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Österreichs Kirchenpolitik unter Kaiser Franz Joseph

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Wie auf allen Gebieten, so ist auch in der Kirchenpolitik der modernen Staaten der Anteil des Herrschers vom tatsächlichen Verlauf zu scheiden. Man hat dem Kaiser Franz Joseph vielfach jede Initiative abgesprochen. Es ist wahr, große Gedanken, wie etwa eine Reichsreform im föderalistischem Sinne, gewannen über ihn keine Macht. Er ließ die Ereignisse an sich herankommen, trug den jeweiligen Strömungen Rechnung und liebte es nicht, gegen große Widerstände etwas zu erzwingen. Daraus ergab sich notwendig auch eine in den verschiedenen Zeitläuften verschiedene Einstellung zu den kirchenpolitischen Problemen. Es ist aber dieses Schwanken doch mehr durch die Rücksichtnahme auf die öffentliche Meinung, auf Zeittendenzen und parlamentarische Notwendigkeiten bedingt, nicht durch den Mangel einer persönlichen Einstellung. Letztere muß bei einem konstitutionellen Herrscher in den Hintergrund treten, und so kann man von der Kirchenpolitik Franz Josephs sagen, daß eigentlich nur deren erstes Jahrzehnt, 1849 bis etwa 1861, die persönliche Meinung und den Willen des Herrschers zur Geltung bringt.

Im jungen Kaiser lebte die selbstverständliche Religiosität des österreichischen Erzhauses, welches die Treue gegen die Kirche als ein Stück der Tradition hütete und bewahrte und über die religiösen Pflichten nicht diskutierte. Unbeschadet dieser grundsätzlichen Einstellung tragen freilich auch Frömmigkeit und Religiosität stets das Gepräge und die Nuance ihrer Zeit. Karl VI., Josef II., Franz I. waren ebenso überzeugt katholisch wie die Ferdinande und Leopold L, aber ihre Frömmigkeit war anders geartet, und so war auch die Religiosität Franz Josephs gleich grundsatzfest, aber gewiß weniger intensiv wie die seines Neffen Franz Ferdinand oder gar seines Großneffen Karl, des letzten Trägers der habsburgischen Krone. Es ist aber mit der persönlichen Haltung eines Herrschers in den religiösen Fragen noch nicht alles gesagt über seine kirchenpolitische Einstellung. Das zeigt das Beispiel Maria Theresias, die trotz ihrer tief persönlichen Frömmigkeit sich doch den staatskirchlichen Forderungen des Jahrhunderts weithin anschloß.

Franz Joseph war in seiner Erziehung am stärksten von seiner Mutter, der bayrischen Prinzessin Sophie, beeinflußt. Sie war im süddeutschen Romantikermilieu aufgewachsen, das ihr das Verständnis für eine freiere und reichere Entfaltung des kirchlich-religiösen Lebens in größerer Selbständigkeit dem Staate gegenüber erschlossen hatte. Im selben Sinne wirkte auch des Kaisers Lehrer Othmar von Rauscher, später Bischof von Seckau und Erzbischof von Wien, auf ihn ein, der Beziehungen zum Kreis um Hofbauer und V e i t h gepflegt hatte, und zudem war dem jungen Herrscher gewiß auch die Meinung Metternichs nicht unbekannt, der stets den Abbau der josephinischen staatskirchlichen Gesetzgebung verlangt hatte, weil eine freie Kirche über einen größeren E.influß verfüge und daher ein stärkerer Bundesgenosse des Staates sein könne als eine vom Staat abhängige Kirche. So ist sicher anzunehmen, daß die kirchlichen Wünsche auf einen Abbau des Staatskirchentums, auf eine größere Bewegungsfreiheit der Kirche in der Ordnung ihrer eigenen Angelegenheiten, auf eine Neugestaltung der kirchlichen Verhältnisse im Einklang mit den kanonischen Bestimmungen auch mit den persönlichen Absichten des Herrschers übereinstimmten.

In der Verfassungsurkunde vom 4. März 1849 war schon der Grundsatz ausgesprochen worden, daß jede anerkannte Religionsgemeinschaft ihre Angelegenheiten selbständig ordnen und . ihr Zweck- und Stiftungsvermögen selbständig verwalten sollte. Dies entsprach ebenso den Zeitforderungen wie die deklarierte Gleichberechtigung aller christlichen Konfessionen. Gegen den Willen des Innenministers Graf Stadion setzte Rauscher die Einberufung einer Bischofskonferenz durch. Der Kaiser und Ministerpräsident Schwarzenb erg waren für den Plan gewonnen worden. Minister Graf Thun, dessen Andenken mit goldenen Lettern in die Geschichte der österreichischen Wissenschaft eingetragen ist, ließ sich in kirchlichen Angelegenheiten von dieser Konferenz beraten, die unter dem geistigen Einfluß Rauschers stand, während der staajs- kirchlich gesinnte Erzbischof von Wien, V. E. Milde, bezeichnenderweise in den Hintergrund trat. Hier wurden der Staatsregierung die Wünsche der jungen Richtung im Episkopate überreicht, die volle Freiheit der Kirche in der Ordnung ihrer Angelegenheiten, zugleich einen erhöhten Einfluß auf die gemischten Institutionen, wie Schule und Ehe, und einen ausgiebigen Schutz des Staates zum Inhalt hatten. Der jupge Kaiser, der in der Kirche die beste Stütze des wiedererrichteten absoluten Systems sehen mußte, erfüllte erstere Wünsche in zwei kaiserlichen.

