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Ohne Badenweiler..

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KOBLENZ 1907. Weit schweift der Blick von der Feste Ehrenbreitstein über die Stadt und hinüber ins freundliche Moselland. Tief unten auf dem Rhein ziehen, klein wie Spielzeug, lange Schleppzüge stromauf, stromab, ihre Bahn. Ein Bild tiefsten Friedens. Oder scheint es nur so? Aus dem inneren Festungshof nähern sich Marschtritte. Abgehackte Kommandorufe. Die Posten werden abgelöst. Freilich, obzwar längst veraltet mit seinen hochaufgemauerten Bastionen, gilt Ehrenbreitstein noch immer als befestigter Platz. Und dient als Kaserne für drei Bataillone und eine Anzahl leichter und schwerer Batterien. Noch mehr Truppen liegen di üben in der Stadt. leder zehnte Bewohner trägt den Waffenrock mit de roten Aufschlägen der preußischen Infanterie oder den schwarzen der Artilleristen und Pioniere. Die jungen Offiziere, die sporenklirrend am „Deutschen Eck“ unter der Kolossalstatue Wilhelm I. promenieren, stellen ihr Selbstbewußtsein stolz zur Schau. Für sie ist es keine Frage, ihr Stand ist weitaus der erste im Staat.

Koblenz 1957. Wenig verändert ist der Blick, der sich von der alten Feste bietet. Die Stadt ist etwas größer geworden und der Verkehr auf dem Rhein um vieles lebhafter als damals vor 50 Jahren, Aber sonst? Doch, manches ist heute anders. Schon hier auf Ehrenbreitstein. Die weitläufigen Gebäude dienen zum Teil der Unterbringung Obdachloser, zum Teil als Ferienlager für junge Menschen vieler Nationen. Die Soldaten sind längst abgezogen. Die letzten waren keine Deutschen, sondern Franzosen. Zum zweitenmal in diesem halben Jahrhundert waren sie hierher gekommen als Sieger, 50 Jahre wollten sie diesmal bleiben, als Besatzungstruppe und Gewähr für Deutschlands dauernde Unterwerfung, aber nach fünf Jahren sind sie wieder abmarschiert — als Bundesgenossen der Deutschen ...

*

HEUTE IST KOBLENZ WIEDER EINE DEUTSCHE GARNISONSTADT; einer der wichtigsten Standorte der neuen deutschen Bundeswehr. Aber auf der Straße.begegnet man selten einem Soldaten, und am ..Deutschen Eck“, wo nur noch die Trümmer des Sockels an das überdimensionale Monument des ersten preußisch-deutschen Kaisers erinnern, würde man umsonst auf flanierende Leutnants warten. Vorbei sind die Zeiten, wo die „Nachmittagsbeschäftigung“ der Mannschaft, wie das in der königlich preußischen Armee üblich war, den Unteroffizieren überlassen blieb. Die Offiziere der Bundeswehr sind voll ausgelastet; vielfach auch, infolge ihrer noch ungenügenden Zahl, überlastet. Wir trafen einige von ihnen eines Abends nach dem Essen bei einer „zivilen“ Familie. Unser Gespräch dreht sich bald um die Stimmung in der Bundeswehr und überhaupt im deutschen Volk gegenüber den westlichen Alliierten. Bestehen da nicht doch noch sehr starke Ressentiments, gegen Frankreich, nament-

lich, Haßgefühle, die nur der ständige sowjetische Druck an der Entwicklung hindert? Wie, wenn die sowjetische Bedrohung einmal in Wegfall käme, würde da der überspitzte deutsche Nationalismus nicht wieder üppig ins Kraut schießen?

Einer der Offiziere antwortet. Er spricht in präzisen, knappen, man könnte sagen druckreifen Sätzen; wie ein erfahrener Richter, der sein Urteil fällt und begründet. „Vielleicht haben Sie oben auf der Festung die große Aufschrift .Salle a manger' gesehen, die von den Franzosen vor zwölf Jahren am damaligen Messetrakt angebracht wurde. Die Franzosen sind schon lange fort, aber diese Aufschrift und viele andere aus der Zeit sind geblieben, und niemand hält sich darüber auf. Ebenso ist es drüben in der damals für französische Offiziersfamilien erbauten Militärsiedlung Pfaffendorf. Jetzt sind dort der Stab und die Frequentanten unserer Schule für Innere Führung untergebracht, aber die einzelnen Objekte tragen weiter die Namen französischer Städte oder Militärs. Das ist symptomatisch für die gegenwärtige Situation, die grundverschieden ist von

der Lage nach dem ersten Weltkrieg. Damals galt es geradezu als Verrat, den Sieger nicht weiterhin mit unauslöschlicher Feindschaft zu betrachten und den Gedanken einer Revanche für den .Diktatfrieden' nicht zu propagieren. Natürlich gibt es auch bei uns — wo gäbe es sie nicht? — Ewiggestrige, die ihre Ressentiments bebrüten. Die große Masse, und insbesondere die lugend, hat für solche und

ähnliche Schlagworte nicht mehr das geringste Verständnis. Die deutschnationale Hybris ist tot; das dürfen wir dem Nationalsozialismus als Verdienst anrechnen. Und das Gefühl der Zusammengehörigkeit und der Freundschaft mit den Völkern, die jetzt unsere Verbündeten sind, ist allgemein und echt. Natürlich ist nicht zu

leugnen, daß der russische Druck diese Entwicklung erheblich gefördert und beschleunigt hat. Aber ich glaube daß da noch andere und dauernde Elemente in Rechnung zu stellen sind; vor allem unsere sich immer mehr verbreiternden persönlichen Kontakte mit den übrigen Ländern des Westens.“

