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Panafrika

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„Guinea zieht der Sklaverei im Reichtum eine Armut in Freiheit vor!“ Das war der Tenor des Gespräches, das Sekou Toure, der Präsident Guineas, mit de Gaulle im letzten August in Conakry führte. Verständlich, daß Frankreichs stärkster Mann für den Augenblick die Selbstbeherrschung verlor und seinen Partner wütend anfuhr: „Dann müssen Sie eben am 28. September mit Nein stimmen.“ Doch Guinea blieb dem General auch dieses Plebiszit nicht schuldig. Am 28. September stimmte es 96prozentig mit Nein.

Damit drängte es sich jedoch selbst in die Isolierung und mußte nach neuen Partnern Umschau halten. In Kwame Nkrumah fand sich der langgesuchte panafrikanische Gesinnungsgenosse, mit dem der erste lockere Konföderierungspakt einer zukünftigen westafrikanischen Union geschlossen werden konnte. Toure klopfte weiter bei Tubman in Liberia an, ohne Verständnis zu finden; er mußte sich sogar de Gaulle gegenüber zu einigen Rückziehern verstehen, aber der Zug zur Vereinigung ist echt in Westafrika. Das zeigt auch die Bundesrepublik Mali, die vier Negerführer Französisch-Westafrikas im Jänner proklamierten.

Damit beginnen sich langsam hinter den unnatürlichen Grenzen der — zum Teil schon ehemaligen — Kolonialländer die neuen Linien im Westen Afrikas abzuzeichnen. Die zweite große Einigungsbewegung Afrikas scheint im Kommen, nicht mehr panarabisch, wie sie Nasser plant, sondern panafrikanisch, wie sie Nkrumah in seinem Appell an die Kolonialvölker schon vor Jahren proklamierte. Wird sie sich durchsetzen? Das wird zunächst einmal von der weiteren Reaktion Liberias abhängen sowie von den Plänen Französisch-Togos, Nigerias und Kameruns, die im nächsten Jahr selbständig werden. Dann aber auch von der geistigen und weltanschaulichen Grundlage, die sich die neue Konföderation zu geben gedenkt. Nasser kann die politischen und religiösen Einigungskräfte des Islams spielen lassen. Welche Kräfte sollen die vereinigten westafrikanischen Staaten gestalten? Toure hat die Antwort bereits einem deutschen Journalisten gegeben. Sie war verblüffend einfach: „Die noch ursprüngliche und ungeformte Masse der schwarzen Afrikaner wird sich mit ihren eigenen Ideen organisieren und definieren ...”

Oberflächlich besehen, scheinen sich gegenwärtig allerdings nur vier Möglichkeiten zu ergeben: praktischer Materialismus, Kommunismus, Islam und Christentum.

Greifen wir davon nur einmal die letzte heraus, so scheinen mindestens in Ghana die äußeren Chancen günstig zu sein. Zwar sind von den gut viereinhalb Millionen Einwohnern erst 600.000 katholisch, ungefähr die gleiche Anzahl protestantisch, aber das christliche Schulwesen gilt vielfach als vorbildlich; so ging zum Beispiel P. Dr. Koster SVD als Vertreter Ghanas zum letzten. Geophysikalischen Kongreß nach Moskau. Kwame Nkrumah selbst ist katholisch getauft und fuhr einst nach Amerika, um Jesuit zu werden . . . Heute praktiziert er zwar nicht mehr, ist der katholischen Mission aber durchaus gewogen. Man hat ihn den Vorkämpfer des Erwachens des schwarzen Kontinents genannt. Er aber erklärte auf dem Kongreß der Pax Romana, der vom 22. bis 31. Dezember 1957 in Accra tagte, dazu wörtlich:

„Ich bin überzeugt, daß dies nicht stimmt.

Wenn wįr die Lage sachlich prüfen, müssen wir zugeben, daß die am Aufwachen Afrikas verantwortlichen Männer die christlichen Missionare sind.“

Nachdem er ferner alle Mitglieder der Tagung zur positiven Mitarbeit an der Gestaltung Afrikas aufgefordert hatte, schloß er:

„Ich erkläre, daß dieses Land ein christliches Land werden muß.“

Das war allerdings mehr, als es vielen lieb war. Schließlich scheint ja auch Sekou Toure, der Fellow traveller der Kommunisten, anders zu denken, obwohl man den Kommunismus in der neuen Föderation nicht überschätzen darf. Er scheint noch keine festen Positionen gewonnen zu haben. Handelsverträge mit Ostblockstaaten müssen nicht unbedingt als Annäherungsversuch gewertet werden, sondern können auch Zeichen der Schaukelpolitik sein, die Nasser mit einigem Erfolg ja bereits vorexerziert hat.

