6774113-1969_15_01.jpg
Digital In Arbeit

Olahs tausend Blüten

19451960198020002020

Mit den Frühlingsblumen blüht auch die Nachlese zu Österreichs wichtigstem politischem Strafprozeß der Nachkriegszeit. Franz Olahs Verurteilung in erster Instanz läßt tausend Blüten aufbrechen und aus dem Angeklagten Olah den Angeklagten ÖGB ersprießen. Plötzlich wußten alle Neunmalklugen sowieso schon immer, daß im ÖGB Mißstände herrschten (und herrschen).Mit Berechtigung muß der unabhängige Beobachter registrieren, daß Gewerkschaftsfeindlichkeit so manchen Kommentar verfassen läßt und Urinstinkte des Klassenkampfes — sozialpartnerschaftlich gemildert — spürbar werden.

19451960198020002020

Mit den Frühlingsblumen blüht auch die Nachlese zu Österreichs wichtigstem politischem Strafprozeß der Nachkriegszeit. Franz Olahs Verurteilung in erster Instanz läßt tausend Blüten aufbrechen und aus dem Angeklagten Olah den Angeklagten ÖGB ersprießen. Plötzlich wußten alle Neunmalklugen sowieso schon immer, daß im ÖGB Mißstände herrschten (und herrschen).Mit Berechtigung muß der unabhängige Beobachter registrieren, daß Gewerkschaftsfeindlichkeit so manchen Kommentar verfassen läßt und Urinstinkte des Klassenkampfes — sozialpartnerschaftlich gemildert — spürbar werden.

Werbung
Werbung
Werbung

Freilich: der ÖGB selbst mißversteht sich desto offensichtlicher. Er wehrt sich nicht allein gegen unpräzise Vorwürfe (die auch Hochschulprofessoren treffen), sondern spricht der Öffentlichkeit de facto das Recht ab, über Vorgänge in seinem Internbereich zu urteilen. Nun hat aber der ÖGB durch. Jahre seine öffentliche Aufgabe betont, hat das Recht in Anspruch genommen, an der politischen Willensbildung in vorderster Front mitzutun. Und nun will der gleiche ÖGB sich aus dem Scheinwerferlicht zurückziehen, will beiseite treten und ein kleiner, bescheidener Verein sein? Wie sagt doch der steirische Gewerkschaftsfunktionär Rupert Gmoser? . . .

„Die Handlungen eines Verbandes mit Öffentlichkeitsfunktion müßten ein Mindestmaß an Publizität besitzen, so daß sie einer öffentlichen Kritik zugänglich sind.“

Aber noch ein viel interessanteres Phänomen verbirgt sich . hinter der Argumentation des offiziellen ÖGB: Man deutet auf die eigenen Mitglieder und beschuldigt sie mangelnder Mitarbeit, wiewohl man jahrzehntelang zumindest e silentio dem Traum des „geschlossenen Betriebes“ träumte.