„Sie haben die Schule für Innere Führung in Pfaffendorf erwähnt. Wie wären Zweck und Ziel der dortigen Ausbildung zu definieren?“

„Das ist nicht ganz einfach. Mit Pflege der ,human relations', der menschlichen Beziehungen in der Bundeswehr, ist einiges gesagt, aber lange nicht alles. Aber Sie wollen ja nach Bonn, da ist es doch am besten, Sie wenden sich direkt an Oberst Graf Baudissin, er wird Ihnen sicher gerne Auskunft geben. Innere Führung ist ja sein ureigenstes Kind.“

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ES HÄTTE NICHT DIESER ANREGUNG BEDURFT, um uns zu einem Besuch bei dem Obersten zu veranlassen, dessen Konzept zeitgemäßer soldatischer Erziehung neben vielen überzeugten Anhängern auch manche scharfe KritjJ/er auf den Plan gerufen hat. Er empfängt uns militärisch pünktlich zur festgesetzten Stunde und mit liebenswürdiger Bereitwilligkeit, unsere Wissensbegierde zu befriediger

„Der heutige Soldat“, meint Baudissin, „ist nicht mehr der Soldat von 1870, von 1914 oder von 1939. Er hat sich verändert, weil sich unsere gesamte Welt verändert hat. Die Menschen heute sind unpathetischer, nüchterner, sachlicher. Die sozialen Unterschiede sind weitgehend verwischt, das Verhältnis zwischen den Gruppen und den Generationen ist unbefangener, ohne unübersteigbare Distanz. Das muß auch im militärischen Bereich zum Ausdruck kommen. In früherer Zeit genügte die Bindung an die Autorität der jeweiligen Staatsordnung. Sie wurde mit der schwindenden Kraft dieser Autorität unzulänglich und zeigte sich dem Ansturm einer totalitären Ideologie nicht gewachsen. Unser Soldat heute muß die ver-

teidigungswürdigen Werte unserer Lebensordnung kennen und erlebt haben, um sie vertreten zu können; und er muß wissen, daß unser neues demokratisches Deutschland an Recht und Gesetz genau so gebunden ist wie jeder einzelne seiner Bürger. Des weiteren wollen wir den Soldaten durch frühzeitige Entwicklung seines Verantwortungsgefühls zu einer reifen, selbstsicheren Persönlichkeit erziehen, wie sie allein den Anforderungen des modernen kalten und heißen Krieges gewachsen ist. Welche Wege zu dieser geistigen Aufrüstung einzuschlagen sind, wird eben auf unserer Schule für Innere Führung gelehrt. Alle höheren Offiziere müssen dort unter Leitung ausgesuchter militärischer und ziviler Dozenten einen Kursus von jeweils zehn Wochen absolvieren. Uebrigens sind auch unsere Bundesgenossen unter den Frequentanten vertreten.“

„Ihr Programm der geistigen Aufrüstung, Graf Baudissin. setzt aber doch wohl ein sowohl intellektuell wie ethisch hohes Niveau bei der Mannschaft voraus. Erleben Sie da nicht manche Enttäuschungen, besonders auf dem Gebiet der Disziplin?“

„Mit wenigen Ausnahmen, nein. Wie Sie wissen, haben wir uns auf die Aufstellung von sieben Divisionen beschränkt, wir. rkönnen, daher bei der Auswahl der. zu aktiver Dienstleistung Einzuberufenden einen strengen Maßstab anlegen. Und wir müssen es auch, denn die Dienstzeit beträgt nur zwölf Monate, wozu noch Wehrübungen in der Gesamtdauer von neun Monaten kommen, und das ist ein absolutes Minimum.“

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„WIE STEHT ES MIT DER BEHANDLUNG POLITISCHER FRAGEN im Rahmen der Inneren Führung? Wird politischen Diskussionen grundsätzlich aus dem Weg gegangen?“

„Ganz im Gegenteil, Paragraph 33 des Soldatengesetzes fordert sogar die Darlegung solcher Fragen im staatsbürgerlichen Unterricht. Als Grundsatz dabei gilt nur, daß die Loyalität und die Gehorsamspflicht gegenüber dem Staat nicht verletzt wird und daß der Soldat sich stets dessen bewußt bleibt, daß er unbeschadet seiner persönlichen politischen Anschauungen Repräsentant des Staates ist, und nicht einer politischen Partei. So erzogen, und sachlich unterrichtet, wird der Soldat die richtige Einstellung finden auch zu einem so heißumstrittenen Problem, wie der Tat der Männer des 20. Juli, die in einem das Leben des ganzen Volkes gefährdenden Notstand aus sittlichem Verantwortungsbewußtsein heraus gehandelt haben.“

„Wird die Art, in der die Frage der Orden und Ehrenzeichen des .Dritten Reiches' in der Bundesrepublik gelöst wurde, als befriedigend empfunden?“

„Mir persönlich würde das Tragen der entsprechenden Bändchen, in den Farben der Bundesrepublik, vollauf genügen. Nun, wenn es jemanden glücklich macht, sich die Brust mit Metall zu behängen, kann er es ja tun, aber selbstverständlich nur nach Entfernung der nationalsozialistischen Symbole. Er muß sich eben zur Tatsache bekennen, daß das nationalsozialistische Regime kein legitimes Glied in der Kette der deutschen Geschichtsentwicklung gewesen ist. Es war ein verbrecherisches Regime.“

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DIE ZEIT DRÄNGT. Wir verabschieden uns mit dem aufrichtigen Wunsch, daß das große Erziehungswerk, welches Oberst Graf Baudissin mit hohem sittlichem Ernst und einem selten klaren Blick für die Erfordernisse der neuen Zeit in Angriff genommen hat, sich als ein glückhaftes Experiment erweisen möge.

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