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Österreichs Kirchenpolitik im Vormärz

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Vormärz und Polizeistaat sind für den Österreicher sich deckende Begriffe. Der Vormärz führte kein politisches Leben, weder in der Außen- noch in der Innenpolitik konnte von einer Anteilnahme weiterer Schichten gesprochen werden. „Regieren“ war Recht und Pflicht des Herrschers und seiner Minister. Für den kirchlichen Bereich hatte Kaiser Joseph die Grenzlinien zwischen staatlichen und kirchlichen Rechten neu gezogen zum Vorteil gewiß der staatlichen Kompetenz- und Einflußsphäre. Dabei hatte ihn der Grundsatz geleitet, den Kaunitz einmal dem Nuntius Garampi gegenüber aussprach: „Wisset, daß dem Herrscher alles in der Kirche, das Dogma ausgenommen, zu bestimmen zusteht."

Leopold II. hatte einige besonders fühlbare Härten eines von solchen Ideen bestimmten Systems beseitigt. Besonders in der Erziehung des Klerus erhielt die Kirche wieder größeren Einfluß. Aber im allgemeinen blieb es beim Staatskirchentum, dem der persönlich fromme und gewissenhafte Kaiser Franz aus Anlage und Tradition zugeneigt war. Die Kriege -gegen Napoleon drängten zunächst jedes Interesse an innenpolitischen Änderungen zurück und nach ihrer Beendigung verschloß sich der Kaiser nicht nur aus persönlicher Tatenunlust jedweder Neuerung, sondern auch aus Furcht vor jedem neuen Weg, der vielleicht wieder bei einem Umsturz der mühsam gewonnenen Ordnung enden könnte.

Audi die Grenze zwischen Staat und Kirche, wie sie sein Oheim gezogen hatte, wollte er nicht verrücken lassen. 1817 hatte Consalvi ein Konkordat angeregt: ein Anlauf zum Abschluß eines solchen wurde 1819 nach der Romreise des Kaisers genommen, aber man kam über die Anforderung von Gutachten nicht hinaus, denn Franz wollte von seinen kirchlichen Rechten nichts aufgeben.

Doch wie es auf außenpolitischem Gebiet Kräfte gab, die gegen die Ordnung des Wiener Kongresses ankämpften, so auch im kirchlichen Bereich. Sie vermochten sich gegen die Kräfte de Beharrens allerdings nicht rasch durchzusetzen und so kann die kirchenpolitische Signatur im Österreich des( Vormärz charakterisiert werden als Fortbestand des Staatskirdientums, aber unter wachsenden Widerständen, die doch ein lang sames Abbröckeln erzielten und eine Neuordnung vorbereiteten.

Drei Richtungen beherrschten das Gebiet der Kirchenpolitik. Zunächst jene der strengen Josephiner, die an den staatlichen Rechten, wie sie unter Kaiser Joseph ausgesprochen worden waren, in vollem Umfang festhielten und jede Abkehr davon als für den Staat bedenklich ablehnten. Neben dem Herrscher selbst gehörten dazu die Häupter der Bürokratie, so Graf S a u r a u, Graf Stadion und der spätere Staats- und Konferenzminister Graf K o 1 o w r a t, der als Leiter der Innenpolitik größten Einfluß hatte und jede Milderung, des Josefinismus bekämpfte. Besonders muß hier auch der geistlichen Referenten bei den Gubernien und vor allem im Staatsrat gedacht werden. Diese waren unter Franz und Ferdinand wohl stets Priester von tadellosem Wandel und hoher Bildung, aber, im staatskirchlichen Geist erzogen, vor allem treue Diener ihres kaiserlichen Herrn. Sie stellten die Anträge für die Besetzung der Bischofsstühle und waren die eigentlichen Regenten der Kirche in Österreich. Scherzend wurde Martin Lorenz, der dieses Amt 1802 bis 1828 innehatte, der österreichische Papst genannt. Er war ein unbeugsamer Josephiner, der nie einen „Ultramontanen“ für den Episkopat vorschlug und bei manchen Kandidaten die „Zu große Anhänglichkeit an die Kurie" bemängelte. Dasselbe gilt in etwas gemilderter Art von seinem Nachfolger J ü s t e 1, 1829 bis 1848. Auch die Universitäten blieben Domänen des Staatskirdientums, die Beamten vertraten fast ausschließlich diese Richtung, nicht nur aus Gewohnheit, sondern auch aus Überzeugung, selbst meist dem religiösen Indifferentismus ergeben und jedem Eigenleben der Kirche widerstrebend. So werden die Schwierigkeiten klar, denen jeder Kampf gegen das Staatskirchentum begegnen mußte.

Die zweite Richtung wünschte einen totalen Abbau des Josephinismus, blieb aber doch insofern auf halbem Wege stehen, als sie wohl den Einfluß, aber nicht die Leistungen des Staates an die Kirche beseitigen wojlte, obwohl diese Momente sich doch gegenseitig bedingen. Gewiß ist an dieser Stelle der Kreis um Kl. M. H o f b a u e r zu nennen sowie die Wiener Romantiker Fr. v. Schlegel, Zach, Werner, Veith, Jarcke und andere. Eine Verinnerlichung und Stärkung des religiösen Lebens war die Folge ihrer Wirksamkeit; der rasche Erfolg auf kirchenpolitischem Feld konnte dieser geistigen Bewegung nicht be- schieden sein. Doch wurde durch sie der Boden für eine neue Ernte bereitet — es ist bezeichnend, daß Othmar v. Rauscher, der spätere Kardinal, in seiner Jugend diesem Kreis nahestand.

