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Osterreichische Nation und Ubernationale Idee

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In Nummer 17 der „Furche“ nahm Endre v. Ivanka Stellung in der Debatte „Gibt et eine österreichische Nation?“ Ausgehend von der Broschüre „Die Entstehung de österreichischen Volkscharakters“ von Staatssekretär a. D. Ernst Fischer und jener Doktor Alfred Missongs „Die österreichische Nation“, wandte sich Endre v. Ivanka kritisch namentlich gegen die in der letzteren Veröffentlichung vertretenen Auffassungen. Das gewichtige Thema verdient einen vorbehaltlosen Austausch der Argumente. Wir geben deshalb hier Herrn Doktor Missong das Wort. „Die Furche“

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In Nummer 17 der „Furche“ nahm Endre v. Ivanka Stellung in der Debatte „Gibt et eine österreichische Nation?“ Ausgehend von der Broschüre „Die Entstehung de österreichischen Volkscharakters“ von Staatssekretär a. D. Ernst Fischer und jener Doktor Alfred Missongs „Die österreichische Nation“, wandte sich Endre v. Ivanka kritisch namentlich gegen die in der letzteren Veröffentlichung vertretenen Auffassungen. Das gewichtige Thema verdient einen vorbehaltlosen Austausch der Argumente. Wir geben deshalb hier Herrn Doktor Missong das Wort. „Die Furche“

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Die Frage nach dem Bestehen einer österreichischen Nation, ihrer charakteristischen Merkmale und ihrer besonderen Funktion in der europäischen Völkergemeinschaft ist seit einiger Zeit zu einem öffentlichen Diskussionsthema geworden. Ei wird in der Presse erörtert und bildet den Gegenstand von Vorträgen und Debatten in verschiedenen Zirkeln und Studienrunden, wobei Politiker und Historiker sich in gleicher Weise um die Klärung der österreichisch-nationalen Problematik bemühen. Eine einheitliche Auffassung konnte freilich bisher selbst in jenen Kreisen, an deren österreichischen Patriotismus kein Zweifel möglich ist, nicht erzielt werden. So bedauerlich diese Meinungsverschiedenheiten auch sein mögen — die Tatsache, daß die Idee der österreichischen Nation die Geister ernstlich beschäftigt und zuweilen heftig erregt, beweist gleichwohl, welch große Wegstrecke die Entwicklung des österreichischen Denkens seit 1938 zurückgelegt hat. Solange die Habsburgermonarchie bestand, blieb der nationale Gedanke durch die übernationale Aufgabe, die das Donaureich zu erfüllen hatte, überdeckt, wenigstens bei dem staatstragenden deutschsprachigen Bevölkerungselement in der zisleithanischen Reichshälfte. Die gelegentlichen Ausbrüche deutschnationaler Denkungsart konnten daran im wesentlichen nichts ändern. In der Ära von 1918 bis 1934 galt unangefochten im politischen Leben unseres Staates der am klarsten in der Formel „Ein Volk in zwei Staaten“ ausgesprochene Grundsatz, demzufolge das Vorhandensein einer eigenen österreichischen Nation oder die Wünschbarkeit ihres Werdens von vornherein verneint wurde. In den darauffolgenden“ Jahren, da Österreich im Kampf gegen den großdeutschen Imperialismus Hitlers stand, kam es wohl zu einer Akzentverschiebung, aber an der Deutschheit des österreichischen Volkes wollte man doch nicht rühren lassen .Das Neue war jetzt bloß, daß der „zweite deutsche Staat“ nun seine ganze Kraft daransetzen mußte, vom „ersten deutschen Staat“ nicht verschlungen zu werden.

