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Offener Brief

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Hochverehrter Herr Bundespräsident!

Schon vor Ihrer Wahl wendet sich das ganze Volk in respektvoller Erwartung Ihnen zu. Daß wir Sie noch nicht kennen, erleichtert uns in gewissem Sinne die Huldigung, die der Würde Ihres Amtes und der Erhabenheit seiner Pflichten gilt. Auch wäre es kaum ziemlich, sich dem bereits gewählten Staatsoberhaupt mit einem Schreiben zu nähern. Heute dürfen wir Sie noch als Privatmann betrachten und mit Ihnen sprechen von Mensch zu Mensch.

Hochverehrter Herr Bundespräsident! Sie werden mir sicher darin beistimmen, daß an dem Ubermaß des Parteigeistes unser Staat krankt. Schon scheint die verpflichtet und diese Karten auch unverzüglich auf eigene Rechnung übernommen hatte.

Sie schreiben schließlich noch: .Der Enderfolg: nicht eine einzige Karte soll in die Hände eines Arbeiters gekommen sein, denn binnen weniger Stunden hatten die Angestellten des Gewerkschaftsbundes selbst schon alle Karten aufgekauft...“ Dies ist unwahr. In Wahrheit ergab sich folgender Enderfolg: die Karten wurden rasch und fast ausschließlich von den Arbeitern der verschiedensten Betriebe aufgekauft und die Kartenwünsche der Angestellten des Gewerkschaftsbundes konnten nur mehr in kleinstem Umfange berücksichtigt werden.

Die .Furche* bemerkt zu vorstehender Berichtigung, daß der erwähnte Artikel, der übrigens schon mehr als zwei Monate zurückliegt, keineswegs einer politischen Polemik dienen, sondern als Hinweis auf bedenkliche Erscheinungen innerhalb des sozialistischen und also auch österreichischen Kulturlebens gelten sollte. Sie rechnet es sich zur Ehre an, daß diese ihre Absicht auch in sozialistischen Kreisen wohl verstanden wurde. Wir verweisen auf die ausführliche und zustimmende Zitierung des Artikels in der Grazer sozialistischen „Neuen Zeit“ vom 26. Jänner 1951. Aber auch andere zustimmende Äußerungen aus dem Munde führender Sozialisten sind uns bekannt geworden. Schließlich sei bemerkt, daß die Informationen, auf Grund derer jene Ausführungen entstanden sind, so gut wie ausschließlich aus sozialistischen Kreisen und, zum geringen Teil, aus dem Studium der sozialistischen Parteipresse stammten. — Wir werden bei Gelegenheit auf das Thema „Sozialistische Kulturpolitik“ zurückkommen.

Disziplin bedroht, die aus dem Verwaltungsapparat einst eine geschlossene, dem Staate dienende Maschine gemacht hat. Es kommt vor, daß ein Minister dem anderen Schwierigkeiten macht, und die neueste Phase ist die, daß die einst selbstverständliche Sauberkeit nicht mehr als ein um jeden Preis von allen zu verteidigendes Gut angesehen wird. Man achtet nicht darauf, daß die Verleumdung des Gegners (welch fehlerhafte Bezeichnung für den Staatsgenossen!) dem Staate genau so schadet, wie die Schonung eines unsauberen Parteigenossen schaden würde, weil die Massen einschließlich der Staatsbediensteten nur zu gerne das Schlechte glauben und hie-durch nicht nur das Vertrauen in die Vorgesetzten, sondern auch die Schärfe der eigenen Pflichtauffassung verlieren.

Wenn aber die Regierungsmitglieder untereinander keine Disziplin mehr hielten, so würde das den Beginn der Auflösung des Staates bedeuten. Hier liegt vielleicht die ernsteste Frage unserer Innenpolitik vor, wichtiger als Woh-nungs-, Währungs- und alle Wirtschaftsfragen zusammen, denn ein kranker Organismus kann niemals gedeihen. Wenn einmal eine Parteiführung sich selbständig machte, wie eine Gruppe politisierender Generale und Mandarine im alten China, so hätte eine Art Krebs die staatliche Gesellschaft ergriffen, was den schärfsten Eingriff rechtfertigen würde.