Eine dritte Richtung hielt eine mittlere Linie ein. Sie wollte an wichtigen Rechten des Staates in der Kirche festhalten, aber der Kirche doch größere Freiheit gewähren, mit anderen Worten den Josephinismus als System abtun. Am Hof vertrat diese Meinung des Kaisers vierte Gemahlin, Karoline Auguste, deren Einfluß sich der Kaiser in wadisendem Maße erschloß, und die geistvolle, später sehr einflußreiche Erzherzogin Sophie, die Mutter Franz Josephs. In dieser Gruppe ist aber auch Metternich zu nennen. Der große Kanzler war persönlich ein Kind der Aufklärung, in seinem geistigen Standort mehr von der Empirie und den Naturwissensdiaften als von einem philosophischen Axiom bestimmt, aber ein Mann weisen Maßhaltens. „Gegen exagerierte Prätensionen“ sowohl Roms als des Staates, „korrekt und kräftig" wollte er die Kirchenpolitik ausgerichtet wissen. Wie später bei einem Auguste Comte oder Charles Maurras, ist es vor allem die Organisation der Kirche, die auf ihn, den positivistisch gerichteten Naturalisten, Eindruck macht. Christentum und Katholizismus schätzte er wegen ihrer soziologischen Funktion als Ordnungsmacht im öffentlichen Leben. Ohne von der Romantik oder dem Hofbauer-Kreis beeinflußt zu sein, wuchs er doch allmählich auch ins christliche Denken hinein. Je mehr auflösende Kräfte an seinem Bau rüttelten, dqsto wichtiger dünjcte ihm die Stütze der Religion und Kirche. In jenen Jahren pries in Frankreich Lamennais diesen Ordnungs- und Organisationsberuf der Kirche mit dem Pathos eines Propheten, forderte aber hiezu die volle Lösung der Kirche vom Staat. Österreichs Kanzler hielt diese Mission der Kirche nur im Bund mit dem Staat für möglich. Immerhin wurde auch ihm bewußt, daß eine vom Staat unabhängige, in ihrem Innenleben freie Kirche eine bessere Bundesgenossin sei, als eine vom Staat beherrschte. So ist sein Ankämpfen gegen das Staatskirchentum, seine Kirchenpolitik, ja seine persönliche religiöse Haltung zunächst von der Staatsraison bedingt. Treffend sagt Metternichs großer Biograph H. v. S r b i k, der Kanzler sei mehr mit dem Kopf als mit dem Herzen katholisch gewesen.

In allen drei geschilderten Lagern fanden sich Mitglieder des österreichischen Episkopats. Josephiner strenger Observanz waren etwa Hurdalek von Budweis, Jakob F r i nt, der hochverdiente Gründer der Wiener höheren Priesterbildungsanstalt Frin- taneum, später Bischof von St. Pölten, sein Nachfolger Buchmeier und Erzbischof Graf F i r m i a n von Wien. Dabei soll nicht übersehen werden, daß auch diese Männer durchaus würdige Kirchenfürsten waren.

Der vermittelnden Richtung gehörte vor allem Firmians Nachfolger auf dem Stuhl von Wien an, Vinzenz Eduard

Milde, gefeiert als Verfasser pädagogischer Schriften und eifrig bedacht auf die Hebung des religiösen Lebens. Dem Kreis und den Bestrebungen Hofbauers und seiner Schüler stand er fern, doch stellte er sich auch gegen den strengen Josephinismus der früheren Zeit. Seiner versöhnlichen Gesinnung wegen war Milde ein Liebling des Kaisers Franz, Rom jedoch verweigerte ihm den Kardinalshut, wohl wegen seiner, wenn auch gemäßigten staatskirchlichen Gesinnung. Auch der Erzbischof von Salzburg, später von Prag, Kardinal Schwarzenberg, gehört in diese Gruppe.

Unentwegte Kämpfer gegen die „Polizeikirche" waren vor allem der Schwabe Roman Z ä n g e r 1 e, Fürstbischof von Seckau, dann die Bischöfe Ziegler, Linz, und Tschi-

Metternichs Ziel, die „Koordinierung“ von Staat und Kirche, konnte im Vormärz noch nicht erreicht werden.

Aber die reformerischen Kräfte, die dem josephinischen Staatskirchentum ein Ende J ereiten sollten, waren schon auf den Plan getreten. Metternich selbst hatte Sebastian Brunner, den „heißblütigen Kämpfer gegen Josephinismus und Aufklärung", mit der Abfassung politisch-historischer Schriften betraut und im österreichischen Episkopat nahm Othmar von Rauscher, der Lehrer des jungen Kaisers Franz Joseph, bald eine führende Stellung ein. An seinen Namen knüpft sich der Abschluß des Konkordats 1855, das eine ganz neue, freilich nur kurze Periode österreichisdier Kirchenpolitik einleiten sollte.

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