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Osthandel ohne Vormundschaft

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Der Osthandel Österreichs unterliegt gegenwärtig einer bedeutsamen “Wandlung. In sieben Monaten von Jänner bis Juli erreichte das Volumen des Güteraustausches mit Osteuropa 8,86 Milliarden Schilling (+ 10 Prozent) und einen Exportüberschuß in Höhe von 1,4 Milliarden Schilling. Auch für Skeptiker dürfte der Beweis erbracht sein, daß die zähen und konsequenten Anstrengungen, die Wien nach allen Richtungen unternommen hat, fortgesetzt werden müssen. Immer wieder lautet der landläufige Einwand, man dürfe in keine Abhängigkeit von der kommunistischen Staatenwelt geraten, aber im allgemeinen Warenverkehr beansprucht Osteuropa auch heute nur 10,8 Prozent des Gesamtimportes und erst 19,3 Prozent des Gesamtexportes. Die analogen Werte des Handels mit der EWG und der EFTA wurden natürlich noch lange nicht erreicht, aber die Zeiten, da die öffentliche Meinung den Osthandel mit Geringschätzung abtun konnte, sind jedenfalls vorüber. Entscheidend bleiben die Exportüberschüsse, besonders bei Ungarn, Bulgarien und Rumänien. Noch vor einem Jahr wurde im Rahmen der Verhandlungen mit Brüssel darüber gesprochen, eine feste Rela-

tion zwischen den österreichischen Exporten nach der EWG und nach Osteuropa zu finden, die nur im Falle akuter Gefahr durchbrochen werden dürfe. Diese Spekulationen, deren Verwirklichung den gesamten Osthandel unter Kontrolle und Vormundschaft gestellt hätte, wurden von der Entwicklung endgültig überholt. Trotzdem befindet man sich erst am Anbeginn einer neuen Phase, die sich aus einer teilweisen Lockerung der in Osteuropa bisher praktizierten handelspolitischen Regime und einer größeren Elastizität der Kontingente ergibt.

Entwicklung der Importe

Die Importe aus Osteuropa ruhten natürlich in erster Linie auf Steinkohle und Koks, Rohöl und Erdölprodukten, wobei jedoch in den unteren Rängen neben Pflanzenöl neuerdings auch Holz und NE-Metalle eine beachtenswerte Expansion erlebten. An der Spitze der Importlisten standen jedoch bei jedem Staat andere Warenkategorien, nämlich Rohöl bei Rußland, Steinkohle bei Polen und natürliche Düngemittel bei Ostdeutschland, ferner Koks bei der Tschechoslowakei und Erdölprodukte bei Ungarn, zuletzt Holz bei Rumänien, Mais bei Jugoslawien und Rohtabak bei Bulgarien, eine Gliederung, die im Vergleich zur Zwischenkriegszeit von 1919 bis 1937 sehr starke Unterschiede zeigte. Die Erhöhung ihrer Lieferungen verdankten Jugoslawien Mais und Chemikalien, die Sowjetunion Roggen und Futtergerste, Rohnickel und Sonnenblumenöl, während die stabile Position Rumäniens auf einem Ausgleich ruhte, in dessen Rahmen nur Obst, Pflanzenöl und Chemikalien einige Erhöhungen erwirken

konnten. Alle anderen Länder beklagten einen Rückgang, verursacht in Polen durch Gerste und Steinkohle, in Ungarn durch Schweine und Chemikalien, in Ostdeutschland durch Maschinen und rohe Kalisalze, in der Tschechoslowakei durch Automobile (38,2 Millionen Schilling — 28 Prozent) und Erdölprodukte, in Bulgarien durch Schweine und Stahlroheisen. Jedenfalls haben die Bezüge von Maschinen und Automobilen sehr schlecht, dagegen von Mais und Pflanzenöl, aber auch von Rohöl und NE-Metallen sehr gut abgeschnitten, ein neuer Beweis, daß die Importe aus dem Osten vorerst nur in einem beschränkten Sektor entwicklungsfähig sein dürften. Rußland und die Balkanländer unternahmen zweifellos ernste Anstrengungen, um eine Erhöhung ihrer Lieferungen durchzusetzen. Polen leidet sichtlich unter Schwierigkeiten. Die Tschechoslowakei befindet sich anscheinend im Stadium einer dogmatischen Erstarrung.

Strukturwandel der Exporte

Bekanntlich ist die Besserung der Handelsbilanz, soweit sie die Exportseite betrifft, von einem Aufschwung der Lieferungen nach der EFTA, nach Übersee und nach Ost-

europa getragen, wobei der Osten neuerdings einer Zweiteilung unterliegt. Österreich verdankte seine Erfolge nämlich ausschließlich einer sprunghaften Erhöhung seiner Exporte nach Rumänien, Bulgarien und

Jugoslawien (zusammen 2,04 Milliarden Schilling, + 65 Prozent), während sich die Zunahmen nach Polen und Ungarn im Rahmen des Gesamtexportes bewegten. Dagegen gerieten Rußland, Ostdeutschland und die Tschechoslowakei in eine regelrechte Stagnation. Die Frage nach den tieferen Gründen dieser Entwicklung ist leicht zu beantworten. Der ausländische Touristenverkehr ermöglichte es Rumänien und Bulgarien, dem Vorbild Jugoslawiens folgend, das starre Dogma vom Gleichgewicht der Importe und Exporte über Bord zu werfen. Jedenfalls zeigt der Kurs der Ostexporte im Augenblick nach dem Balkan.

An der Spitze der Warenordnung standen nach wie vor Eisen und Stahl dank enormen Erhöhungen aller Lieferungen nach Rumänien (+351 Prozent) und Polen (+ 100 Prozent), Ungarn und Bulgarien, denen allerdings Rückfälle in Rußland und Jugoslawien, Ostdeutschland und der Tschechoslowakei gegenüberstanden. Den größten Anteil beanspruchten Bleche (Jänner bis Juni 509,7 Millionen Schilling, + 38 Prozent). Die Zunahme der Maschinen, die in Rumänien, Jugoslawien und Bulgarien einen bevorzugten Absatz fanden, ruhten bei stabilen Armaturen und Kugellagern, vor allem auf Pumpen, Getrieben, Dampfkesseln, Industrieöfen, Papier- und Bergbaumaschinen. Chemische Produkte verzeichneten zwar in den meisten Staaten eine Erhöhung, besonders eindrucksvoll in der Sowjetunion, aber der Rückschlag in Ungarn verursachte doch eine fühlbare Abschwächung der erhofften Zuwachsrate. Natürlich kann dieser Sektor niemals analysiert werden, weil die Handelsstatistik den Kunstdünger und einige wichtige Chemikalien auf die anonyme Sammelnummer 9999 überträgt. Immerhin war feststellbar, daß Lackfarben einschließlich Nitrolacke (Jänner bis Juni 130,9 Millionen Schilling, + 86 Prozent) sehr gut

abschnitten, desgleichen Aluminiumoxyd und Desinfektionsmittel, daneben auch Chloride, Phosphate, Impfstoffe und Zitronensäure. Das plötzlich erwachte Interesse für Textilien konzentrierte sich auf Kammgarne und Cordgewebe aus künstlichen Spinnstoffen sowie auf Garne und gefärbte Gewebe aus synthetischen Spinnstoffen. Papier erlebte eine Umgruppierung mit Rückfällen in Ungarn und Bulgarien, Erfolgen in Polen, Jugoslawien und der Tsche-

choslowakel, während der Depression bei Dünn-, Pack- und Kraftpapier gleichzeitig eine Hochkonjunktur für Druck-, Schreib- und Kunstdruckpapier gegenüberstand.

Schutz vor Illusionen

Weitere Erhöhungen verdanken die Verkehrsmittel den Wasserfahrzeugen, die NE-Metalle wiederum Kupfer, Messing, Rohzink und Blechen aus Aluminium. In den untersten Rängen lagen die Schwerpunkte bei Holz in Ungarn, bei Schuhen in Rußland, bei Magnesit in Rumänien, bei Zellulose in Jugoslawien. Rückläufig waren nur elektrische Apparate, entstanden durch einen schwachen Absatz der Bleikabel, ferner Metallwaren wege~ dem katastrophalen Rückfall der Konstruktionen in Polen, zuletzt Kunstfasern infolge der Verluste in Rußland und Jugoslawien, die durch den Aufschwung in Bulgarien nicht ausgeglichen werden konnten.

Die Schlußfolgerungen, die aus der Entwicklung des laufenden Jahres gezogen werden müssen, liegen auf der Hand: Fortsetzung und Intensivierung aller Anstrengungen, da sich die Individualisierung nach Staaten und Positionen bewährt hat. Als geeignete Mittel erscheinen die Erweiterung der Warenlisten, die Durchsetzung neuer Positionen und die Berücksichtigung der langfristigen Investitionspläne der Donauländer. Die Wandlungen der Nachfrage lassen sich nicht nur an den Jahreskontingenten, sondern noch besser an der vorbildlich gruppierten österreichischen Handelsstatistik ablesen. Wenn unter den Exporten bisher Eisen und Stahl, Maschinen und

Chemikalien das Feld beherrscht haben, so sind im laufenden Jahr auch Papier, Textilien und Verkehrsmittel in den Vordergrund gerückt. Natürlich darf man verschiedene Wirtschaftssysteme nicht addieren. Auch der Eiserne Vorhang bleibt trotz einer teilweisen Lockerung bestehen, aber man kann die Kontakte verbreitern. Für Direktoren und Funktionäre der verstaatlichten Industrien und Handelsgesellschaften des Ostens ist es leichter, einfacher und angenehmer, nach Wien zu fahren, als nach Rom, Bonn, Paris, London oder Brüssel. Gestützt auf eine ungemein günstige geographische Lage, beginnen sich allmählich die ersten Umrisse der künftigen Stellung Wiens als Handelsplatz abzuzeichnen. Eine pragmatische Exportpolitik, die elastisch die realen Möglichkeiten ausnützt, bleibt auch der beste Schutz gegen Theorien und Illusionen, die in den vergangenen Jahren schon genügend Unheil angerichtet haben.

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