Noch ist es nicht so weit; noch genügt es, wenn sich der Chirurg bereit hält. Aber die breiteste Öffentlichkeit sollte wissen, daß das Messer zur Hand ist.

Es liegt im Wesen unseres Parteienstaates, daß die. verfassungsmäßigen Zuständigkeiten einer überparteiischen Stelle wie die Ihre, Herr Präsident, absichtlich im Dunkel gelassen werden. Wenn man ins Volk hinaushorcht, um was es sich denn eigentlich am 6. Mai 1951 handle, so ist es angeblich eine Generalmachtprobe zwischen den Parteien. Die feineren Leute glauben, es wird ein würdiger Repräsentant des Staates gesucht. Selbst Leitartikler großer Zeitungen glauben, die Stellung des Bundespräsidenten dadurch richtig zu charakterisieren, daß er die Verfassungsmäßigkeit des Staatslebens beurkundet. Das aber scheint den wenigsten deutlich zu sein, daß Sie, Herr Präsident, berufen sind, den Bundeskanzler und die gesamte Bundesregierung zu berufen und zu entlassen nach freier Verantwortung gemäß Ihrer Einsicht in das dauernde Wohl des Staates, und daß Sie hiebei an niemanden und an nichts als an Ihr Gewissen gebunden sind. In Ihre Hand hat die Verfassung den Schlüssel zur gesamten Vollzugsgewalt gelegt.

Und noch ein Zweites wird von den Stimmen und Federn, die unser Parteileben speisen, der Öffentlichkeit verborgen oder doch nicht richtig klargelegt. Die österreichische Verfassung ist die einer parlamentarischen Demokratie, das heißt, Wenn der Nationalrat einer Regierung Ihrer Wahl durch eine ausdrückliche Entschließung sein Vertrauen entzieht, dann sind Sie verpflichtet, die Regierung zu entlassen.

Aber Ihre Regierung muß nur das parlamentarische Vertrauen besitzen, sie muß nicht parlamentarischer Herkunft sein. Der Kanzler muß in den Nationalrat wählbar, aber er muß nicht selbst gewählt sein. Sie können und sollen frei aus allen Fähigen wählen und Sie werden sich vielleicht erinnern, daß in Österreich oft Fachmänner, Beamtenminister länger das Vertrauen des Parlaments gefunden haben, als Parlamentarier, die immer an einem Fehler leiden, daß sie nämlich von vorneherein „die anderen“ gegen sich hatten. Hoffen wir, daß gerade Sie, Herr Präsident, derjenige sind, der zu Ihrer führenden Aufgabe am meisten den Mut und die Kraft besitzt.

Das Staatsoberhaupt, das jahrzehntelang in Wien regierte, hat nach dem lauten historisch-wissenschaftlichen Zeugnis Ihres verewigten Vorgängers (Renner-Springer, „Die Grundlagen der österreichisch-ungarischen Monarchie“) im gewissenhaftesten Bemühen um strenge Verfassungsmäßigkeit seine Regierung nach dem wechselnden Kräftespiel bald dieser, bald jener Partei entnommen. Aber eines wußten alle Regierungsmitglieder: daß er Sauberkeit, peinliche Erhaltung des guten Rufes und strenge Disziplin von denen forderte, deren Unterschrift er im Reichsgesetzblatt seinen Namen beisetzen sollte. Wenn Sie, Herr Bundespräsident, und zwar von allem Anfang an, zu verstehen gäben, daß Sie ebenfalls in diesen drei Punkten keinen Spaß verstehen, dann werden Sie — um ein Wort Renners zu gebrauchen — viel zu Österreichs Erneuerung beitragen. Sie würden Machtmittel genug dazu behalten, auch wenn der jüngst von Abgeordneten Dr. Pittermann in der „Zukunft“ gemachte Vorschlag auf Beseitigung des Rechts auf Auflösung des Nationalrates verwirktlicht würde.

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