Entschließungen des Jahres 1850, wodurch der Verkehr mit Rom völlig freigegeben, das placet aufgehoben und die volle Disziplinargewalt der Bischöfe über den Klerus so.wie die volle innerkirchnche Kompetenz hergestellt wurde. Auch dies ging nicht ohne Widerstand ab. Gegen die Hüter josephini- scher Tradition, wie Schmerling und Bach, gewann die sieghafte Beredsamkeit Rauschers beim Kaiser die Oberhand, der Monarch gab selber’den Ausschlag, Damit war der letzte Rest des Staatskirchentums beseitigt, die Freiheit der Kirche erreicht.

Die zweite Forderung, erhöhten Einguß auf Schule und Ehe und das öffentliche Leben, sollte das Konkordat erfüllen, das am 5. November 1855 als Reichsgesetz verkündet wurde. Das niedere und mittlere Schulwesen w.ird darin auf die konfessionelle Basis gestellt. Der ganze Unterricht der katholischen Jugend soll von katholischen Grundsätzen geleitet und von der Kir.ehe beaufsichtigt sein, für Ehen von Katholiken wird ausschließlich das kirchliche Fo.rum als zuständig erklärt, der Staat verzichtet auf eine eigene Ehęgesetzgebung und verpflichtet sich schließlich, kirchlich zensurierte Bücher auch seinerseits zu verbieten. Dem Kaiser bleibt jedoch das Nominationsrecht für die Bischöfe — wovon er übrigens stets einen weisen’und den kirchlichen Interessen dienenden Gebrauch machte —, die Regierung präsentiert auch für die Pfarreien des landesfürstlichen Patronats ujd .behält ein Aufsichtsrecht über die kirchliche Vermögensgebarung. Damit wahrte sich der Staat doch den notwendigen Einfluß auf das äußere Kirchenwesen, und so konnte der greise Metternich sagen, das Konkordat sei die ! einzige Maßnahme der neoabsolutistischen Regierung, die er vollauf billigen könne.

Andererseits aber war die Kirche nun in ihrem inneren Leben tatsächlich völlig un- bfjiindert. In beiden Belangen entsprach das Konkordaj: gewiß auch den Ansichten des jqpgen Kaisers, Eine andere Frage war es freilich, ob es für die damalige Gesellschaft und speziell für die politisch interessierte Schichte tragbar war, und diese Frage muß mit nein beantwortet werden. Die Bestimmungen über Ęhe und Schple und über die Rolle der Kirche im öffentlichen Leben setzen eijje Bevölkerung voraus, die nach katholisch-kanonistischen Grundsätzen denkt, und diese Voraussetzung fehlte auch damals schon. Daher konnte die Kirche behaupten, was sie 1850 erreicht hatte, nämlich ihre innere Frej’heit. Aber was darüber hina.us das Konkordat versprach, ging wieder verloren.

Die Gegnerschaft gegen das Konkordat meldete sich in den liberalen Kreisen der Intelligenz und des Bürgertums sofort an und verstärkte sich nach der außenpolitischen Niederlage 1859, Nach dem innerpolitischen Strukturwandel des Jahres 1867, als ungefähr zehn Jahre lang eine liberale Regierung die Geschicke Österreichs leitete, kam es auch zu einem Wechsel der Kirdienpolitik. Die neuen Staatsgrundgesetze desselben Jahres überantworteten dem Staat die Leitung des gesamten öffentlichen Unterrichts. Die Kompetenz der Kirphenbehörden wird auch auf dem eigenen Gebiet eingeschränkt. Die Mai- gejetze des .folgenden Jahres sind nähere Ausführungen der obigen Staatsgrundgesetze: sie stellen die staatliche richterliche Gewalt in Ehesachen wieder her, belassen für die Katholiken zy ar die kirchliche Eheschließungsform als Regel, sehen aber doch eine Not- ziyilehe vor, erleichtern den Wechsel der Konfession und unterstellen die Schule, mit Ausnahnje /les’Religionsunterrichts, der staatlichen Leitung. Proteste der Bischöfe gpgen diese Verletzungen des Konkordats blieben unter den’ geänderten politischen Verhältnissen wirkungslos. Ihre Vor?prache beim Kaiser gab dem Monarchen Gelegenheit, sich neuerdings als treuer Söhn der Kirche zu bekennen, der aber „seiner Stellung als konstitutioneller Monarch Rechnung tragen müsse”. Damit hatte der Kaiser die Lage richtig gekennzeichnet: er hatte kein inneres Verhältnis zur liberalen Gedankenwelt und ihren Grundsätzen, er mußte sich jedoch den Forderungen der Zeit anpassen und die liberale Gesetzgebung dulden, wenn er sie auch merkbar mißbilligte. Ein Hauptanliegen des Liberalismus war die Kündigung des Konkordats. Staatskanzler Beust erfüllte diesen Wunsch 1870 und stützte sich hiebei bekanntlich auf die Verkündigung des Dogmas der päpstlichen Infallibilität, die ja in vielen Staaten kirchenpolitische Auswirkungen zeitigte.

