Paradox und komplex

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Auch mit der FP in der Regierung kommen die Entschädigungsverhandlungen für NS-Unrecht voran. Die Zweifel an Österreich sind dennoch nicht ausgeräumt.

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Auch mit der FP in der Regierung kommen die Entschädigungsverhandlungen für NS-Unrecht voran. Die Zweifel an Österreich sind dennoch nicht ausgeräumt.

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Politik funktioniert auch in Österreich mitunter nach paradoxen Gesetzen: Da gerät der Präsidentschaftswahlkampf zur Auseinandersetzung um das Verhalten des Kandidaten während der Nazi-Herrschaft und um seine späteren Erinnerungslücken dazu. Das Ganze wird zur politischen Schlammschlacht, der im Lande unter der Oberfläche brodelnde Antisemitismus kommt hoch. Eine Mehrheit hält sich an die mit schwarzer Schrift auf gelbem Grund gedruckten Plakate, auf denen "Wir Österreicher wählen, wen wir wollen" steht - und der international isolierte Kandidat Kurt Waldheim wird Bundespräsident. Das Jahr des Geschehens: 1986.

Gleichzeitig wird im Land die überfällige Diskussion über die Mitverantwortung Österreichs und von Österreichern an der Schoa, der NS-Judenvernichtung, endlich breit geführt; das offizielle Österreich verabschiedet sich von der Lebenslüge, erstes Opfer Nazideutschlands gewesen zu sein. Zur selben Zeit beginnen Christen den Dialog mit den Juden im Lande, die bis dahin ein unbemerktes Leben geführt haben. Erst in diesen Jahren besucht ein Wiener Kardinal (Hans Hermann Groer!) erstmals die jüdische Gemeinde Wiens.

Hoffnungsvolles Fazit der Waldheim-Zeit: Österreich stand am Pranger der Welt, der boykottierte Präsident und viele Landsleute fühlten sich unverstanden. Doch gerade damals begann paradoxerweise die breite Aufarbeitung verdrängter Vergangenheit und verschwiegener Geschichte.

Manches aus hier beschriebenem Szenario scheint sich in der gegenwärtigen politischen Situation zu wiederholen: Die international scharf kritisierte Regierungsbeteiligung der FPÖ hat Österreich erneut in die negativen Schlagzeilen gebracht; trotz der allmählichen Normalisierung der Beziehungen zur EU wird Österreich misstrauisch beobachtet und noch lange angehalten sein, seine Sensibilität in Bezug auf die Verstrickungen in die NS-Herrschaft zu beweisen.

Und wiederum erscheint manches paradox: Gerade unter der derzeitigen Regierung kamen die Entschädigungsverhandlungen für NS-Zwangsarbeiter zügig zum Abschluss. Am 24. Oktober wurden in Wien die entsprechenden Verträge unterzeichnet. Und dass jetzt endlich die Frage der Arisierung jüdischen Eigentums auf der politischen Agenda steht, gibt ebenfalls zu vorsichtigem Optimismus Anlass.

Hierzulande gerät also einiges in Bewegung. Klar bleibt aber auch: Nicht nur österreichische Selbstbesinnung ist für die Fortschritte verantwortlich; ähnliche Vereinbarungen in Deutschland oder die US-Sammelklagen haben den Druck auf Österreich heilsam erhöht.

Bei den Entschädigungen für die Arisierungen ist ebenfalls zu hoffen, dass die Verhandlungen rasch weiterkommen. Allerdings stellen sich diese Fragen wesentlich komplexer dar als bei den Zwangsarbeitern. So präsentierte die von der Regierung beauftragte Historikerkommission erst dieser Tage ihren Bericht über die Arisierung von Mietwohnungen in Wien: In der Bundeshauptstadt wurden jüdischen Bürgern 60.000 Wohnungen geraubt. Schon allein hier eine praktikable Entschädigungslösung zu finden, scheint schwierig. Dabei ist diese Frage bloß ein Mosaikstein aus dem Schreckensbild, das die NS-Herrschaft in Österreich hinterlassen hat.

Ernst Sucharipa, Sonderbotschafter für Restitutionsfragen, hat zweifelsohne einen mehr als schwierigen Job. Dennoch ist das eingeschlagene Tempo - nach den Jahrzehnten der Verschleppung und Verleugnung des Problems - beeindruckend.

Auch in den Symbolen präsentiert sich Österreich als lernfähige Gesellschaft. Das Mahnmal für die 65.000 von den Nazis ermordeten österreichischen Juden in Wien stellt ein stummes, aber eindrückliches Zeichen der Erinnerung an die dunkelste Zeit österreichischer Geschichte dar. Ins gleiche Bild fügt sich, dass am 9. November in Graz die wiedererrichtete Synagoge eröffnet werden kann - genau 62 Jahre nach ihrer Zerstörung in der so genannten "Kristallnacht" (Seite 7 dieser furche).

Bedeutet das, dass - trotz der Regierungsbeteiligung der FPÖ - die Österreicher endlich ein angemessenes Geschichtsbewusstsein in Bezug auf die Gräuel der Schoa sowie der österreichischen Verstrickung dabei entwickelt haben?

Neben der Hoffnung, dass die Regierung in den Entschädigungsfragen ihr Tempo einhält, bleiben Zweifel: So argumentierte Finanzminister Karl-Heinz Grasser vor einigen Tagen, die derzeit von der Regierung angebotenen 2,46 Milliarden Schilling für den NS-Opferfonds stellten eine Obergrenze dar. Höhere Forderungen würden die "Bereitschaft der österreichischen Bevölkerung" überstrapazieren. Derartige Sprache ist leider altbekannt: Mit solchem Hinweis auf die angeblichen Gefühle der Bevölkerung wurden die Entschädigungen der jüdischen NS-Opfer seit Kriegsende verschleppt.

Bei der Enthüllung des Schoa-Mahnmals am Wiener Judenplatz glänzte - weil nicht eingeladen - die Bundesregierung durch Abwesenheit. Auch diese Tatsache zeigt, wie weit Österreich noch davon entfernt ist, mit sich ins Reine zu kommen. Eine nationale Bedenkstätte wie der neu gestaltete Wiener Judenplatz müsste auch ein Ort sein, an dem sich jede Regierung unmiss- und selbstverständlich zur Geschichte Österreichs im 20. Jahrhundert bekennt: "Da gibt es kein Ausweichen oder Wegschauen, kein Verständnis oder Zugeständnis", sagte Bundespräsident Thomas Klestil bei der Enthüllung des Mahnmals. Solange jedoch die derzeitige österreichische Bundesregierung dieses Bekenntnis nicht spricht - oder sprechen kann, weil es ihr die Nachkommen der Opfer nicht abnehmen - ist Österreich mit seiner Geschichte eben nicht im Reinen.

In diesem Zusammenhang betrifft die Forderung nach glaubwürdiger "Reinigung" des Gedächntisses natürlich in erster Linie die Minister und Politiker aus den Reihen der FPÖ: Ihnen eine unzweideutige Haltung zu Geschichte, Vorgeschichte und Nachwirkung des Nationalsozialismus konzedieren zu können, wäre ein Teil jenes historischen Schrittes, den die Welt von Österreich immer noch erwartet.

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