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„Ostwärts der Oder und Neisse“

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Wir veröffentlichten in Folge 30 unseres Blattes den Aufsatz eines reichsdeutsdien Mitarbeiters, der in den nachstehenden Ausführungen eine Entgegnung vön polnischer: Seite erfährt. Unserer Gepflogenheit folgend, Redefreiheit in der Kontroverse zu gewähren, soweit Sachlichkeit und faire Form eingehalten sind, geben wir hier dieser Erwiderung Raum, um unseren Lesern Gelegenheit zu gewähren, die gegenseitig vorgebrachten Argumente abzuwägen.

„Die österreichische Furche“

Die deutschen Wissenschaftler Prof. Dr. Peter Heinz Seraphim, Prof. Dr. Reinhart Maurach und Dr. Gerhard Wolf rum haben in der Wissenschaftlichen Verlagsanstalt KG, Hannover, eine gemeinsame Arbeit unter dem Titel: „Ostwärts der Oder und Neisse“ herausgegeben, in der sie das Problem der heutigen polnischen Westgebiete wissenschaftlich untersuchen und unter anderem den Beweis dafür erbringen wollen, daß sowohl die gesell ichtliche

Motivierung, mit der Polen seine Ansprüche auf diese Gebiete begründet, zweifelhaft sei, wie auch, daß die ostwärts der Oder- Neisse-Linie gelegenen Provinzen für Deutschland weitaus wichtiger und notwendiger wären, als dies für Polen der' Fall sei.

Wenn nun behauptet wird, „die Oberhoheit polnischer Fürsten und Könige über ostdeutsche Teilgebiete sei immer nur eine vorübergehende dynastische Angelegenheit gewesen“, die nicht als Argument bei der staatlichen Neuordnung des heutigen Europas, herangezogen werden könne, so wäre dem entgegenzuhalten, daß schon die im nächsten Satz enthaltene Feststellung, der Deutsche Ritterorden sei 1226 von dem polnischen Fürsten Konrad von Masowien an die Ostsee geholt wörden, den besten Beweis dafür ergäbe, daß die Polen eben vor den Deutschen und seit jeher diese Gebiete besaßen; wobei niemand annehmen kann, sie hätten die Deutschen geholt, uni ihre eigene Oberhoheit von sich zu werfen.

Dr. Joachim Berger, Frankfurt, derin der „österreichischen Furche" vom

23. Juli die Arbeit der deutschen Wissenschaftler besprach , erinnerte daran, daß man mit Statistiken alles beweisen könne, wenn man die „Gewichte" der Zahlen subjektiv durch entsprechende Hervorhebungen oder Vernachlässigungen bewerte. Die Stichhaltigkeit der polnischen Statistiken wird damit angezweifelt; andererseits erscheint zugleich auch die Stichhaltigkeit der deutschen Statistiken als problematisch. Nichtsdestoweniger kommt man um die Notwendigkeit, wenigstens einige Zahlen anzuführen, nicht herum.

So sei denn zum Kapitel Demographie bemerkt, daß auf den 101.000 Quadratkilometern, die Polen auf Grund des Potsdamer Abkommens erhalten hat, bereits weit über 5 Millionen Polen leben, wobei die Umsiedlungsaktion noch nicht beendet ist und weitere 2 Millionen Polen aus dem Ausland und den Zentralprovinzen zur Ansiedlung bringen wird. Damit wird der Bevölkerungsstand nicht viel unter dem Vorkriegsniveau (8,810.205 laut Zählung vom 17. Mai 1939) liegen.

Der industrielle Wert der heutigen polnischen Westgebiete für Deutschland erhellt aus ihrem Anteil an der gesamtdeutschen Industrieproduktion; dieser Anteil betrug in der Berg- und Grubenindustrie 12 Prozent, in den anderen Industriezweigen durchschnittlich 9 Prozent. Raummäßig stellten jedoch diese Provinzen 21,4 Prozent des Vorkriegsgebietes Deutschlands (in den Grenzen der Weimarer Republik) dar. Das Verhältnis dieser Prozentzahlen zueinander spricht für sich selbst. Allerdings war die schlesische Kohle für Deutschland von gewissem Wert. Neben England war Deutschland der größte Kohlenproduzent Europas; trotzdem machte die schlesische Kohle kaum

14 Prozent sämtlicher deutscher Kohlenvorräte aus. Ihr Verlust wird wohl das deutsche Rüstungspotential schwächen, bedeutet jedoch keineswegs einen Entzug einer ausreichenden Brennstof fvenorgung für die deutsche Industrie.

