier auf Ablehnung. Oft so heftig, daß diese Persönlichkeiten sich nahezu im Chor auf den Slogan geeinigt haben: „Ja, man will in Wien einfach nicht; wir haben den Eindruck, daß man unsere Anerbieten zur Hilfe als eine unerwünschte Einmischung auffaßt; man will nicht gestört werden. Ja, wenn die da in Wien nur selbst etwas machen würden. So aber erfahren wir immer wieder nach Jahren, daß man, verwässert und unwirksam, etwas einzurichten versucht, was wir Jahre zuvor machen wollten — aus eigenen Mitteln, wo es nur einer offiziellen Patronanz bedurft hätte."

Diese Tatsachen können nun aber erst im rechten Licht gesehen werden, wenn sie mit anderen Tatsachen im Zusammenhang erfaßt werden: es gibt nämlich seit Jahren bereits in Oesterreichs Aemtern und Ministerien eine heranwachsende Schicht strebsamer Beamter und Sachbearbeiter — besonders im Unterrichtsministerium —, die durchaus willig ist, zu helfen; es fehlt diesen einzelnen nur einfach die Möglichkeit, schnell, einigermaßen großzügig und weit planend zu arbeiten. Sie sind auf Provisorien angewiesen, auf winzige Extraposten in ihrem Budget — der Bundesminister für Unterricht hat selbst mehrfach, nicht zuletzt in seinem Bemühen um eine Reorganisation unserer Bundestheater, auf die katastrophale Situation vieler österreichischer Kulturinstitute im Inland hingewiesen — wo sollen da im Ausland sehenswerte, strahlkräftige Aktivitätszentren österreichischer Kultur geschaffen werden, wenn es im Inland oft an dem Notwendigsten fehlt?

Es gibt nun einige Lichtblicke — und ihretwegen und der ernsten weltpolitischen Lage Oesterreichs in dieser Stunde wegen muß hier von diesem leidigen Thema österreichischer Kulturpolitik gesprochen werden.

Lichtblicke. Da ist einmal das Vorhandensein einer kleinen, willigen Schar arbeitsfreudiger Beamter in mittleren und gehobeneren Stellen, Menschen, die durchaus bereit sind, mitzuarbeiten, wenn es mm endlich einmal gilt, Werke zu schaffen, die auf Dauer und Dauerwirkung abgestellt sind. Zum anderen sind gegenwärtig Bemühungen im Gange, die bereits im Ansatz vorhandenen österreichischen Kulturinstitute im Ausland auszubauen und neue, sehr notwendige, an Brennpunkten des internationalen Lebens einzurichten. Die immer etwas heikle und schwierige Zusammenarbeit zwischen Außenamt und Unterrichtsministerium könnte hier wesentlich gefördert und erleichtert werden durch die Besetzung der entsprechenden Stellen im Außenamt mit Persönlichkeiten, die einen wirklichen Kontakt mit dem kulturellen Schaffen Oesterreichs heute und mit der Kultur der Welt besitzen und durch eigenes Schaffen bewiesen haben. Kulturbetreuung ist keine Routineangelegenheit wie ein Routinemanöver, das gelegentlich alte ausgediente Fahrzeuge in hohe See stechen läßt, sondern fordert Menschen, die im Leben stehen — im heutigen Ringen der Künstler und Kulturschaffenden unseres Landes vor allem. Hier, bei den Kulturinstituten, wie bei den notwendigen Neubesetzungen kann sehr viel verpatzt und vertan werden, wenn man es nicht wagt, dig rechten Männer an die richtig ersehenen Aufgaben heranzulassen.

Noch ein Lichtblick: das Budgetjahr 1955 sieht 150 Millionen Mehrausschüttung für kulturelle Zwecke vor. 28 neue Lehrkanzeln sollen errichtet werden (ein Bruchteil der notwendigen und der aufgelassenen, seit 1945 nicht mehr besetzten); neue Bänke und Einrichtungsgegenstände sollen in den oft veralteten Schulen geschaffen werden, die Denkmalpflege, die Bundessportheime und einige andere Anstalten sollen gefördert bzw. ausgebaut werden. Eine in nächster Zeit sich konstituierende „Oesterreichische Forschungsstiftung“ soll im Jahre 1955 mit sieben Millionen Schilling staatlich dotiert werden. Damit soll hier dieses Budget keineswegs ironisiert werden — oder gar die Leistung des Untefrichtsministers, dem ein hohes Verdienst an diesem erstmaligen Versuch, ein Kultu r- budget zu erstellen, zukommt —, die Aushilfsgelder und Aschenbrödelposten, die der Nationalrat (alle sind mitschuldig an der bisherigen Misere!) bisher bewilligt hatte, verdienten ja diesen Namen nicht. Hier aber geht es um mehr. Das heißt zunächst nicht um mehr Geld. Obwohl auch dieses zu fordern ist und ununterbrochen neu gefordert werden muß, soll nicht eine kurzfristig wirksame Fassade das alte Elend übertünchen, soll nicht ein neues Provisorium zur Dauerlösung erklärt werden können: Das notwendige Mehr bedeutet, daß nun endlich einmal eine wirkliche konstruktive österreichische Kulturpolitik geschaffen werden muß — sie allein wird erstmalig imstande sein, die vorhandenen Gelder richtig einzusetzen, neue anzufordem und mit parlamentarischen und außerparlamentarischen, mit öffentlichen und privaten Mitteln zu beschaffen.

