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Ost-Berlin ausgeklammert

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Bei dieser Entwicklung wurde dem Osten durch den ungelösten Konflikt zwischen der Bundesrepublik einerseits und den drei Westmächten anderseits über den juristischen Status West-Berlins wohl Vorschub geleistet. Die Bundesrepublik steht auf dem Standpunkt, Berlin sei ein Teil der Bundesrepublik, selbst wenn es bestimmte besatzungsrechtliche Vorbehalte gebe, welche die Auswirkungen der Mitgliedschaft West-Berlins in der Bundesrepublik beschränkten. Die drei Westmächte hingegen stehen auf dem Standpunkt, West-Berlin sei kein Teil der Bundesrepublik, der Souverän in Berlin seien vielmehr die vier Besatzungsmächte — selbst wenn praktisch die rechtliche und vor allem die wirtschaftliche Angleichung West-Berlins an die Bundesrepublik einen sehr hohen Grad erreicht habe. Diese strittige Frage hat aber die Bundesrepublik daran gehindert, verschiedene politische Funktionen von symbolischer Bedeutung von Bonn nach Berlin zu verlegen. Während Ostdeutschland, von der Sowjetunion ungehindert, Ost-Berlin zur „Hauptstadt der DDR“ ausbauen konnte, haben es die westlichen Alliierten nicht zugelassen, West-Berlin selbst auch nur teilweise mit den Funktionen einer Hauptstadt für die Bundesrepublik zu betrauen. Dadurch aber ist in Berlin das Gleichgewicht der Entwicklung zugunsten des Ostens gestört worden. So hat etwa Fritz Erler jüngst die berechtigte Frage aufgeworfen3), „ob nicht unter dem Dach des Viermächtestatus, solange in Ost-Berlin Körperschaften der Zonenbehörden tagen, auch die Bundesrepublik mit ihren Organen — vom Bundespräsidenten über den Bundestag — eben um der Symmetrie und der gesamten Aufrechterhaltung des Viermächtestatus willen in West-Berlin physisch präsent sein muß“. Ost-Berlin ist aus den Verhandlungskalkulationen des Westens bereits weitgehend verschwunden, und man weiß kaum mehr, daß die Ost-Berliner Abgeordneten trotz der sehr weit fortgeschrittenen Integrierung Ost-Berlins in Ostdeutschland noch immer über kein Stimmrecht in der ostdeutschen Volkskammer verfügen. Die gesetzlichen Vorschriften der DDR treten in Ost-Berlin erst nach einem Transformationsakt des Ost-Berliner Magistrats in Kraft. Es gibt also noch gewisse Parallelen zur Stellung West-Berlins gegenüber der Bundesrepublik, auch wenn sich ostdeutsche Stimmen verständlicherweise über die noch vorhandenen Reste der Sonderstellung Ost-Berlins innerhalb der DDR ausschweigen.

Berlin bleibt ein Zentrum der Auseinandersetzungen zwischen Ost und West. Die Erinnerung an die Berliner Luftbrücke und die erfolgreiche Brechung und Beendigung der Berliner Blockade verdecken vielleicht hie und da die Erkenntnis, daß seit jenen Tagen gerade in Berlin von den Westmächten manche schwerwiegende Unterlassungssünden begangen wurden. Und wenn es Stimmen gibt, die allzu laut nach der Anerkennung des „Unvermeidlichen“ rufen, so darf an das Wort eines großen amerikanischen Juristen, des Richters am Obersten Bundesgerichtshof, Brandeis, erinnert werden, der einmal sagte: Das Unwiderstehliche ist oft nur das, dem man nicht widerstanden hat. Es handelt sich also nicht darum, daß man eine starre Haltung, die leicht zu einem furchtbaren Anprall führen könnte, lieber sehen möchte. Aber Konzessionen ohne Gegenleistung erwecken wohl meistens nur den Appetit nach neuen Konzessionen.

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