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Opium als Aperitif

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„Vier Tote täglich als Opfer der Rauschmittelsüchtigkeit allein in New York; zehn hingerichtete Rauschgifthändler im Monat Dezember in der persischen Hauptstadt Teheran.“ Mit diesen beiden erschreckenden Zahlen leitete der Generalsekretär der Interpol, Jean Nepote, sein Referat über den illegalen Handel mit Rauschmitteln ein.

Nepote machte diese alarmierenden Ausführungen auf einem internationalen Syposium, das unter der Leitung des Schriftstellers Arthur Koestler während zwei Tagen im Gottlieb-Duttweiler-Institut für wirtschaftliche und soziale Studien in Rüschlikon, Zürich, über Rauschmittel und Süchtigkeit diskutierte. Der Direktor der Psychiatrischen Universitätsklinik Basel, Professor Dr. Paul Kielholz, analysierte die Drogenabhängigkeit. Das größte sozialmedizinische Drogenproblem in den USA sei der Heroinismus. Die Zahl der Heroinisten wird auf 40.000 bis 60.000 geschätzt, die fast ausschließlich aus den Slums stammen. Es handelt sich um entwurzelte, jugendliche Neger, Puertoricaner und Mexikaner, die zu Heroin greifen, um aus ihrem Elend, ihrer Einsamkeit und ihrer Angsi in eine Traumwelt zu flüchten. Sie werden fast alle /criminell, da sie sich infolge ihrer seelischen und körperlichen Abhängigkeit das Heroin um jeden Preis beschaffen müssen. In Europa dagegen spiele, so führte Professor Kielholz aus, der Heroinismus außer in England keine Rolle. Hingegen habe sich der Mißbrauch von Haschisch und Marihuana in den letzten Jahren unter Jugendlichen und Heranwachsenden (Vierzehn- bis Zweiundzwanzigjährigen) in vielen europäischen Städten von Norden her überraschend schnell, oft explosionsartig ausgebreitet. Es handelt sich dabei um ein typisches Gruppenphänomen. Jugendliche treffen sich zu Haschischparties, schließen sich zu Geheimbünden von Gleichgesinnten zusammen. Auslösende Motive sind Neugier, Langeweile, Angst vor Vereinsamung, Suche nach Gleichgesinnten, nach mitmenschlichem Kontakt, nach speziellem Erleben. 72 Prozent dieser Jugendlichen leben in Konfliktsituationen und in Opposition zu den Eltern, die schließlich in Opposition zur ganzen älteren Generation und sogar zur Gesellschaftsstruktur als solcher ausartet.

Leon Steinig, der Berichterstatter des „International Narco-tics Control Board“ in Genf, betonte, daß der Schwarzhandel mit legal fabrizierten Rauschmitteln nahezu aufgehört habe. Was jetzt schwarz über die Grenzen geschmuggelt werde, stamme aus schwarzen Küchen, sei deshalb allerdings teilweise noch gefährlicher, weil niemand die Dosierung kontrolliere. Diese schwarzen Produktionsstätten befänden sich, so führte Leon Steinig weiter aus, meistens in unmit-

telbarer Nähe der Rohstoffquellen, also etwa der Mohnplantagen. Um auch diese Gefahr einzudämmen, sei es notwendig, eine Agrar- und Sozialreform in den betreffenden Ländern durchzuführen, was allerdings schon klarmache, auf wie lange Zeit hinaus mit der weiteren illegalen Produktion noch zu rechnen sei.

Professor Dr. Peter Waser vom Pharmakologischen Institut der Universität Zürich ging auf die Suchtprobleme der Zukunft ein und betonte: „Am wichtigsten wird die Verhinderung schwerster sozialer Mißstände, vor allem in den Großstädten, die sinnvolle Beschäftigung und Überwachung der Jugendlichen mit einer attraktiven Zielsetzung für die Lebensgestaltung als Ersatz für die Drogensucht sein.“

Als dann ein Offizier der Schweizer Armee, der Arzt Dr. Peter Hinderung, über die Einsatzmöglichkeiten von Rauschmitteln im Krieg referierte, brach die Unruhe, die sich schon von Anfang an über den Hörsaal gelegt hatte, vollends durch. Der Psychiater Dr. Walter Vogt forderte die Freigabe des Handels mit Rauschmitteln für die Apotheken, u>obei er die Möglichkeit einräumte, daß sie nur auf ärztliches Rezept hin abgegeben werden sollten, denn „als Verteiler für Medikamente haben sich die Ärzte doch ganz gut bewährt“. Der in Teheran wohnende europäische Orientalist Dr. Rudolf Gelpke ging noch weiter. Er sieht nicht ein, weshalb man in Europa den Handel mit Alkohol völlig freigibt, während man andere Rauschmittel nicht nur kontrolliert, sondern sogar verbietet. Die Psychologin Margrlt Rhi, die mit einem ostasiatischen Diplomaten verheiratet war, führte eine selbstgemachte Erfahrung an. Die wohlhabenden Kreise Ostasiens säßen oft nach dem Essen bei einer Opiumpfeife zusammen, wie man in unseren Breitegraden einen Kaffee trinke. Dosiertes Opiumrauchen rege an und mache keineswegs süchtig.

Das aufwühlendste Votum aber gab der Jugendsekretär der Schweizerischen Caritaszentrale, Werner Fritschi, ab. Er stellte am Schluß der Tagung fest, daß zahlreiche Argumente für und zahlreiche gegen die Rauschmittel aufgezählt worden seien. Er habe aber erkennen müssen, daß die Jugend an dieser Konferenz keine Antwort erhalten habe auf die brennendsten Fragen. „Mir ist hier“, so rief er in den Saal, „bewußt geworden, wieweit die Welt der Jugendlichen von jener der Fachleute entfernt ist. Die Jugendlichen stellen Fragen, die sich die Fachleute überhaupt nicht stellen. Und wenn man dann an einem solchen Kongreß aufgeklärt Wird über die ,Vorteile' des chemischen Krieges, so sagen sich zahlreiche Jugendliche: Dann schon lieber einen richtigen euphorischen Rausch.“

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