Denn der Verein „österreichischer Gewerkschaftsbund“ ist, was die Mitarbeit seiner Mitglieder anbelangt, in eine ebenso ernste Krise geraten wie Vereine poffitischier, religiöser, kultureller Naitur. Waren die Vereine, die sich im 19. Jahrhundert ihr Koalitionsrecht teuer erkämpften, Zusammenschlüsse mündig gewordener Bürger gegen die etablierte Feudalgesellschaft, so entarteten die Vereine schon nach der Jahrhundertwende zu Manipulationsobjekten der weltanschaulichen Lager. In der Zwischenkriegszeit gab es praktisch nur „rote“ und „schwarze“ Vereine, die von den politischen Parteien über die Richtungsgewerkschaften zu den Freizeit-, ja Hobbyvereinen reichten. Da gab und gibt es den roten und den schwarzen (zeitweilig auch den braunen) Sportverein, rote und schwarze Postlervereine, die rote und schwarze Kraftfahrerorganisation; ja selbst die Kleintierzüchter und Briefmarkensammler haben Kontrastanstrich. Aber heute haben sich aus den vielen Vereinen die Mitglieder weggestohlen. Sie taten es kaum auffällig mit Austrittserklärung, sondern leise und still durch faktische Abwesenheit. Zurück blieben die Funktionäre, die mangels allgemeiner Bestätigung durch die Mitglieder zur Manipulation neigten. Zurück blieben aber vor allem auch die Skelette der Organisation, der Rechnungsgebarung, der Kontrolle. Die Vereinsmeier dominierten: In den polltischen Parteien die „Offiziellen“, die es jahrelang in den Hinterzimmern der Wirtshäuser zu Mandatsehren bringen, die Sportfunktionäre, deren Erfüllung eine olympische Reise in einen anderen Kontinent ist, die kulturellen Vereinsmeier, die sich irgendwann im Fernsehen sehen wollen — und zutiefst von ihrer gesellschaftspolitischen Bedeutung überzeugt sind. Auch manche Funktionäre der Laiengliederungen im katholischen Raum sind längst Generäle ohne Armee, Diskussionsleiter lächerlicher Minoritäten und Administratoren kommerzieller Inaktivität. Was wir generell brauchen, Ist heute eine neue rechtliche Basis der Vereine. Parteien, Gewerkschaften, aber auch offizielle kirchliche Gliederungen müssen eben anderen Gesichtspunkten entsprechen als Wandervereine. Denn durch ihre Hände fließen heute Millionen an Steuergeldern, an Subventionen, an Spenden — und auch an Kirchenbeiträgen.

Was darüber hinaus aber notwendig ist, scheint die Strukturreform „nach Innen“. Der Mensch hat durch die Massenmedien einen neuen Konsum-Standort gefunden. Er braucht nicht mehr die Vereinsbindung, er bleibt bei seiner Familie. Man mag das Positive wie das Negative dieser Situation durchaus abwägend beurteilen. Aber Realitäten sollten Realitäten sein. Realitäten in diesem Zusammenhang sollten freilich nicht gewisse Zustände im ÖGB sein: etwa die der christlichen Fraktion und ihr Anteil an der Willensbildung in der Gewerkschaftsspitze — oder die schwächliche Reaktion dieser Fraktion auf all das, was der Olah-Prozeß an die Oberfläche spülte. Wer immer aus dem Olah-Prozeß lernen will: er muß erkennen, daß „starke Männer“ nur mit einem kläglichen Maß an Widerspruch rechnen müssen, solange sie fest ihr Vereinsamt haben.

Er muß aber auch erkennen, daß man nicht die Sache verteufeln kann, wenn die hinter ihr stehenden Personen nicht immer gute Figuren machen. Österreich verdankt dem Gewerkschaftsbund viel. Es verdankt ihm eine Sozialpartnerschaft, die den wirtschaftlichen Aufstieg nach 1945 erst möglich machte. Es verdankt etwa dem von Olah paraphierten Abkommen zwischen Arbeitgeber- und -nehmerorgani-sation eine Institutionalisierung des Sozialkonflikts, dessen Segen wir dann erkennen, wenn in anderen europäischen Ländern Volkswirtschaften dem Wohl und Wehe von unkontrollierbaren Gewerkschafts-apparatschiks ausgeliefert sind. Und Österreich verdankt diesem ÖGB, in dem die oppositionelle SPÖ nach wie vor ihren starken Halt hat, den inneren Frieden unter einer Aliein-regierung der ÖVP. Wenn wir im Jahr der weltweiten Rezession 1968 in Österreich weniger streikten als irgendwo sonst und dafür höhere Wachstumsraten unserer Wirtschaft verzeichnen konnten als fast alle Volkswirtschaften um uns — so verdanken wir das zu einem großen Teil dem ÖGB und seiner Führung mit.

Ich weiß nicht: wir brauchen den ÖGB. Dringend sogar.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung