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Ohne Mystifikation: Der private Albert Einstein

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Während auf der einen Seite Albert Einstein weltweit den Inbegriff des Genies verkörpert, dessen wissenschaftliche Theorien niemand versteht, ist über sein Privatleben und die Hintergründe seiner Forschungen sehr wenig bekannt. Die Mystifikation der Person des Physikers ist, wie es der Zeit entspricht, ein Produkt der Presse, was Einstein nicht verhindert, aber auch nicht gefördert hat. So blieb hinter Klatsch und Glorifizierung viel Interessantes am persönlichen und wissenschaftlichen Werdegang des größten Physikers seit Newton im Verborgenen. Der Quantentheoretiker Abraham Pais hatte in Princeton umfangreichen Kontakt mit Einstein und machte sich die Mühe einer minutiösen Nachforschung zahlreicher Details aus dessen Leben. Das Produkt ist beachtlich.

Zunächst berichtet Pais von einer Biographie über die erste Frau Einsteins, Mileva Maries, deren letzte deutsche Ubersetzung 1988 erschien. Aus dieser Biographie gehen einige interessante, bisher unbekannte Details über Einsteins erste Ehe hervor, zum Beispiel, daß es eine voreheliche Tochter gab, deren weiteres Schicksal bis heute unbekannt geblieben ist. Ferner gibt es Vermutungen, daß Mileva, die selbst Mathematik studiert hatte, nicht ganz ohne Einfluß auf die Entwicklung der Relativitätstheorie war (er sprach in Briefen über „unsere Arbeit"). Dieser Einfluß ist aber wahrscheinlich nicht im Sinne eines Ko-Autors zu sehen, sondern eher darin, daß beide im ständigen Gespräch über die mathematische Ausformulierung der Theorie waren.

Die Grundideen stammen wohl von Einstein selbst. Die Ehe verlief nicht besonders glücklich. Als Einstein 1914 nach Berlin übersiedelte, kam es zu einem unschönen Ende, da er in einer Abmachung verlangte, sie solle auf persönliche Beziehungen zu ihm verzichten. Einer der Gründe mag auch gewesen sein, daß seine spätere zweite Frau, seine Cousine Elsa,

bereits die Bühne betreten hatte.

Man erfährt auch einiges über Einsteins Beziehungen zu den zeitgenössischen Physikern, besonders zu Bohr und De Broglie, aber auch seine Begegnungen mit Tagore und Gandhi. Die Gespräche mit Rabindranath Tagore verliefen höflich, aber letztlich ohne gegenseitiges Verstehen beim Problem der objektiven Realität. Ein-

stein glaubte, es gebe eine vom Menschen völlig unabhängige Wirklichkeit, Tagore sprach von der Bedingtheit des „Wirklichen" von unserer Wahrnehmung. Dabei war Tagore näher beim Standpunkt der Quantentheorie und der heutigen Neurologie, Einstein beim Standpunkt Newtons. Die Begegnung mit Gandhi beschränkte sich auf einen kurzen Briefwechsel, Einstein sprach aber immer wieder mit großer Bewunderung von dem indischen Freiheitskämpfer.

Es ist eine Ironie in der Geschichte der Physik, daß gerade Einstein, der mit seiner Arbeit über den Photoeffekt (dafür bekam er 1921 den Nobelpreis) selbst wesentliche Grundlagen der Quantentheorie schuf, sich mit dieser Theorie bis zu seinem Lebens-

ende nicht anfreunden konnte. Er hielt sie nicht für falsch, aber für vorläufig, weil sie kein lückenlos deterministisches Bild der Naturvorgänge gibt, sondern diese vom Beobachter abhängig macht und nur statistisch beschreibt. Sein Ausspruch „Gott würfelt nicht" ist zum Schlagwort geworden. Heute spricht das, was wir wissen, für die Quantentheorie, aber vielleicht ist sie doch nicht das letzte Wort.

Einsteins physikalische Arbeiten in der zweiten Hälfte seines Lebens erreichten nicht mehr das hervorragende Niveau und die Originalität seiner frühen Forschung. Besonders die Versuche einer allgemeinen Feldtheorie, an der er buchstäblich bis zum Tage vor seinem Tod (am 18. April 1955) arbeitete, gelten unter den Physikern heute als wissenschaftlich belanglos. Aber selbst wenn er nichts anderes als seinen allerersten kurzen Aufsatz über die spezielle Belativitätstheorie aus dem Jahr 1905 geschrieben hätte, würde ihm ein Platz in der nicht sehr breiten ersten Reihe der größten Naturforscher, welche die Menschheit hervorgebracht hat, gebühren.

Daß er zum Mythos gemacht wurde, war, wie gesagt, ein Werk der Presse. Er selbst sah sich nicht in dieser Weise. Nach einer hymnischen Ansprache sagte er: „Ich danke für die unvergeßlichen Worte, die Sie an meinen mythischen Namensbruder gerichtet haben, der mir das Leben so seltsam schwer macht". Das Buch von Abraham Pais bietet einen kleinen Einblick in die Tatsache, daß auch die größten Wissenschaftler nur „wirkliche Menschen" sind.

ICH VERTRAUE AUF INTUITION

Der andere Albert Einstein.

Von Abraham Pais.

Spektrum Akademischer Verlag,

Heidelberg 1995.

337 Seiten, geb., 23 Abb., öS 321-

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