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Panamerikanische Solidarität

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Die Welt ist Zeuge eines bedeutungsvollen Ereignisses geworden: der erste Regionalpakt über gegenseitige Hilfeleistung ist unterzeichnet worden. Es ist bezeichnend für den tragischen Zustand völliger Gleichgewichtsstörung, in den zwei mörderische Kriege Europa versetzt haben, daß dieser erste konstruktive Schritt auf dem dornenvollen und noch so unübersehbaren Weg zum Weltfrieden nicht auf dem europäischen Kontinent erfolgt ist, dem hauptsächlichen Schauplatz der Zerstörungen durch die kriegerischen Entladungen, ja, daß dieser wichtige Fortschritt in der durch brennende Existenzsorgen in Anspruch genommenen Öffentlichkeit der Alten Welt nicht einmal die Würdigung erfahren hat, die ihm auch vom Gesichtspunkt der Zukunft Europas zukommt. Es war der Neuen Welt unter der Führung der Vereinigten Staaten vorbehalten, der nach dauerhaften Sicherungen des Friedens suchenden Menschheit ein Vorbild an kluger Voraussicht und Unterordung unter die Gesichtspunkte großräumiger Gemeinschaftsinteressen vor Augen zu führen.

Man wird gerechterweise zugeben müssen, daß eine Reihe naturbedingter Momente, wie die einheitliche Zugehörigkeit der Mittel, und Südstaaten des amerikanischen Kontinents zum iberischen Sprach- und Kulturkreis, der Vorrat an unausgeschöpften natürlichen Wohlstandsquellen und völkisdien Jugendkräften, schließlich auch die Eindeutigkeit der geopolitischen Zielrichtungen dieses Erdteiles, das Zustandekommen des panamerikanischen Regionalpaktes gefördert haben. Immerhin gab es auch hiebei recht beträchtliche Hemmungen und Gegensätze, die zu überwinden waren, um dieses Ziel zu erreichen. Der in den mittel- und südamerikanischen, besonders den kleineren Republiken sozusagen bodenständige Mangel an innerer Konsolidierung, der sich in häufigen, kaum mehr registrierbaren Umständen äußert — solche ereigneten sich auch unmittelbar vor und während der panamerikanischen Tagung in Rio de Janeiro —, territoriale Streitigkeiten wie zum Beispiel der Gran-Chaco-Konflikt und die weitgehend unterschiedliche Einstellung der ibero-amerikanischen Staaten zur kontinentalen Vormacht des Nordens und zu den europäischen Problemen haben ohne Zweifel einen hemmenden Einfluß auf das Gemeinschaftsbewußtsein des Kontinents ausgeübt. Demgegenüber war in den letzten Jahrzehnten — von der bereits in der Monroe-Doktrin (1823) anklingenden kontinentalen Solidarität in den Fragen der Abwehr außerkontinentaler Eingriffe und Einflüsse ganz zu schweigen — dem Vertragswerk, das am 2. September 1947 in Petropolis abgeschlossen wurde, in mancher Hinsicht zweckmäßig vorgearbeitet worden. Man entsinnt sich der engen Zusammenarbeit des Großteiles der amerikanischen Republiken in den Versammlungen und Ausschüssen des verewigten Völkerbundes und der mehrfachen, erfolgreichen Versuche, den kulturellen und wirt-schaftlidien Austausch der südamerikanischen Staaten untereinander zu koordinieren; selbst Ansätze zu Zollunionen, denen die Tendenz der Befreiung vom Übergewicht der nordamerikanischen Wirtschaftsmacht und von der einst so starken finanziellen Abhängigkeit vom Londoner Kapitalsmarkt zugrunde lag, waren während des letzten Weltkrieges zu verzeichnen.