Die landwirtschaftliche Bedeutung der ehemaligen ostdeutschen Provinzen für das Reich ist aus der Agrarproduktion ersichtlich: 25 Prozent Korn, 16,5 Prozent Weizen, 24 Prozent Kartoffeln,

15 Prozent Vieh, 19 Prozent des Schweinestandes. Daraus ist ersichtlich, daß nur in bezug auf die Korn- und Kartoffelerzeugung der prozentuelle Anteil dieser Provinzen an der ganzen Agrarproduktion Deutschlands größer war, als es ihrem Verhältnis zu dem Gesamtgebiet des Reiches (21,4 Prozent) entsprach.

Es sei auch festgehalten, daß die polnischen Westgebiete ein im Vorkriegsdeutschland stark vernachlässigtes Land waren. Auffallend war die langsame, aber ständige Abwanderung der deutschen Bevölkerung nach dem Westen des Reiches; in der Zeit 1870 bis 1939 verließen 2.8 Millionen Deutsche diese Provinzen.

Wenn die Richtigkeit des aus diesen Zahlen sich ergebenden Bildes fragwürdig erscheinen sollte, so dürften wohl zahlreiche deutsche Feststellungen keine Zweifel auf- kommen lassen. Als Illustration seien nur einige angeführt:

Bezüglich der Bedeutung der deutschen Häfen an der Ostsee schrieb Dr. Dieckmann in seinem „Kartographischen Studium über Stettin“ (1929):

„Es existieren zwar Verbindungen des Warenaustausches Stettins mit den westlichen Teilen des Deutschen Reiches, aber dieser Anteil zersplittert sich so, daß im Vergleich mit dem Anteil anderer deutscher Häfen diese Gebiete als ein Hinterland Stettins gar nicht in Frage kommen."

Dr. E. K r o h n e, der ehemalige Reichsminister, ein Mann, der die Verhältnisse in Szczecin, dem ehemaligen Stettin, am besten gekannt hat und der während etlicher Jahre nach dem ersten Weltkrieg die Szczeciner Interessen gegenüber den zentralen Behörden Berlins vertreten hat, schrieb 1930:

„Stettin und Pommern wurden bis zum Ausbruch des ersten Weltkrieges aus poltischen Gründen zugunsten des Westens vernachlässigt. Heute rächt sich das. denn Stettin muß um seine Existenz kämpfen.“

Derselbe Dr. Krohne machte auch folgende grundsätzliche Feststellung:

„Einen Ersatz für den Verlust des polnischen Hinterlandes und des polnischen Schlesiens kann für Stettin nur eine enge Zusammenarbeit mit Polen bilden. Stettin be-

.Konfrontation an der Oder.“

sitzt nämlich nicht die Möglichkeit, rentable

Verladungen von Deutschland zu bekommen, da die Konkurrenzhäfen der Nordsee dies nicht zulassen.“ („Pommern-Jahrbuh" 1930.)

W. W o 1 z, ein angesehener deutscher Professor der Wirtschaftsgeographie an der Leipziger Universität, der den Anteil der Ostgebiete an der deutschen Wirtschaft prüfte, kam zu nachstehender Schlußfolgerung:

„Für das Deutsche Reih spielt der deutshe Osten als Lieferant von Weizen gar keine Rolle und als Lieferant von Roggen nur eine unbedeutende. Man muß ebenfalls mit dem alten Märhen ein Ende mähen, daß der Osten das Deutshe Reih, insbesondere das

Ruhrgebiet, mit Kartoffeln versorgt hat Der restliche Teil Deutschlands versorgte sich selbst.“ („Die ostdeutsche Wirtschaft".)

Diese Zitate mögen als Nachweis, wie di Deutschen selbst die wirtschaftliche Bedeutung ihrer gewesenen Ostprovinzen einschätzten, genügen.

Was schließlich die juridische Seite des Oder-Neisse-Grenze-Problems anbelangt, bemerkt Dr. Joachim Berger in der „Österreichischen Furche“, daß man polni- scherseits — im angeblichen Bewußtsein der eigenen Schwäche in diesem Punkte — bemüht sei, eine Diskussion darüber zu meiden. Diese Bemerkung fußt auf der Feststellung, die polnisch „Nachrichten agentur West", die sich mit allen Problemen der heutigen westpolnischen Provinzen befaßt, schweige sich über den rechtlichen Status aus. — Die Grenze an der Oder und Neisse ist jedoch für Polen überhaupt kein juridisches Problem. Es gibt in Polen keinen Menschen, nicht im Volk, nicht in der Regierung und nicht in der „Westagentur“, für den der rechtliche Status der polnischen Westgrenze in irgendeiner Weise zweifelhaft wäre. Die Grenzziehung, die auf Grund der Potsdamer Beschlüsse erfolgte, ist eine solche Selbstverständlichkeit, daß es keinem Polen einfallen würde, darüber erst diskutieren zu müssen. Für Polen ist die Sache endgültig erledigt.

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