Staatsvertrag - © Foto: picturedesk.com / Franz Neumayr

Österreichs Neutralität: Weltanschaulich nie neutral!

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Österreichs Haltung gegenüber dem Krieg in der Ukraine steht in der Tradition der 1955 begründeten rot-weiß-roten Neutralität. Aber diese verstand sich von Beginn an ausschließlich militärisch. Weltanschaulich-ideologisch hat Österreich stets Farbe bekannt.

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Österreichs Haltung gegenüber dem Krieg in der Ukraine steht in der Tradition der 1955 begründeten rot-weiß-roten Neutralität. Aber diese verstand sich von Beginn an ausschließlich militärisch. Weltanschaulich-ideologisch hat Österreich stets Farbe bekannt.

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Der Begriff „Neutralität“ hatte Anfang des Jahres 1955 in Österreich keinen allzu guten Ruf. Zu sehr erinnerte er politisch Interessierte an jenen weltanschaulichen Neutralismus, der seit dem Ausbruch des Korea-Krieges zu einem Schlagwort der kommunistischen Propaganda geworden war.

Bundeskanzler Julius Raab hatte den Gedanken einer militärischen Neutralität Österreichs bereits im Gepäck, als die österreichische Regierungsdelegation im Zuge des weltpolitischen Tauwetters im April 1955 zu den entscheidenden Staatsvertragsverhandlungen nach Moskau reiste. Interessanterweise waren es jedoch die Sowjets, die bereits in der ersten Gesprächsrunde die Karte der Neutralität ausspielten. Raab wiederholte die bei der Berliner Außenministerkonferenz 1954 abgegebene Erklärung über den Verzicht auf die Teilnahme an Bündnissen und die Nichtzulassung militärischer Stützpunkte.

Außenminister Wjatscheslaw Molotow wandte darauf ein, es wäre sinnvoll hinzuzufügen, dass Österreich eine Politik der Neutralität machen würde. Und der zweite sowjetische Hauptverhandler, Anastas Mikojan, ergänzte, man könne dabei auf das Beispiel der Schweiz hinweisen. Schließlich habe US-Außenminister Dulles doch 1954 erklärt, die Amerikaner würden die Neutralität akzeptieren, wenn sie Österreich nicht von außen aufgezwungen würde, sondern aus freien Stücken in Form einer feierlichen Deklaration erfolge. Eine Beschlussfassung durch den österreichischen Nationalrat war für die Sowjets ausreichend, im Staatsvertrag ist daher von der Neutralität keine Rede. Und das Moskauer Memorandum, die Vereinbarung am Ende der Moskauer Verhandlungen mit den Russen, enthielt zwar die Formulierung von der Neutralität, „wie sie von der Schweiz gehandhabt wird“, sollte aber anfangs nicht veröffentlicht werden.

Neutralitäts-Skepsis des Westens

Die österreichische Neutralität war eine „Verwendungszusage“ (Gerald Stourzh), die von Österreich penibel eingelöst wurde. Unmittelbar nach der Ratifikation des Staatsvertrags beschloss der Nationalrat im Juni 1955 einen Entschließungsantrag, wonach Österreich aus freien Stücken seine Neutralität erklären werde. Das eigentliche Bundesverfassungsgesetz über die immerwährende Neutralität folgte am 26. Oktober 1955, einen Tag, nachdem der letzte Besatzungssoldat österreichisches Territorium verlassen hatte. Bundeskanzler Raab legte schon bei der Beschlussfassung den größten Wert darauf, dass die österreichische Neutralität niemals eine weltanschauliche sein könne: „Die Neutralität verpflichtet den Staat, nicht aber den einzelnen Staatsbürger.

Die geistige und politische Freiheit des einzelnen, insbesondere die Freiheit der Presse und der Meinungsäußerung, wird durch die Neutralität nicht berührt. Damit ist auch keine Verpflichtung zur ideologischen Neutralität begründet.“ Auf Seiten der Westmächte blieb trotz dieser Bekundungen ein beträchtliches Maß an Skepsis, was von der österreichischen Neutralität nun wirklich zu halten sei. Eine prowestliche Ausrichtung, verknüpft mit einer militärischen Neutralität, erschien mancherorts als fragwürdig.

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