Ein wesentlich gewichtiger Schritt auf dieser Bahn wurde auf Initiative Washingtons, das während des Krieges planmäßig und mit Aufwand ungeheurer Mittel das panamerikanische Bewußtsein in Mittel, und Südamerika gefördert hatte, im März 1945, kurz vor Kriegsende, durch das Übereinkommen von Chapultepec in Mexi-k o zurückgelegt. Dieses Übereinkommen sah bereits den Abschluß eines Paktes gegenseitiger Hilfeleistung zur Abwehr von Angriffen vor und wurde von allen Republiken des Kontinents, mit Ausnahme Argentiniens, das in scharfem Gegensatz zu Washington und mit seinen Sympathien auf Seite der Achsenmächte stand, unterzeichnet. Nach Kriegsende trat auch Argentinien dem Übereinkommen von Chapultepec bei. Seinen langjährigen Hader mit den Vereinigen Staaten von Nordamerika, der sowohl ideeller als auch wirtschaftlicher Natur war, vermochte Argentinien nun im Laufe der letzten Monate dank der Politik seines Präsidenten Peron beizulegen und damit den Weg zum panamerikanischen Kongreß freizumachen. Mit Ausnahme Kanadas, das als Teil des britischen Commonwealths eine Sonderstellung auf dem Kontinent einnimmt. und Nikaraguas, das infolge Niditanerken-nung seiner gegenwärtigen, durch Putsch zur Macht gelangten Regierung vorläufig nidit zugelassen wurde, war der gesamte amerikanische Kontinent durch die Außenminister auf dem Kongreß vertreten, der in Würdigung der Haltung und Leistungen Brasiliens im Weltkrieg, in dessen Hauptstadt Rio de Janeiro, beziehungsweise Petropolis, dem Höhenvorort der Hauptstadt, zusammentrat.

Das Gewicht dieses Ereignisses erheilt schon aus einigen wenigen Zahlen. Der amerikanische Kontinent umfaßt 42 Millionen Quadratkilometer mit rund 280 Millionen Einwohnern, etwa 12 Prozent der gesamten Menschheit. Das Gebiet, das der soeben unterzeichnete Solidaritätspakt begreift, erstreckt sich vom Nord- zum Südpol, unter Einschluß von Grönland und Neufundland — somit auch Kanadas — und über breite Zonen des Atlantischen und Pazifischen Ozeans.

Der Wortlaut des Paktes liegt zwar noch nicht vor, doch läßt die bekanntgegebene Inhaltsangabe die außerordentlidie Tragweite des Vertragsinstruments erkennen, das die lückenlose, sowohl ideelle als praktisch wirksame Solidarität der amerikanischen Hemisphäre hinsichtlich ihrer Sicherung nach außen und nach innnen festlegt und, in organischer Fortsetzung der Monroe-Doktrin, gleichsam zum GrundgesetzGesamt. Amerikas erhebt. Im Falle eines Angriffes auf einen der amerikanischen Staaten, beziehungsweise Gefährdung des im Vertrag abgesteckten Gebietes wird der leitende Ausschuß der panamerikanischen Union den Zusammentritt der Außenminister veranlassen, die mit Zweidrittelmehrheit über die zu ergreifenden Maßnahmen entscheiden werden. Solche Beschlüsse sind für all Signatarstaaten bindend. Eine einzige Ausnahme ist für die B e i s t e 11 u n g von Streitkräften vorgesehen, zu der kein Staat gegen seinen Willen gezwungen werden soll. Die hiedurch erzielte, freiwillige Einschränkung der Souveränität zugunsten gemeinschaftlicher Sicherheit stellt in diesem Ausmaße ein Novum im zwischenstaatlichen Recht und einen hoch zu bewertenden Fortschritt in der Richtung dar, in die der allgemeine Friedenswille und die technische Entwicklung der Kriegführung und der Waffen zwangsläufig weisen.