Diese österreichische Kulturpolitik muß vom Bewußtsein getragen werden, daß es für ein kleines Land wie Oesterreich eine Existenzfrage ist, alle vorhandenen wirklichen Kräfte im In- und Ausland für die Unabhängigkeit unseres Landes zu mobilisieren. Für diese Unabhängigkeit, ohne die es keine echte Partnerschaft mit anderen Völkern, Nationen, Kultu r k r e i s e n gibt.

Als Vorbilder sind jene Männer und Frauen zu erkennen, die wie ein Thomas Gar- rigue Masaryk ihre Länder oft von außen her zu Nationen gebaut haben, weil sie aktivste Persönlichkeiten waren, Strahlkörper, die überall, wohin sie kamen, sei es nun nach Paris, London oder die USA, für ihre Idee zu werben verstanden, für das, was sie für ihr Vaterland hielten. Was in den letzten Jahrzehnten von solchen Persönlichkeiten sooft gegen Oesterreich geleistet wurde, das kann heute für Oesterreich geleistet werden. Das Land Hofmannsthals (den kürzlich erst der deutsche Bundespräsident Heuß in einer großen Rede als wahren Europäer feierte), das Land, das der ganzen Welt Hunderte von erstrangigen Forschern und Kapazitäten des kulturellen Schaffens zur Verfügung gestellt hat — sollte es nicht befähigt sein, endlich seine Kräfte und seine Menschen zu vereinigen und für die Selbstbehauptung unseres Landes einzusetzen? Eine wirkliche österreichische Kulturpolitik müßte also zuerst trachten, die bisher unbetreuten kulturellen Veranstaltungen wie die oben erwähnten, unaufdringlich, ohne Anmaßung, aber offen und zielbewußt in einen gesamtösterreichischen Rahmen hereinzuheben. Was erfahren die Massen in London — die in die ausverkauften Vorstellungen unserer Oper drängen — vom Ringen Oesterreichs um seine Selbstgestaltung, vom Einsatz Oesterreichs für die freie Welt, vom Schaffen Oesterreichs in Vergangenheit und Gegenwart? Eine einzige ungünstige Leserzuschrift, die sich in einem englischen Blatt gegen Oesterreich wendet und etwa Vorkommnisse aus der Zeit um und nach dem ersten Weltkrieg anschneidet, kann mehr Schaden, politischen Schaden, anrichten als ein Dutzend Manifestationen österreichischer Musik und Kultur, eben weil jene letzteren nur mit vagen Begriffen von „Wien" und „Wein" verbunden werden. Die notwendige Assoziation aller österreichischen und in Oesterreich stattfindenden Kongresse und kulturellen Veranstaltungen mit dem Gesamtkomplex Oesterreich findet einfach nicht statt im Bewußtsein und in der Meinungs- und Willensbildung jener Massen in London und Amerika (die dort in den nächsten Monaten die Wanderausstellung des Wiener Bildhauers Fritz Wotruba besuchen werden), und sie findet nicht statt im Bewußtsein der Gelehrten und der Persönlichkeiten, die soeben Wien besucht haben im Zeichen der obenerwähnten Kongresse. Man frage nur diese internationalen Geschichtsforscher, was sie; vom heutigen Oesterreich wissen und halten — und wird erstaunt und bestürzt sein!

Koordination und Betreuung der täglich stattfindenden kulturellen Kongresse und Veranstaltungen durch eine Zentralstelle, die alle Teilnehmer mit den Lebensfragen unseres Landes in Verbindung bringt, das ist also ein erstes Erfordernis. Ein zweites: echte kulturelle Stützpunktpolitik im In- und Ausland — die Errichtung und der Ausbau von kulturellen

Zellen und Zentren, in denen Begegnung möglich ist. Begegnung der Schaffenden, der Industrie und Privatwirtschaft, der Institutionen des Fremdenverkehrs, der Theater und wissenschaftlichen Institute miteinander und mit dem Ausland.

Einige wenige solcher Zentren in den neur-

algischen Punkten Europas, an den wirklichen Knotenpunkten des internationalen Verkehrs und des kulturellen Lebens, können mehr für Oesterreichs Ansehen und internationales Gewicht wirken als hundert halb angefangene Unternehmungen und als ‘ tausend Kongresse, die unbetreut sind.

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