Während die kirchlichen Kreise die Gültigkeit des Konkordats weiterhin behaupteten, ordnete der Staat in seinem Wirkung§kreis die Beziehungen zur Kirche durch die Maigesetze des Jahres 1874, speziell durch das „Gesetz über die äußeren Rechtsverhältnisse der katholischen Kirche’f. Indem der Staat diese Ordnung einseitig durchführt, kehrt er formell wieder zum josephinischen Grundsatz zurück, wonadrihm die Regelung des äußeren Kirchenwesens zusteht. Der im übrigen klassisch gehaltene und sorgfältig bearbeitete Motivenbericht zum Gesetz spricht es offen aus, daß für die staatliche Gesetzgebung auch in dieser Materie keine Kompetenzgrenze besteht. Doch habe sich der, Staat bestimmt gefunden, gemäß den Staatsgrundgesetzen der Kirche doch die Verwaltung ihrer inneren Angelegenheiten zu überlassen. Das Gesetz hält dieses Versprechen, und so war es wohl formell dem kirchlichen Denken entgegen, in seinen inhaltlichen Bestinynungen aber sind doch Härten und Schroffheiten größtenteils vermieden. Der Gebrauch kirchlicher Strafmittel wurde nicht beschränkt, das Recht der Bischöfe’bei Besetzung von Kirchenstellen bleibt voll gewahrt, die Anstalten für Erziehung und Bildung des Klerus unangetastet. Von den Katholiken wird kein Staatseid verlangt, der sie mit ihrem Gewissen in Widerspruch bringen könnte. So zeigt auch dieses vielumkämpfte Gesetz österreichische Milde und J äßigung, die besonders klar wird, węnn man die gleichzeitigen preußischen Maigesetze 1873 zum Vergleich heranzieht.

Ein Gesetz über Beiträge zum Religionsfonds und über die Anerkennung neuer Religjonsgenqssenschaften fand auch kirchlicherseits wenig Widerspruch, ein weitere „Über die äußeren Rechtsverhältnisse klösterlicher Genossenschaften” war wohl von den Volksvertretungen beschlossen, wurde aber von der Regierung niemals zur Sanktion voxgelegt. Gegen manche Bestimmungen des ersten Gesetzes legten die Bischöfe unter Rauschers Führung Protest beim Kaiser ein. Als eine Frucht dieses Protests darf man wohl die sehr versöhnliche ministerielle Durchführungsverordnung ansehen, die die Behörden anweist, jede Härte zu vermeiden und immer das Einvernehmen mit kirchlichen Stellen zu suchen. Der Papst andererseits gestattete daraufhin dem Klerus Österreichs die Mitwirkung bei der Durchführung besagter Gesetze. Die liberale Regierung Auersperg hatte noch Gesetzentwürfe über die Gründung von Pfarrgemeinden, die obligatorische Zivilehe’ und anderes in Vorbereitung. Aber auf direkten Wunsch des Herrschers kamen sie nie zur Verhandlung. Die konservative Ära Taaffe brachte für die Katholiken sogar eine kleine Verbesserung des Schulgesetzes und eine Erhöhung der staatlichen Beiträge zur Besoldung des Klerus.

Der mindernde Einfluß des Herrschers und die Mäßigung Kardinal Rauschers hatten es doch ermöglicht, den Frieden aufrechtzuerhalten, auch in dieser Periode, da die staatliche Gesetzgebung den Forderungen der herrschenden politischen Schicht nachkommen mußte. In den letzten Jahrzehnten der Regierung Fran® Josephs trat keine Änderung der kirchenpolitischen Verhältnisse ein. Ejne Ausgestaltung im Sinne einer weitergehenden Trennung von Staat und Kirche, im Sinne einer Eindämmung des kirchlichen Einflusses hätte wohl den Intentionen mancher Staatsmänner, so etwa Koerbers, entsprochen, nicht aber dem Vollen des Kaisers, der noch am Sp.ätabend seines Lebens durch seine hervorragende Teilnahme am eucharistischen Weltkongreß in Wien ein Bekenntnis seines Glaubens und seiner Überzeugung für die Bedeutung der Religion im öffentlichen Leben ablegte.

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