Diesem bedeutsamen Ergebnis sind, soweit aus den Presseberichten geschlossen werden kann, auffallend glatt und rasch verlaufene Beratungen der Außenminister der Signatarstaaten — bisher haben 17 den Pakt unterzeichnet — vorangegangen. Es waren hiebei gewiß verschiedene, auch tiefergreifende Gegensätze in der. Einstellung der Partner zu dem Fragenkomplex zu überwinden, denn es ging auch darum, in grundsätzlichen Belangen Souveränitätsrechte, wie etwa in der Frage der Neutralität gegenüber einem Angriff auf eine' Schwesterrepublik, dem Zwecke der kollektiven Sicherheit des Kontinents zu opfern. Argentinien, das während des zweiten Weltkrieges gegen den politischen und wirtschaftlichen Druck der Vereinigten Staaten und der überwiegenden Mehrheit seiner Nachbarn bis Kriegsende seine Neutralität zu behaupten vermochte, scheint während der Beratungen in Petropolis mehrere Versuche unternommen zu haben, durch Gegenanträge, die unter anderen auch auf die Aufnahme einer Vetoklausel abzielten, den Zwang der Solidarität zu lockern, konnte sich aber gegenüber dem einhelligen Willen der Mehrheit und der konzilianten Verhandlungstaktik der nordamerikanischen Vertreter nicht durchsetzen. Ebensowenig scheinen sich die in den letzten Jahren zunehmenden Bedenken der südamerikanischen Republiken gegen das gewaltige politische, militärische und wirtschaftliche Übergewicht der Vereinigten Staaten merklich geltend gemacht zu haben; einzelne Anträge, die darauf abzielten, im Rahmen der politischen Verhandlungen in Petropolis auch die kontinentalen Wirtschaftsprobleme auf die Tagesordnung zu setzen, wurden auf eine im nächsten Jahr voraussichtlich in Bogota abzuhaltende Wirtschaftskonferenz verwiesen. Aus dem bekanntgewordenen Verlauf der Beratungen ging schließlich hervor, daß der zustande gekommene regionale Sicherheitspakt keineswegs den Schlußpunkt der kollektiven Entwicklung auf dem amerikanischen Kontinent darstellt. Neben den wirtschaftlichen Fragen, die durch die stürmisch fortschreitende Industrialisierung und die im Einklang damit gesteigerten Unabhängigkeitsbestrebungen der ibero-amerikanischen Länder gegenüber Washington vordringlich geworden sind, soll auch der Sicherheitspakt selbst noch durch militärische Maßnahmen untermauert werden. Das angestrebte Ziel geht aus der im Mai 1947 an den Kongreß gerichteten Botschaft Mr. Trumans hervor: in der er die weitgehende Angleichung der Be. waffnung und der militärischen Ausbildung der nationalen Armeen des Kontinents aneinander als wünschenswert bezeichnete. In dieses Programm sollen Kanada und in erheblichem Maße auch das gesamte britische Empire einbezogen werden.

Wir stehen demnach den bereits festgefügten Fundamenten und ausgearbeiteten Plänen eines gewaltigen politischen und ökonomischen Kräftekombinats gegenüber, dem als Bollwerk der Demokratie westlicher Prägung und schier unerschöpflidicr Speicher wirtschaftlicher Energien eine ausschlaggebende Rolle in der Führung der künftigen Weltpolitik zufallen muß. Der Regionalpakt von Rio stellt ohne Zweifel einen sehr beachtlichen Erfolg der zielbewußten Außenpolitik der Vereinigten S t a a t en dar. Er wird angesichts der lähmenden Spannungen, die die gegenwärtige Weltpolitik kennzeichnen, zwangsläufig Mißtrauen auf Seite des Gegenpols auslösen.

Es hieße aber die Beweggründe und Ziele des Paktes von Rio völlig verkennen, wollte man seinen defensiven Grundcharakter übersehen und ihm imperialistische Tendenzen unterschieben. Ebensowenig wäre der Vorwuf gerednfertjgt, daß es sich hier um eine Beeinträchtigung oder Schwächung der Grundsätze der Charta der Vereinten Nationen handle. Es kann daran erinnert werden, daß die Bildung regionaler Gruppen — die mit ihren inneren wie äußeren Streitfällen nicht minder der Kompetenz der Vereinten Nationen, beziehungsweise des Sicherheitsrates unterworfen bleiben — in der Charta ausdrücklich als zweckdienliches Mittel zur Förderung des Friedens empfohlen Sind. Diese Übereinstimmung mit den Satzungen wurde durch die zeitweilige Anwesenheit und die Anspradie des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Trygve Lie, an die Konferenz von Rio unterstrichen. Zudem haben Mr. Marshall, der als erster Delegierter der Vereinigten Staaten fungierte, wie auch Präsident Truman, der der Pakt-unterzeidinung durch seinen Staatsbesuch in Rio besonderes Gewicht verlieh, in ihren Reden mit starkem Nachdruck gerade das Vertrauen der Vereinigten Staaten in die UNO und den Willen des amerikanisdien Kontinents betont, am Wiederaufbau Europas werktätig mitzuarbeiten und die Vereinigung aller demokratischen Völker der Erde zu einem wirksamen Instrument des Weltfriedens zu gestalten.

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