Wenn wir heute in dieser für uns lebensentscheidenden Frage doch erheblich anders zu denken beginnen, so ist dies das Verdienst der geschichtlichen Wandlungen, die der Hitlerismus auslöste. Diese Wandlungen haben uns nicht nur politisch, sondern auch kulturell umdenken gelehrt und vor allem haben sie uns den wesenhaften Zusammenhang zwischen politischer und geistig-kultureller Unabhängigkeit nahegebracht. Um die klare Erkenntnis dieses Zusammenhanges kreist jetzt die Auseinandersetzung. Mit Recht. Bleibt nämlich dieser Zusammenhang weiterhin unbeachtet oder wird er, wie ehedem, sogar mehr oder minder deutlich in Abrede gestellt, dann steht Österreich nach wie vor im Zwielicht, und es läßt sich schon jetzt voraussehen, daß die unheilvollen Ereignisse der jüngsten Vergangenheit sehr leicht eine Wiederholung in der Zukunft erfahren können.

Die österreichische Politik, die, wenn sie diesen Namen verdienen will, ihr Ziel und ihre Ausrichtung nur in der zuverlässigen Sicherung unserer Eigenstaatlichkeit, also gleichsam in der „Verewigung“ des österreichischen Staates finden kann, verpflichtet uns zur Revision aller jener zu Klischees und Denkschablonen gewordenen Vorstellungen, die eine stete latente Gefahr für die Unantastbarkeit unserer staatlichen Sonderexistenz von außen und von innen her bedeuten. Der einzige Nachbarstaat aber, der bisher unser politisches Eigenleben bedroht hat, ist Deutschland, und die einzige Idee, die von innen her die Grundlagen des österreichischen Staates zu unterhöhlen versuchte, ist der Deutschnationalismus oder das Großdeutschtum. Infolgedessen gilt es, an dem geschichtlichen Wendepunkt, den unser Vaterland nun erreicht hat, die großdeutsche Ideologie in allen ihren Spielarten, auch in jenen, die ihre Kraft aus der Reichsromantik ziehen, endgültig zu liquidieren.Daß sich diese Liquidation nicht durch die Aufrechterhaltung des Dualismus von österreichischer Staatsbürgerschaft und deutscher Nationalität bewerkstelligen läßt, kann schwerlich ernsthaft bestritten werden. Wir müssen also zur Verschmelzung der Begriffe „Staatsvolk“ und „Nation“ gelangen, mithin einen im Gang befindlichen geistigen Etwicklungsprozeß abschließen, den andere Völker längst hinter sich haben. Kurz gesagt: das österreichische Staatsvolk muß zur österreichischen Nation werden; denn erst dann erreicht es auch die geistig-kulturelle Mündigkeit, die es gegen großdeutsche Anfechtungen jeglicher Art zu immunisieren vermag. Diese Rede mag hart sein; manche können sie nicht hören, ohne daran Ärgernis zu nehmen. Und doch gibt es angesichts der Entscheidung, die getroffen werden muß, keinen „Fluchtweg“.

