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ORF: Trist und aufsässig

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Gerd Bacher, Generalintendant des ORF, muß auf das Jahr 1971 warten, um die Chancen seiner Wiederbestellung absehen zu können. Die Gesellschafterversammlung des ORF — die praktisch der Bundeskanzler repräsentiert — hat ihm die Entlastung aus formalen und grundsätzlichen Erwägungen verweigert. Und dagegen wird dem ORF-Geschäftsführer auch kein Rechtsmittel möglich sein.

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Gerd Bacher, Generalintendant des ORF, muß auf das Jahr 1971 warten, um die Chancen seiner Wiederbestellung absehen zu können. Die Gesellschafterversammlung des ORF — die praktisch der Bundeskanzler repräsentiert — hat ihm die Entlastung aus formalen und grundsätzlichen Erwägungen verweigert. Und dagegen wird dem ORF-Geschäftsführer auch kein Rechtsmittel möglich sein.

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Das alles ißt natürlich vordergründig. Im Hintergrund geht es darum, ob ■und wie stark SPÖ-Parteiobmann Kreisky in- und außerhalb seiner Parteii ist, einen Generalintendanten seines Zuschnittes auf den Schild zu heben.

Es scheint jedoch die Absicht Doktor Kreiskys zu sein, die Nichtent-lastunig des Generalintendanten mit der Neubestellung zeitlich zusammenfallen zu lassen, um das Spiel möglichst lange offen zu halten. Kann Dr. Kreisky auf einen angeschlagenen Bacher verweisen, wird ahm jeder Spielzug möglich. Dazu kommt, wie gerüchtewedse bekannt wird, daß Dr. Kreisky versuchen soll, die sogenannte Prüfungskommission, die ihren Prüfungsbericht noch nicht abgeschlossen hat, personell anders zusammenzustellen. Derzeit gehören der vom Rundfunkgesetz vorgesehenem Fachleutekammissdon Professor Löitelsiberger (Hochschule für Welthandel) und die Wirtschaftsprüfer Falkenberg und Dkfm. Böck an. Diese Dreierkom-missdon prüft — so sieht es das Gesetz vor — den Rundfunk (gegen Honorar) für die Gesellschafterver-sammlung auf Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit — Prüfungen, die natürlich zu jedem Fall unterschiedlich ausfallen können. Es darf erwartet werden, daß der nun Jänner oder Februar vorliegende Bericht der Prüfungskommissdon immerhin Argumente enthalten wird, die man gegen den bisherigen Generalintendanten verwenden kann.

Das allerdings löst noch nicht alle Probleme rund um die Neubestellung. Mehrere Varianten sind denkbar:

• Die SPÖ hat im Rundfunk-Aufsichtsrat, der den Genraiintendanten wählt, keine Mehrheit. Denn die Bestellung der sogenannten „Virilisten“ ■ist nicht so ausgegangen, wie sie sich •mancher SPÖ-Apparafechdk erhoffte. So ist als Vertreter der Wissenschaft in direkter Wahl der Hochschullehrer und Assistenten Dozent Früh-wirth bestellt worden, der Bezirks-parteiobmann der ÖVP — Landstraße (3. Wiener Gemeindebezirk) ist.

Trotzdem könnte ein „Pari“ herauskommen, indem gleichviel Stimmen für Bacher, gleich viele für andere Bewerber abgegeben werden: der Generalintendant müßte dann — so mag Dr. Kreisky spekulieren — den Hut nehmen. In einem solchen Fall scheint Dr. Hugo Portisch der Kandidat Kreiskys zu sein — und die ÖVP könnte wendig gegen Portisch sagen.

• Dr. Kreisky mag hoffen, daß er ■mit einer Anti-Bacher-Akfcion einen Großteil der österreichischen Zeitungen hinter sich versammelt — oder anders herum gesagt: der Verkauf des „Express“ gerade an die entscheidendsten Bacher-Gegner mag nicht ohne diesen Aspekt über die Bühne gegangen sein. • Am allerwahrscheinlichsten aber scheint doch die Absicht des Bundeskanzlers zu sein, die Position Bachers so sehr zu schwächen, daß dieser sich zu „Wahlkapitulatdonen“ — gewollt oder ungewollt — bereitfindet. Schon die bisherige Politik des SPÖ-Obmannes gegen die Aktueller-Dienst-Redaktion des Fernsehens und des Hörfunks war zum Beispiel dadurch gekennzeichnet, daß Doktor Kreisky zu modifizieren begann. Es gibt für ihn „brave“ und „böse“ Reporter, „brave“ und „böse“ ORF-Mitarbeiter. Bacher zog die Konsequenz — und zog etwa Dr. Helmut Pfitzner von Kreisky-Interviews zurück.

Das hat es in Zeiten der ö VP-Allein -regierung nicht gegeben. Und Kanzler Klaus akzeptierte von Haus aus die nicht eben angenehmen Fragen des Ex-Chefs der „Arbeiter-Zeitung“ Franz Kreuzer, der ihn vor den Nationalratswahlen 1966 noch eine „Niete“ genannt hatte. Ja — Doktor Klaus bot Kreuzer sogar das Du-Wort an.

Von solchen Intimitäten ist das Verhältais Kreisky—Bacher da meilenweit entfernt, obwohl zwischen den beiden nach Kreiskys Wahl zum SPÖ-Obmann im Herbst 1966 ein durchaus guter Kontakt bestanden hat. Ja, Dr. Kriesky (als dessen Bewunderer sich Bacher offen bezeichnet hat) verdankt seinen Populari-tätsgewinn sogar vornehmlich dem ORF, der stets ihn und fast nie den innerparteilichen Konkurrenten Pdttermann vor die Kamera ließ. Gegen Pittenmann herrschte streckenweise seit der ORF-Reform ein Boykott, dessen Aufhebung auch SPÖ-Parteiobmann Kreisky nie betrieben hat. Heute mag Generalintendant Bacher einiges bereuen, was in seinem Kontakt zur SPÖ danebengeriet. ^Einerseits besuchte er SPÖ-Partei-tage (ohne auch die der ÖVP ausziulassen) und gab den Politikern beider Parteien Ratschläge, was und wie sie es „besser machen“ könnten. Anderseits war sein Ton gegen mittlere Funktionäre beider Parteien rüde bis gehässig und sein Umgang als Unternehmer mit Gewerkschaftern und (aufsässigen) Angestellten sogar gerichtsnotorisch (bekanntlich mußte Bacher wegen Ehrenbeleidigungen vor den Richter). Sein „Trut-schen“-Järgon, ob tatsächlich so gemeint oder mißverstanden, brachte ihn in Todfeindschaft zur Gewerkschaft, deren untere Ränge kein gutes Haar an Bacher ließen. Diesen (von Bacher unterschätzten) ÖGB-Funktionären und Betriebsräten (der roten und auch schwarzen Seite) dankt Bacher auch eine permanente Hetze gegen seine Person und seine Betriebsführung.

So ist heute — wenige Wochen vor einer Neubestellung des Generalintendanten — die Stimmung im ORF triste bis aufsässig. Fast jeder sorgt sich um die eigene Haut, die Rückversicherer sind unterwegs, die Intrige wie weiland im alten Proporz-Rumdfunk blüht. Die vier ORF-Direktoren forderten mehr Gehalt (etwa soviel wie Bacher zu Beginn seiner Amtszeit hatte) und Bacher wird — so wissen Eingeweihte — bei Wiederbewerbung neue Gehaltsansprüche stellen.

Man kann sich ausmalen, wie sehr der ORF ins Kreuzfeuer kommen wird.

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