Die meisten Chancen hat daher in Guinea wbhl der Islam, zu dem sich 80 Prozent der Bevölkerung bekennen (nur 1,32 Prozent sind katholisch!). Die Gründe für seine Anziehungskraft in Afrika sind bekannt. Aber Tourė will Guinea unter keinen Umständen zum „schwarzen Hinterland des Orients werden lassen“ und hält seine Moslems für bewußte Guineaner.

Wie steht es nun um das Christentum im kommenden Westafrika trotz Islam und Kommunismus wirklich? Wird es ein realer Faktor werden, wie Nkrumah es zu wünschen scheint?

Man gibt heute dem afrikanischen Christentum noch zehn Jahre Zeit. Dann dürfte sich die Frage im wesentlichen entschieden haben. Das wird natürlich auch eine Personal- und Finanzfrage sein. Doch darüber hinaus geht es um das Kernproblem aller Missionsarbeit: „Wird unser Christentum die Seele, das Wesen des afrikanischen Menschen erreichen? Wird es hinter die .eigenen Ideen' kommen, wie Toure sie meint?“ (In der sogenannten „Negritude“ scheint man auch dafür schon ein Schlagwort gefunden zu haben.)

Man hat in letzter Zeit den Missionären gerade diesbezüglich viel vorgeworfen. Ob zu Recht, bleibe dahingestellt. Vielleicht haben auch sie in den „Schwarzen“ etwas zu stark nur ihre ’„kleinen Brüder“ gesehen, die man zu unterweisen und zu zivilisieren habe; mehr nicht. Aber auch das ist schon übertrieben, wenn man die grundlegenden Forschungen betrachtet, die gerade in den letzten Jahren auf diesem Gebiet geleistet wurden. In seiner Bantuphilosophie scheint der schlichte Franziskanerpater Placidus Tempels tatsächlich hinter das Geheimnis des „Dunklen Kontinents" gekommen zu sein, der uns so viele 'Rätsel aufgab.

Lebenskraft, Lebenswachstum, Lebensbeeinflussung und Lebensrang sind nach Tempels die großen Begriffe sowohl für die Ontologie als auch für die Psychologie der Bantus, ja des Afrikaners schlechthin bis hinein in die „Neue Welt“.

Die Grundlage seines ganzen Lebensgefühls bildet die Lebenskraft, die er selbst besitzt, die er anderen mitteilen oder rauben kann, mit der er tieferstehende Kräfte in ihrem Sein beeinflussen kann. Alle Kraft aber kommt von Gott, der als Geist und Schöpfer über allen Kräften steht, der die Kraft hat durch sich selbst. Er gibt den anderen Kräften ihre Existenz, erhält und verstärkt sie. Nach ihm kommen die Stammesväter der verschiedenen Clane, dann die anderen Verstorbenen des Stammes, schließlich die Lebenden, die wieder nach ihrer Lebenskraft geordnet sind. Der lebende Mensch wiederum herrscht durch seine höhere Lebenskraft über Tier und Pflanze.

Damit wird wie mit einem einzigen großen Strich vieles klar: der Fetischismus, die Geisterund Ahnenverehrung, die Willkürjustiz der Schwarzen, die sich willenlos dem Befehl des Häuptlings oder einheimischen Richters fügen, die die höhere Lebenskraft besitzen, die ekstatischen Tänze, ja sogar der moderne Materialismus, in dem die Schwarzen oft nur den Weißen kopieren wollen, der durch seine höhere Lebenskraft die materiellen Dinge so vollkommen beherrscht.

Hier steht unserem Christentum und unseren Zivilisationstendenzen eine Weisheit gegenüber, die trotz aller Schulbildung immer wieder durchbricht. Hier liegen die „eigenen Ideen“, die Nkrumah bereits bei seinem grandiosen Wahlkampf spielen ließ. Diese „eigenen Ideen" muß das Christentum verchristlichen, wenn es je in Afrika Bedeutung erlangen soll. Das Christentum ist nach Pius XII. ja nicht das „Monopol einer besonderen Zivilisationsform. Es paßt sich leicht allen an, reinigt sie alle, gibt ihnen allen die Vollendung ihres eigenen Charakters, indem es sie auf Gott hin orientiert, auf das andere, ewige Leben, und sie eben dadurch alle im Geist eines wirklichen und gesunden Humanismus vervollkommnet.“

Hier sind die neuen Wege aufgezeigt. Für Afrika scheinen sie nicht einmal allzu schwer zu sein; denn gerade das Christentum ist wohl noch das einzige System des 20. Jahrhunderts, in dem die Lebenskraft noch als Wirklichkeit angenommen wird.

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