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Pan-Pacifica

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Wer die Verhandlungen am Lake Success mit in Genf geschärften Augen beobachtet, bemerkt, wie ferne wir noch von einem Weltorganismus sind. Er sieht aber auch, wie sich über die Grenzen der Staaten hinaus neue Organismen bilden. Der Bund der arabisdien Staaten, die Gruppe der lateinamerikanischen Länder erscheinen immer häufiger vereint. Gemeinsames Handeln kann nach historischen Gesetzen unter Umständen Organismen erzeugen.

Mitunter nimmt ein Land bald an der einen, bald an der anderen Gruppe teil. Es möchte die Vorteile der Mitgliedschaft in mehreren Klubs genießen. Die Philippinen mußten kürzlich genötigt werden, sich zu entscheiden, ob sie sich der asiatischen oder der pazifischen Gruppe ansdiließen wollen. Die Vereinigten Staaten und England sind natürlich führend im atlantischen und im pazifischen Kreise.

Man kann an der Arbeitsstätte der vereinigten Völker geschichtlich-organisches Werden verfolgen, man kann sich aber leicht täuschen, wenn man sich auf die Äußerungen der Regierungen verläßt, ohne die Völker selbst zu beobachten. Der Pan-amerikanismus zum Beispiel nimmt sich in seinem klassischen Palaste in Washington ganz anders aus, als wenn man durch die Länder Südamerikas reist.

Wenn man die Ufer des Pazifik umfliegt, merkt man manches, was sich in Lake Success kaum bemerkbar macht. Gemeinsame Interessen, gemeinsame Gefahren schaffen ein Gebilde, von dem vorerst nur schwache Umrisse erkennbar sind. Von Kalifornien bis zur Westküste Kanadas, auf Hawaii, auf den englischen Fidschiinseln, auf Französisch-Neu-Kaledonien, in Australien, auf Gebieten, die Tausende von Kilometern entfernt liegen, wird man mehr Gemeinsames, weniger Unterschiede finden, als wenn man die Brücke über den Rio Grande von den Vereinigten Staaten nach Mexiko kreuzt oder die paar Meilen zurücklegt, die Indien oder Burma von China trennen. Es besteht nicht nur eine größere Ähnlichkeit der Wirtschaftstätigkeit und des Lebensrhythmus, sondern auch ein langsam wachsendes, instinktives Verständnis für gemeinsames Schicksal.

So wie sich im Altertum um das Mittelländische Meer eine Kulturgemeinschaft gebildet hatte, so wie sich heute um den Atlantischen Ozean eine Schicksalsgemeinschaft von Völkern bildet, die für den Augenblick stärker zu sein scheint als der Zusammenhang innerhalb des europäischen, asiatischen oder afrikanischen Kontinents, so bildet sich um den Pazifischen Ozean eine Interessengemeinschaft von Ländern, die gemeinsamen Problemen gegenüberstehen, vor allem den drei Problemen: Indien, China, Südamerika.

Das indische Problem ist klar. Was ich vor zwölf Jahren in Indien für den damals höchst unwahrscheinlichen Fall, daß England sich aus Indien zurückziehen sollte, voraussah und voraussagte, vollzieht sich mit überwältigender Geschwindigkeit. Das von England durch Jahrhunderte mit Meisterhand zusammengehaltene und befriedete Gebiet mit seinen Einwohnern, die an Zahl die der Vereinigten Staaten um das Dreifache übertreffen, in Wirtschaft und Bildung aber nicht einmal ein Zehntel davon erreichen, bdkanis!~rt sich über Na-ht. Bürgerkri-se, bald Kriege werden es zerreißen. Mindestens drei — Hindustan, Pakistan, Pathanistan —, wahrscheinlich mehr „souveräne“ Staaten werden aus dem indischen Boden wachsen. Sie werden politisch und wirtschaftlich der ganzen Welt, vor allem aber den nach Westen benachbarten Gebieten Afrikas mit ihren Millionen indischen Bewohnern, und den nach Osten benachbarten Gebieten des pazifisdien Raumes zu schaffen geben. Es ist nicht gleichgültig, ob ein erheblicher Teil von 40 Millionen Menschen vor Krieg, Mord, Plünderung und Entrechtung flüchten muß — sowie es numerisch kleineren Gruppen in Europa beschieden war — und ob die bescheidene Kaufkraft eines armen Einheitsgebietes von 400 Millionen in die nodi geringere Kaufkraft eines von Kämpfen zerrissenen Gebietes von 360 bis 380 Millionen herabgedrückt wird.