Freilich wäre es ein lächerliches Unterfangen, aus einem politischen Postulat eine kulturelle Doktrin machen zu wollen, wenn die Voraussetzungen für den Bestand der österreichischen Nation als historische und geistig-kulturelle Größe fehlten. Selbst die höchste politische Routine und Propaganda könnte die mangelnden geistigen Grundlage nicht ad hoc schaffen oder ersetzen. Was die Politik allein zu leisten vermag, ist die Sichtbar, und Bewußtmachung dieser Grundlagen. Darauf kam es mir in meiner Schrift „Die österreichische Nation“ (österreichischer Verlag, Wien 1946) an. Ich versuche darin zu zeigen, daß Nation und Sprachgemeinschaft nicht identifiziert werden dürfen; daß die historische Entwicklung Österreichs und Deutschlands nur zeitweilig und keineswegs beständig parallel verlief; daß Österreich niemals vor Hitler einem Deutschen Reich angehörte, weil das Reich, dessen Kaiserkrone Franz I. 1806 niederlegte, kein deutsches, sondern — als Fortsetzung des römischen Weltreiches — ein übernationales Imperium war; daß es eine eigene österreichische Nationalkultur (Literatur, Kunst, Musik, Wissenschaft, Lebensstil und Denkform) gibt, die nicht mit den Kategorien der Deutschheit erfaßt werden kann; daß der österreichische Nationalcharakter sich vom deutschen mindestens ebenso unterscheidet wie etwa vom englischen und daß die politische Eigenständigkeit Österreichs selbstverständlich und notwendig-auch prägende Bedeutung für die geistig-kulturelle Selbstwüchsigkeit des österreichischen Volkes hatte und hat. Nur ganz am Rande verwies ich auch auf die rassische Besonderheit des österreichischen Menschentyps, der ebenso keltisches und slawisches wie germanisches Blut in seinen Adern trägt. Wenn Endre von Ivanka in seinem Aufsatz „Gibt es eine österreichische Nation?“ („Die Furche“, dritter Jahrgang, Nummer 17 vom 3. Mai 1947) daraus folgern zu dürfen meint, daß ich in der bunten Rassenmischung des Österreichers „die eigentliche Grundlage für die Entwicklung der österreichischen Eigenart“ erblicke, so geht er sehr in die Irre. Das Rassisch-Biologische ist mir gewiß nicht wichtiger als ihm, ja ich bin gerne bereit, diesem Faktor, der nur um der landläufigen gegnerischen Argumentation willen Erwähnung fand, überhaupt jede wesentliche Bedeutung abzusprechen.

Zu entschiedenem Widerspruch aber zwingt die These Endre von Ivankas, daß es gleichsam eine Entwürdigung der Österreicher be* deute, sie als eine eigene Nation zu proklamieren, weil ihre übernationale, europäisch Denkungsart sie über den Begriff des Natio* nalen hinaushebe. Diese These verdient eine besonders kritische Durchleuchtung, weil sie gerade ob ihrer Herkunft aus altöster* reichischer Gedankenwelt eine schwer ins Gewicht fallende Tradition für sich hat und darum in den Reihen der österreichischen Patrioten weit mehr Verwirrung anzurichten vermag als die bekannten deutschnationalen Argumente. Unter Berufung auf den englischen katholischen Kulturhistoriker Christopher Dawson, der mit Recht gegen den nationalen Ghettogeist polemisiert, meint Endre von Ivanka, das Österreichertum finde eine Charakterisierung und gleichzeitig auch seine Rechtfertigung im Bereiche der übernationalen, durch die Christenheit repräsentierten Werte, denen sich der Österreicher weit stärker als jed$r andere verpflichtet fühle. Österreich habe durch die von ihm jahrhundertelang getragene übernationale Staatsidee t eben jene europäisch orientierte Gesinnung ausgebildet, die des Österreichers Wesen ausmache und die er bewahren könne, auch wenn der Staatsgedanke, dem sie ihr Dasein verdankt, auf keine Realisierung mehr rechnen dürfe.

