6679326-1961_36_06.jpg
Digital In Arbeit

Paris blickt nach Berlin

Werbung
Werbung
Werbung

Die internationale Publizistik hat sich seit dem Ausbruch der Berlinkrise zur Gewohnheit gemacht, die diplomatischen Positionen in den westlichen Hauptstädten unter den Gesichtspunkt einer Art Härteskala zu kommentieren. Diese Skala soll die Unnachgiebigkeit westlicher Staatsmänner vergleichen und zu einer Rangliste ordnen. Nach übereinstimmendem Urteil fällt der erste Platz Bundeskanzler Adenauer zu, dessen „Härte“ von den einen als

Zeichen des überlegenen Staatsmannes gedeutet, von den anderen auf die Gebrechen des Alters zurückgeführt wird. Er wird unmittelbar gefolgt von Staatspräsident de Gaulle, der sich die Spitzenstellung gewiß mit seinem leichten Augenzwinkern in der Frage der Oder-Neiße-Linie verscherzt hat. Zwischen ihnen und Premierminister MacMillan öffnet sich eine Lücke, in die sich vermittelnd die breite Gestalt Präsident Kennedys schiebt. Dem britischen Premier fällt es also zu, als ,,Weichster" die Rangliste abzuschließen; eine zwiespältige Aufgabe, die ihm viele Mißverständnisse, aber auch das Lob eintrug, die letzte noch ungeborstene Säule westlicher Diplomatenkunst darzustellen.

Nun startet der deutsche Bundeskanzler gewissermaßen „außer Konkurrenz“: er handelt in „eigener Sache“ und gehört dem entscheidenden Triumvirat der Westmächte nicht an, in dessen Konferenzen sein Außenminister höchstens gelegentlich „gehört" wird. Damit fällt es Frankreich mit dem die Bundesrepublik eine wirtschaftliche Gemeinschaft von politischer Zielsetzung eingegangen ist zu, die Argumente der „Härte“ in diesem Gremium zu vertreten. Dieses Mandat ist in Frankreich auf Kritik gestoßen, wo die „Linke“ teilweise die Auffassung vertritt, der Aden- auer’schen „Großmachtpolitik“ dürfe keine Stimme geliehen werden.

Kritik der „deutschen Politik“

Am äußersten Flügel der radikalen Kritik stehen die Kommunisten, die unermüdlich die Platte ihres Herrn in Moskau abspielen. In ihrem Weltbild ist Bonn eine Neuauflage des deutschen Militarismus, die juristische Basis des Berliner Statuts verfallen, Berlin ein westliches Spionagezentrum auf dem Territorium der Demokratischen Republik, die Wiedervereinigung eine Angelegenheit der beiden deutschen Staaten. Die französischen Kommunisten können den Tag des jüngsten Gerichtes kaum erwarten, den sie mit Hilfe ihrer sowjetischen Freunde selbst abzuhalten gedenken.

Ernstzunehmen ist eine zweit Gruppe, die ihrem Publikum mehr Realismus in der Betrachtung der politischen Lage empfiehlt. Ihre Argumente bezieht sie meist aus englischen Pressestimmen. Nach dieser Auffassung ist es das erklärte Ziel Chruschtschows, der deutschen Wiedervereinigung durch die faktische und juristische Anerkennung der DDR einen weiteren Riegel vorzuschieben. Als entscheidende Motive gelten seine Absicht, das Satelliten- system zu konsolidieren und die

Furcht vor der westdeutschen Remilitarisierung.

Da diese sowjetischen Ziele für den Westen ohne weiteres konzedierbar eien, weist diese „Schule“ das Risiko eines Atomkrieges als unsinnig zurück und empfiehlt, die DDR de facto und de jure anzuerkennen. Sie begründet diese Auffassung mit folgenden Argumenten: 1. Es ist eine Tatsache, daß die DDR seit zwölf Jahren existiert; das Regime ist zwar nicht vom Volk gewählt worden, aber es wird von Chruschtschow wirksam und entschlossen gestützt. 2. In der UNO sind genügend Staaten vertreten, deren Regierungen den Völkern mit Gewalt aufgezwungen werden; weshalb also nicht auch die DDR? 3. 93 Prozent des Verkehrs zwischen Berlin und der Bundesrepublik werden ohnehin schon von der DDR kontrolliert. 4. Trotz dem legitimen Anspruch des gesamten deutschen Volkes auf Wiedervereinigung besteht im Moment keine Aussicht, diesen Wunsch zu verwirklichen; wenn seine Realisierung eines Tages in den Bereich des Möglichen rücken sollte, wird sie durch die Anerkennung der DDR nicht erschwert; (so Jules Moch im „Figaro“). 5. Die Anerkennung der DDR würde lediglich den gefährlichen westdeutsch-amerikanischen Plan einer Angliederung deutscher Ostgebiete an die Bundesrepublik gegenstandslos machen; ein Plan, „der die Anwendung von Waffengewalt in Erwägung zieht und die Ausdehnung des deutschen Kapitalismus beabsichtigt“ (France Observateur). 6. „Auch für einen erfreulicheren sozialistischen Staat als die DDR wäre die von Adenauer durch Propaganda und sehr hohe Lohnköder ausgeübte Destruktionspolitik auf die Dauer unzumutbar Durch eine totalitären und polizeistaatlichen Aspekte ist Pankow schlimmer als Bonn. Durch andere Aspekte: Militarismus, Irredentismus, Einfluß alter Nazis, ist Bonn schlimmer als Pankow. Es ist erlaubt, zwischen den beiden zu schwanken“ (France Observateur).