Ähnliches, hoffentlich milder, wird sich in Holländisch-Indien vollziehen Die „Befreiung dieser Gebiete von fremder Herrschaft“, das heißt deren Unterwerfung unter eine Vielheit lokaler Herrschaften, wird in den nächsten Jahrzehnten ganz andere Wirkungen ausstrahlen, als ihre Schöpfer sich und anderen versprachen.

Nicht weniger wichtig, aber weniger deutlich, ist die Entwicklung Chinas. Wird es zu einer Spaltung dieses Gebietes mit dessen ungeheuren Möglichkeiten kommen oder wird es gelingen, es ganz in den pazifischen Raum einzubeziehen? Wird es gelingen, den wachsenden Nationalismus China., so weit einzudämmen, daß es sich in diesem Raum eingliedert und daraus die Kraft schöpft, die es zur Verteidigung seiner Unabhängigkeit braucht? Japan wird wohl diesem Raum eingegliedert werden, wenn es gelingt, seinen Volkskörper von der Vergiftung durch Weltherrschaftspläne zu heilen.

Das Problem Südamerikas, dessen westliche Staaten in diesen Raum gehören, wird noch manche Überraschung b ereiten. Die natürliche Zusammenarbeit dieser Länder ist von einer Erscheinung bedroht, die manche Ähnlichkeit mit der Tätigkeit Japans in Asien vor zwanzig Jahren hat.' Argentinien geht mit bekannten Methoden zielbewußt darauf aus, die Führerrolle einer Gruppe von Staaten zu übernehmen, denen es arischeinend auch seine politisdien und wirtschaftlichen Ziele aufzwingen will. Zu diesen gehört auch eine unverkennbare Tendenz zum Staatssozialismus. Ein Wirt-schaftszwang nach dem anderen wird von der Regierung übernommen. Sie hat Banken und Außenhandel monopolisiert, Industrie und Landwirtschaft wurde in die Zange von Mindestlöhnen und Höchstpreisen genommen. Der ausländische Käufer kann sich nicht an den Wettbewerb der argentinischen Produzenten wenden. Er findet nur einen Verkäufer die Regierung. Schon haben die Nachbarstaaten Chile, Bolivien, Paraguay und Uruguay die Macht zu fühlen bekommen. Bis weit hinauf in die kleinen zentralamerikanischen Staaten, wie Nikaragua und San Domingo, werden die argentinischen Werbemissionen geschickt. Brasilien aber ist ein ernster Gegner. Sein ungeheures Gebiet, größer als das der Vereinigten Staaten oder Australiens, voll un-gehobenei Naturschätze, von einer Bevölkerung bewohnt, d;e dreieinhalbmal so groß ist wie die Argentiniens, an Wirtschaftspotential diese aber noch kaum erreicht, vrlockt zu Vergleichen mit China. Nur ist es wachsamer und besser organisiert, als China es vor fünfundzwanzig Jahren war. Es wird der Ausdehnungstätigkeit Argentiniens nicht gleichgültig zusehen. Im anderen Falle einer Zusammenarbeit Argentiniens und Erasiliens jedoch würde die Westküste Südamerikas von Chile bis Kolumbien der pazifischen Gruppe entzogen und den Zielen dieses Blocks unterworfen:

Nicht nur das Schwergewicht der Welt, auch deren Gefahrenzonen sind nach Westen verlagert worden. Schon einmal wäre in Samoa beinahe ein Weltkrieg zwischen Deutschland, England und den Vereinigten Staaten entbrannt. Der Angriff auf Hawaii hat 'schließlich erst die Teilnahme der Vereinigten Staaten am letzten Krieg ausgelöst. Nicht nur die Linie durch das Mittelländische Meer, durch Dardanellen und Suezkanal, sondern auch die Linien vom Panamakanal nach dem Süden und Norden Ostasiens sind empfindliche Nervenstränge der Welt geworden.

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