Nur Verkennung der historisch-politischen Uberlieferung unseres Vaterlandes wird in Abrede stellen können, welch große erzieherische Bedeutung das lange Zusammenleben mit vielen anderen — zumeist slawischen — Völkern in einem gemeinsamen Staate und das Wissen um die Verantwortung für diesen Vielvölkerstaat gehabt hat. Es legte den Grund für nationale Bescheidenheit und kosmopolitische Großzügigkeit und sammelte damit ein geistig-ethisches Kapital an, das gerade unter den neuzeitlichen Bedingungen zwischenstaatlichen Zusammenlebens und- übernationaler Kooperation'“reichlich Zinsen tragen kann und wird. Keineswegs aber führte es zur Entnationalisierung des Österreichers, sondern es gab seinem nationalen Wesen nur eine besondere, freilich sehr kostbare Note. Diese Besonderheiten des Österreichers aber als Zeugen gegen das Vorhandensein einer österreichischen Nation ins Treffen zu führen, erscheint abwegig, denn Nationen sind nicht in eine Ebene mit Parteien zu stellen, denen gegenüber die Position der Un- und * Überparteilichkeit möglich ist. Gott, der die Menschheit schuf und die übernatürliche Gemeinschaft der Christenheit im Opfertode seines Sohnes grundlegte, ist auch der Schöpfer der Nationen, die als kollektive Indivt-dualitäten im Gefüge des Menschheitsorganismus begriffen werden müssen, nicht als Mißbildungen, denen zuzugehören etwas Deklassierendes ist. So wie jede Menschenpersönlichkeit die Aufgabe hat, über ihre eigene Enge und Beschränktheit hinauszuwachsen, gehört es auch zur metaphysischen Bestimmung der Nationen, die nationale „Autarkie“, die nur ein Trugbild ist, zu überwinden und sich fähig zu machen zu übernationalem, kosmopolitischem, menschheitlichem Verstehen und Zusammenwirken. Dieser Prozeß der übernationalen Erhöhung des Nationalen kann sich aber nur auf der Grundlage nationaler Bestimmtheit vollziehen, niemals auf dem Boden angeblicher Freiheit von nationalen Bedingungen. Endre von Ivanka wird daher auch auf der Linie seines Gedankenganges nicht umhin können, die Frage zu beantworten, ob die übernationale Mentalität des Österreichers aus deutsch-

Wir sind als Nation In der wahrhaft außergewöhnlichen Lage, unsere eigenenVerdienstenichtzukennen. Wir haben eine große und glänzende Rolle gespielt in der Weltgeschichte des Denkens und Fühlens; wir sind unter den Vordersten gestanden in jener ewigen und unblutigen Schlacht, in der die Schläge nicht töten, sondern Leben zeugen. In Literatur, Wissenschaft, Philosophie und politischer Beredsamkeit können wir uns, wenn die Geschichte als Ganzes genommen wird, mit jeder Nation messen. Aber all dieses ungeheure Erbe geistigen Ruhms wird von unseren Schuljungen ferngehalten wie eine Ketzerei; und man läßt sie leben und sterben in der dummen und infantilen Art von Patriotismus, den sie aus einer Schachtel Bleisoldaten gelernt haben.

3 G. K. Chesterton: Verteidigung des Patriotismus nationaler oder aus österreichisch-nationaler Wurzel stammt. Die Alternative ist eben unentrinnbar.

Den Anwälten der österreichischen Nation, die heute in unserem Vaterlande auftreten, und — Gott sei Dank — sich vernehmlich machen können, ohne als „Volksverräter“ angeprangert oder verfolgt zu werden, geht es gewiß nicht darum, die übernationale Orientierung des österrreichers zu bekämpfen und neben all den Nationalismen, die Europa zu zerreißen drohen, auch noch einen österreichischen Nationalismus zu kultivieren. Sie wollen nur, daß auch das österreichertum einmal folgerichtig zu Ende gedacht werde und daß man all die natürlichen Voraussetzungen erkenne, die es rechtfertigen, schon heute von einer österreichischen Nation im Vollsinn des Wortes zu sprechen. Wird dieses ihr Wollen verkannt oder mißdeutet, dann kann natürlich diese notwendige Erweckung des österreichischen Nationalgefühls nicht wirklich gelingen und der Tertius gaudens wird mit innerer Notwendigkeit der mehr oder minder vorsichtig maskierte Panger-manismus sein. Finden sich aber alle vaterlandstreuen Österreicher in der Idee der österreichischen Nation, dann wird und muß es gelingen, das österreichische Nationalgefühl zu voller Wachheit zu bringen und es zu formen unter der Devise, die für Österreich heute und in aller Zukunft gelten soll: Die österreichische Nation will allen alles werden, ohne dabei sich selber zu verlieren!

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