DDR gegen Berlin-Statut?

Nach Auffassung dieser Gruppe wäre gegen den Preis der Anerkennung der DDR ein neues Berlin-Statut einzuhandeln, das die Rechte der Westmächte erneut festlegt und garantiert.

Dies könnte etwa durch die Umwandlung von ganz Berlin in eine „Freie Stadt“ geschehen, deren Freiheit durch die Anwesenheit von UNO- Truppen und durch die Garantien der vier Großmächte gewährleistet werden könnte. Nach Meinung anderer könnte sich die Konstruktion einer „Freien Stadt“ auch auf West-Berlin alleine beschränken. Wenn wir diese „Realisten" richtig verstanden haben, droht Chruschtschow also mit einem Atomkrieg, um eine Entwicklung zu erzwingen, die für die Westmächte nicht nur keine wesentliche Veränderung erbringt, sondern sogar eine erueute ausdrückliche Garantie ihrer Rechte in West-Berlin oder gar dem gesamten Berlin verspricht.

Der Standpunkt der französischen Regierung in der Beurteilung der politischen Absichten Moskaus ist von der oben skizzierten Meinung nicht wesentlich verschieden. Aber was den „Realisten“ als eine dem Frieden zuträgliche Konsolidierung des Status quo erscheint, bedeutet in ihren Augen die Schaffung einer gefährlichen Spannung in Europa. Eine Anerkennung der „DDR“ stellt nach ihren Überlegungen keine konzedierbare oder gar wünschenswerte Nebensächlichkeit dar, sondern den Anfang vom Ende.

Den Schlüssel zu dieser grundsätzlich verschiedenen Gewichtung der drohenden Entwicklung bildet offenbar eine verschiedenartige Einschätzung der psychologischen Reaktion in der Bundesrepublik und der Bedeutung des Symbols „Berlin“. Am Quai d’Orsay begreift man das Berlin- Statut nicht nur als juristische Grundlage für die Anwesenheit der Westmächte in West-Berlin, sondern auch als Unterpfand für die Verantwortlich keit der vier Großmächte gegenüber der deutschen Teilung und Wiedervereinigung, deren man sich nicht entledigen kann wie einer unbequemen Bürde. Eine Annullierung dieser Verbindlichkeit, die die deutsche Wiedervereinigung zur alleinigen Angelegenheit der „beiden deutschen Staaten" machte, hätte somit nach der Beurteilung der französischen Politik die Bedeutung eines völligen Scheiterns der Außenpolitik Adenauers und seiner CDU. Die Folge wäre ein moralischer Zusammenbruch der Bundesrepublik, ihre Abwendung von den westlichen Verbündeten und ein Abgleiten auf die glitschigen Pfade eines gefährlichen Neutralismus. Die europäische Plattform der NATO würde erheblich schrumpfen und auf die Dauer die

Anwesenheit amerikanischer Truppen unmöglich machen. NATO und EWG würden auffliegen und das isolierte Frankreich mit in den Abgrund gerissen. Diese beispielsweise von Jacques Chastenet (Mitglied der Acadėmie Franęaise) unlängst beschworene Entwicklung ist ein Nachtmahr für viele Franzosen und eine entscheidende Kausalkette von karte- sianischer Logik in den Kombinationen der französischen Regierung.

Da man in Paris nicht das angeblich unbefriedigende Statut als Ursache der Krise betrachtet, sondern die Absicht der Sowjetunion, eine Veränderung der Machtverhältnisse zu erzwingen, erscheint hier eine Anerkennung der DDR nicht nur als gefährlich, sondern auch noch als absolut ungeeignet, die Rechte der Westmächte in Berlin zu behaupten. Die neue Chinesische Mauer in Ost- Berlin wird als Beispiel sowjetischer Vertragstreue interpretiert, das wenig Vertrauen in den Sinn neuer Abmachungen gibt, denen man nicht Nachachtung verschaffen könnte. Zwischen Moskau und Paris besteht im Moment nur in zwei Punkten Übereinstimmung: 1. der gegenwärtige Stand der Deutschlandfrage ist unbefriedigend; 2. nur Verhandlungen können einen Ausweg aufzeigen. Nach französischer Auffassung kann ein Gespräch jedoch nur fruchtbar sein, wenn eine vorausgegangene Entspannung den allseitigen Willen zur friedlichen Verständigung hat erkennen lassen.

„Aufzug der Majestäten“

Offizieller Empfang und tägliche Auffahrt vor der Skupschtina sollen offenbar das Hochgefühl der Gäste stärken. Bei keinem königlichen Empfang, bei keiner Gipfelkonferenz sah ich je solche Regie und solchen Pomp. Belgrad ist auf Hochglanz hergerichtet. In den Amtsgebäuden — und fast jedes schöne Haus ist ein Amtsgebäude — sind alle Räume die ganze Nacht hell beleuchtet. Alle Zäune sind für dieses Ereignis frisch gestrichen worden. Die Bauern aus der Umgebung dürfen sich mit ihren Pferdewagen bei Tag nicht sehen lassen und müssen zwischen zwölf Uhr nachts und sechs Uhr morgens ihre klapprigen Gespanne zum Markt führen. Stunden, bevor die Konferenz beginnt, riegeln Soldaten in hellblauer Paradeuniform ganze Stadtteile ab, durch die die Konvois fahren. Sorgfältig ist man darauf bedacht, daß die Delegierten eben nur den Geruch des Volkes spüren.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung