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„Ostkontakte auf jeden Fall fortsetzen..

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FURCHE: „Herr Minister, Sie haben in Ihrem Vortrag vor der Industriellenvereinigung vor wenigen Tagen festgestellt, daß man die Außenpolitik eines Landes nicht auf dem Reißbrett durchexerzieren kann, sondern daß diese vom internationalen Kräftespiel abhängt Österreich betrifft dies vor allem als Nachbar so vieler Oststaaten wohl besonders in der Ostpolitik. Wie steht es damit nun nach der CSSR-Krise?”

WALDHEIM: „Ich wollte mit meiner Erklärung nicht nur einen Teil des Kräftespiels nennen, sondern das gesamte Kräftespiel — und dazu gehört selbstverständlich auch der Westen. Was Ihre konkrete Frage betrifft, möchte ich sagen, daß wir die Ereignisse des Sommers bedauert haben und daß wir der Meinung sind, daß dadurch ein Rückschlag in der internationalen Entspannungspolitik eingetreten ist. Trotzdem glaube ich aber, daß diese Entspannungspolitik fortgesetzt werden sollte, denn ein Staat wie Österreich, in einer so schwierigen geographischen Lage, kann sich nur dann entwickeln, wenn ein Mindestmaß an Zusammenarbeit vorhanden ist.”

FURCHE: „Glauben Sie, Herr Minister, daß Österreich in einem solchen west-östlichen Kräftespiel, eingekeilt zwischen so gewichtigen Interessenblöcken, überhaupt auf die Dauer gesehen seine Unabhängigkeit bewahren kann, und fürchten Sie nicht, daß hier ein Druck von beiden Seiten Österreich in eine sehr kritische Situation bringen könnte?”

WALDHEIM: „Ich bin durchaus der Meinung, daß Österreich auch in Zukunft seine Außenpolitik unabhängig führen können wird, weil in aller Welt Interesse an der Unabhängigkeit und Integrität Österreichs besteht. Wir befinden uns in einer Situation, in der unsere Integrität für beideiKräftegruppeh von großer •JL’ Bedeutung ist, da im Falle dgs Endes der Selbständigkeit Österreichs das Gleichgewicht in Europa gestört wäre.”

FURCHE: „Herr Minister, Sie sagai, keiner der beiden Blöcke, also auch die Oststaaten, haben Interesse, daß sich an der gegenwärtigen Situation etwas ändert. Wie erklären Sie sich dann, daß während der CSSR-Krise doch mehr als lOOmal der österreichische Luftraum verletzt wurde, daß fremde Panzer(rohre) an der ungarischen und an der CSSR-Grenze Österreichs standen, glauben Sie nicht, daß es sich hier um eine Bedrohung handelt, oder sind Sie der Meinung, daß dies nur Flankendeckungsmanöver der Warschauer-Pakt-Staaten waren?”

WALDHEIM: „Ich bin überzeugt, daß es sich um keine Bedrohung Österreichs gehandelt hat. Was die Luftraumverletzungen betrifft, wissen Sie, daß wir sofort entsprechende Protestschritte unternommen haben und sich die sowjetische Regierung für diese Zwischenfälle entschuldigt hat.”

FURCHE: „Und was sagen Sie zu jenen Gerüchten, die besagen, im Falle eines Vorgehens der Warschauer-Pakt-Staaten gegen Jugoslawien, ähnlich wie im Sommer gegen die CSSR, würden diese das Durchmarschrecht durch Österreich verlangen?”

WALDHEIM: „Diese Gerüchte entbehren jeder Grundlage, eine derartige Gefahr besteht nicht.”

FURCHE: „Sie haben nur wenige Wochen nach der CSSR- Krise gemeinsam mit dem Herrn Bundespräsidenten einen Besuch in Jugoslawien gemacht. Haben Sie dazu keinerlei negative Kommentare aus den Warschauer- Pakt-Staaten gehört bzw. haben Sie nur den Eindruck, daß der Jugoslawienbesuch lediglich als schon lange geplanter Staatsbesuch gewertet wurde?”

WALDHEIM: „Letzteres ist der Fall. Wir wissen, daß man in den östlichen Hauptstädten sehr wohl wußte, daß es sich dabei um einen lange vor dem Sommer vereinbarten Staatsbesuch handelte. Es. wurde. dieser Besuch, daher nirgends als . Demonstration “ nerlei Anzeichen einer gegenteiligen Reaktion bemerkt.”

FURCHE: „Wie erklären Sie sich die Erklärung des USA- Außenministers Dean Rusk in Brüssel bei der NATO-Minister- ratssitzung in Richtung auf Österreich und Jugoslawien. Glauben Sie nicht, daß durch eine solche Erklärung im Osten der Eindruck entstanden ist, daß Österreich gewissermaßen unter dem Schutz der NATO stehe? War diese Erklärung Rusk’s mit Ihnen, Herr Minister, oder mit Ihrem Ministerium in Wien in irgendeiner Form abgesprochen?”

WALDHEIM: „Die Erklärung wurde selbstverständlich nicht abgesprochen, und ich habe, um die österreichische Situation klarzustellen, am vergangenen Samstag eine Stellungnahme abgegeben. Dabei erklärte ich, daß die alliierten Mächte 1955 mit Österreich den Staatsvertrag abgeschlossen haben, der die Souveränität Österreichs wiederherstellte. Dieser Vertrag enthält die Verpflichtung für die Signatarmächte, die territoriale Unabhängigkeit Österreichs zu respektieren. Ich habe weiters erklärt, daß Österreich volles Vertrauen hat, daß sich die Signatarmächte dieser ihrer Verpflichtung bewußt sind und daher die Unabhängigkeit Österreichs und die Unverletzlichkeit seines Staatsgebietes auch in Zukunft achten werden. Ich kann dieser Erklärung nichts hinzufügen, weil sie nach meiner Meinung am klarsten und deutlichsten unsere Einstellung wiedergibt.”

FURCHE: „Aber Herr Minister, würde man in Wien nicht unruhig werden, wenn eine ähnliche Erklärung, wie sie Rusk in Brüssel gemacht hat, ättefi dlS” WALDHEIM: „Meine vorherige Erklärung gilt für alle vier Signatarmächte in gleicher Weise. Es besteht daher für uns kein Anlaß zur Beunruhigung.”

FURCHE: „Herr Minister, das heißt also, daß man auch in Hinkunft von Seiten Österreichs vor allem in der Wirtschaftspolitik eine aktive Ostpolitik durchführen wird?”

WALDHEIM: „Wir werden die Kontakte mit dem Osten fortsetzen, vor allem auf dem wirtschaftlichen Gebiet, zumal diese letztlich auch im Interesse unserer eigenen Wirtschaft liegen.”

FURCHE: es ist also der Osthandel notwendig?”

WALDHEIM: „Ja, denn Sie wissen, daß ein nicht unbedeutender Teil unseres Handels nach dem Osten geht, und es wäre schwierig, diesen Handel kurzfristig umzustellen.”

FURCHE: „Und wenn der relativ bedeutende Anteil des Osthandels am Gesamthandel Österreichs eines Tages von der EWG zum Vorwand genommen würde, angesichts einer solchen Situation ein Arrangement Österreichs mit der EWG eher als Nachteil zu empfinden?”

WALDHEIM: „Diese Befürchtung entbehrt jeder Grundlage, da unser Handel mit dem Westen wesentlich höher ist. Wir sind bemüht, auch unsere Wirtschaftsbeziehungen mit dem Westen zu intensivieren und vor allem die Diskriminierung, der der österreichische Handel mit der EWG unterworfen ist, zu verhindern. Die Tatsache, daß wir auch mit dem Osten Handel betreiben, belastet keineswegs die Handelsbeziehungen mit dem Westen, der im übrigen ja selbst bemüht ist, seinen Osthandel auszubauen. Zirka 50 Prozent unseres Handels wenden mit den EWG- Staaten und zirka 12 Prozent mit dem Osten abgewickelt. Der Rest geht in die übrige Welt.”

FURCHE: „Was erscheint Ihnen also für die österreichische Außenpolitik wesentlich?”

WALDHEIM: „Eine realpolitische Einschätzung der Weltlage und der österreichischen Lage im besonderen scheint mir das Wichtigste zu sein. Dies gilt für alle Probleme unserer Außenpolitik. Gstgęąęjc Jslįjįdjir Neutralitätspolitik zu einem sta- bili erer ßp,, Jaktop., ,

europäischen Raum geworden. Es wird nun auch in Zukunft darum gehen, durch eine Fortsetzung dieser Politik das Vertrauen der Umwelt und nicht zuletzt der Großmächte in diese Politik zu erhalten, womit ein wesentlicher Beitrag zu unserer eigenen Sicherheit geleistet wird.”

FURCHE: „Herr Minister, ich danke für dieses Gespräch.”

• Mit Minister Dr. Waldheim sprach FURCHE-Redaktionsmit- glied Georg Manhardt

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