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Otto Bauer und Starhemberg

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Nun können beide Seiten zweifellos überzeugende Argumente für ihre Thesen anführen, dennoch hat Schuschnigg ein entscheidendes Moment übersehen, bzw. nicht zur Kenntnis genommen: Otto Bauer, der geistige Führer der Sozialdemokraten und Hauptverantwortliche für das neue Programm, legte auf jenem Linzer Parteitag ein leidenschaftliches Bekenntnis zur Demokratie ab und beschwor alle Schrecken des Krieges und Bürgerkrieges herauf, um die Radikalen unter den Parteigenossen zur Mäßigung zu bewegen. Im Gegensatz zum Appell Bauers erklärte auf der anderen Seite Ernst Rüdiger Starhemberg 1929: „Ich sage offen, daß ich damals (gemeint ist Ludendorffs und Hitlers Marsch zur Feldherrnhalle) unter Hitler Soldat war und hoffte, daß der Putsch gelingen werde.“ Oder „Das österreichische Volk stand 1918 an der Front, als hysterische Schmierenkomödian-ten, Cafehauslferaten, volksfremde Raubritter erster Sorte und: Halunken aus der Großstadt den Augenblick benützten, um das Volk ehrlos ziu machen.“

Und als Starhemberg am 30. September 1930 im Ubergangskabinett Vaugoin Innenminister wurde, erließ er trotz seines auf die Verfassung der Republik geleisteten Eides, eine Proklamation, die besagte, daß die Heimwehren „auf den Trümmern des parteipolitischen Parlaments den neuen Staat, den Heimwehrstaat“ aufbauen würden. Allerdings war inzwischen aus Starhemberg, dem Soldaten Hitlers, Starhemberg, der Soldat Mussolinis geworden, den nun die Führer des autoritären Ständestaates als Verbündeten willkommen hießen. Das Volk allerdings konnte durch derartige politische Kombinationen nicht aufgewühlt werden und versagte sich deshalb auch der Größe der geschichtlichen Stunde.

Schuschnigg stellt in seinem Buch fest, daß die autoritäre Ständeverfassung aus vier Gründen notwendig gewesen sei: wegen des Versagens der parlamentarischen Demokratie; wegen des Abseitsstehens der Sozialdemokraten; wegen des Aufkommens des Nationalsozialismus und wegen der engen Anlehnung an das faschistische Italien. Als Beispiel für das Abseitsstehen der Sozialdemokraten führt Schuschnigg auch den Versuch Seipels im Juni 1931 an, eine Konzentrationsregierung Seipel-Bauer zustande zu bringen. Die Sozialdemokraten lehnten damals ab, hauptsächlich wohl aus Mißtrauen gegenüber Seipel. Schuschnigg vergißt aber anzuführen, daß Bauer im Juli 1933, also vier Monate nach der Selbstauflösung des Parlaments Bundeskanzler Dollfuß ein Bündnis gegen die Nationalsozialisten anbot und daß er im Dezember 1933 seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit noch deutlicher offenbarte, als er in der „Arbeiter-Zeitung“ erklärte: „Die Sozialdemokratie kann sich sehr wohl mit dem Gedanken einer gesunden Selbstverwaltung im Sinne des antifaschistischen Quadragesimo anno verständigen.“ Die Sozialdemokraten und vor allem Otto Bauer erkannten also sehr wohl, wo der Hauptfeind stand, während Dollfuß und Schuschnigg immer an der These festhielten, daß die Sozialdemokratie der Feind Nr. 1 sei.

Nun läßt sich die Geschichte zwar nicht korrigieren, doch es lassen sich aus ihr Erkenntnisse ziehen. Wahrscheinlich war Hitler von Österreich her nicht aufzuhalten, sicher aber ist, daß, wenn überhaupt eine Möglichkeit bestanden hätte, dann doch nur die, daß 80 bis 90 Prozent der Bevölkerung zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus mobilisiert worden wären. Die Parole hätte damals doch nur lauten können; Nicht die Frage des Anschlusses an sich ist entscheidend, sondern entscheidend ist, daß Österreich jede Form des Anschlusses ablehnt, solange der Nationalsozialismus in Deutschland regiert, weil er die menschlichen Freiheitsrechte aussetzt und mit seinem wildgewordenen Chauvinismus den Frieden der Welt bedroht. Um dieses Bekenntnis zu popularisieren, hätte man allerdings in Österreich selbst die Freiheitsrechte nicht aussetzen dürfen.

Schuschnigg streift nicht einmal diese Möglichkeit in seinem,.Buch, was wieder .seine -politische Unbe-weglichkeit dokumentiert. Sie macht die ganze Tragödie, die über Österreich zwischen 1934 und 1938 hereinbrach, erst so richtig deutlich. Weil Schuschnigg die Ausschaltung von 40 Prozent der Bevölkerung als eine politische Notwendigkeit empfand und weil darüber hinaus von den anderen 60 Prozent weitere 20 Prozent seine Todfeinde waren, mußte er sich allein auf die Hilfe von außen verlassen. Wer aber gewährte diese Hilfe? Das faschistische Italien und das revisionslüsterne Ungarn, das schon aus seinem Haß gegen die Tschechoslowakei eine deutschfreundliche Haltung einnehmen mußte. Das enge Bündnis mit diesen beiden Partnern zwang Jugoslawien, Anlehnung an das Dritte Reich zu suchen, und vergiftete das österreichische Verhältnis zur Tschechoslowakei. Der innenpolitische autoritäre Kurs in Österreich entfremdete bis zu einem gewissen Ausmaß auch die Westmächte, was 1938 psychologisch eine nicht unbedeutende Rolle spielte. So segelte Schuschnigg das bereits havarierte österreichische Schiff zwischen Italien und Deutschland, zwischen Skylla und Charybdis. Als aber der Abessinienkrieg Italien in die Arme Deutschlands trieb, blieb Schuschnigg nichts anderes übrig, als zu Hitler nach Berchtesgaden zu pilgern und zunächst das JuMabkom-men von 1936 und dann das Fe-bruarabkarnrnen von 1938 zu schließen. Das letzte Abkommen - war. bereits- die Kapitulationr.

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