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Orthodoxie im Staatsdienst

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Nach dem leidvollen Dasein, in dem die russische Ostkirche sich nach einem Vierteljahrhundert dank der Kirchenpolitik des Kremls erheben durfte, hat sich die Kirche des Moskauer Patriarchats rasch erholt. Die sowjetische Staatsführung ist nicht auf halbem Wege stehengeblieben und hat die Orthodoxie wieder zum Staatsinstrument gemacht, das, wohlberechnet von ihrer Hand gelenkt, seinem Vorbild aus der Zarenzeit gleichkommt. Die Kirchenführer der Orthodoxie können sich aber darauf berufen, daß sie sich schon lange nicht so wohl befunden haben als in ihrer jetzigen Rolle. In der Tat — äußerlich gesehen — ist die weitaus überwiegende Mehrheit der Ostkirchen heute dem Moskauer Patriarchen Aleksij und damit der Sowjetunion zugetan. Stolz schreibt Bischof Hermogen im „Žurnal Moskovskoj Patriarchii” (1948, Heft 4, Seite 37) „Unser sind hundertfünfzig Millionen”, und er endet seinen heftigen Angriff auf den Heiligen Stuhl in einem Artikel „Papsttum und orthodoxe Kirche” mit der Weissagung, daß mit Gottes Hilfe Ex Oriente Lux, Licht aus dem Osten, die gesamte Christenheit erleuchten werde.

Mit einiger Verwunderung wird der westliche Leser erfahren, daß es so etwas wie ein Zeitschrift des Moskauer Patriarchats in einem Lande gibt, in dem keine Pressefreiheit besteht. Die Zeitschrift erscheint in großer Auflage, gedruckt vom staatlichen Trust „Poligrafkniga”. Und wer des Russischen kundig ist, wird beim Durchblättern dieser Hefte nicht aus dem Staunen herauskommen. Da erfährt er zum Beispiel, daß in Rußland, wo alle Titel abgeschafft sind und wo die Durchlauchten, die Erlauchten, die hohen und die gewöhnlichen Exzellenzen und die Hochwohlgeborenen ins Meer einer völligen Vergessenheit hinabgesunken sind, noch heute der Patriarch als „Vase Svajatejšestvo” (Eure Seligkeit) angesprochen und als „svjatejšij” („seligst”) bezeichnet wird. Metropoliten sind, wie eh und je — Unterschied muß sein —, „vysokopreosvaš- čennyij” (hochüberselig), Bischöfe „überselig” und so fort. Wir vernehmen, daß der Namenstag des Patriarchen mit glänzenden Zeremonien gefeiert wurde, und wir können uns in einem Sonderheft an der genauen Schilderung des Konzils erbauen, das im Juli zu Moskau stattfand. lö zwei demonstrativen Feiern wurde die Solidarität der weltlichen und der geistlichen Autoritäten vor Augen gebracht: bei der Überreichung eines Ordens „für Tapferkeit und Leistungen im vaterländischen Krieg” an den Exarchen durch den stellvertretenden Vorsitzenden des Obersten Sowjets der Ukraine und bei einem Tedeum in der Vladimirkathedrale, bei dem derselbe Exarch Gott anläßlich des dreißigsten Jahrestages der Sowjetherrschaft in der Ukraine dafür dankte, daß Er deren Segnungen dem gläubigen Volke beschert habe.

Ganz ähnliches hat sich in Rumänien ereignet, wo allerdings der kleine Unterschied zu beachten ist, daß sich Ministerpräsident Groza als treuen Sohn der orthodoxen Kirche ansieht und daß er, mit den meisten Ministern, an allen größeren Kirchenfeiern teilnimmt. So wurde dem kürzlich verstorbenen 82jährigen Patriarchen Nikodem ein großartiges Nationalbegräbnis bereitet, und die Wahl sowie die Einsetzung seines Nachfolgers Justinian galt als Fest, zu dem übrigens auch eine im Regierungsflugzeug herbeigereiste Delegation des Moskauer Patriarchats und der Sowjetbotschafter eintrafen. Auch die „Wiedervereinigung” der Siebenbürger Unierten mit der orthodoxen Kirche wurde als nationale Errungenschaft gepriesen und festlich begangen.

Wie soll man aber derlei schreiende Widersprüche erklären, sowohl von marxistischweltlicher, als auch von kirchlicher Seite her? Es verbindet sich da miteinander ein Komplex sehr verwickelter gefühlsmäßiger und verstandentsprungener Erwägungen. Die orthodoxen Hierarchen sind an Gemeinschaft mit dem Staat gewohnt; sie befinden sich in der Opposition gar nicht wohl. Seitdem die Sowjetbehörden die orthodoxe Kirche in Ruhe lassen, hat diese sich zur Mitarbeit fast aufgedrängt. Die meisten Bischöfe erstreben wohl, die staatliche Ordnung zu „taufen” und sie hoffen, daß ihnen dies durch ihr loyales Verhalten allmählich gelingen werde. Schließlich ist der alte Abscheu vor den „Lateinern” und gegen den „faulen Westen” gerade bei dem vom Kontakt mit dem Ausland abgeschnittenen Klerus sehr lebhaft geblieben.

Von staatlicher Seite aus dürfte als Hauptmotiv für die eingeschlagene Politik voranstehen: keine der vorhandenen lebendigen Kräfte der Sowjetvölker bei den jetzigen schweren Aufgaben unausgenützt zu lassen; weltpolitisch durch die Mitarbeit der Orthodoxie den als einen der Hauptfeinde betrachteten Katholizismus und die Kurie zu bekämpfen. Dann wohl auch statt der gescheiterten Methode gewaltsamer Unterdrückung, gegenüber der nach wie vor als Betrug oder als Illusion angesehenen Religion das klügere Mittel zu gebrauchen: sie langsam absterben zu lassen. Allerdings darf man zwei weitere Faktoren nicht unterschätzen: nach der heutigen sowjetischen Lehrmeinung bedeutet die orthodoxe Kirche einen wichtigen Bestandteil der russischen Volkskultur und der russischen Geschichte; kirchliche Architektur und Malerei, Kirchenmusik und religiöse Dichtung werden vom Ästhetischen her bewundert.

Als letztes Wort zur Lösung des Paradoxen der Ostkirchen gilt jedoch, daß überall, wo der Kommunismus zur Macht gelangt ist, der marxistische Intellekt über die Triebe, Sehnsüchte und Sentimente den Sieg davongetragen hat.

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