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Parteiische Geschichte der Gewerkschaften

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Die österreichischen Gewerkschaften, 2 Bände. Von Fritz Klenner. Verlag des Oesterreichischen Gewerkschaftsbundes, Wien 1953. 1148 Seiten.

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Die österreichischen Gewerkschaften, 2 Bände. Von Fritz Klenner. Verlag des Oesterreichischen Gewerkschaftsbundes, Wien 1953. 1148 Seiten.

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Der erste, bereits in def „Furche" besprochene Band der umfangreichen Geschichte der österreichischen Gewerkschaften enthält eine Darstellung des Entstehens der Arbeiterbewegung und der Freien Gewerkschaften bis 1928. Der nunmehr vorliegende Band zeigt die Entwicklung der Freien Gewerkschaften von 1928 über die Zeit der Illegalität bis 1945. Daneben gibt der Autor einen, das darf man mit Genugtuung feststellen, weitgehend objektiven Abriß der Geschichte der Christlichen Gewerkschaftsbewegung, der DAF und der nationalen Gewerkschaften. Den Abschluß bildet eine Geschichte der einheitlichen Gewerkschaftsbewegung ab 1945 in Oesterreich und die Herausstellung der für die gegenwärtige wie zukünftige Gewerkschaftsbewegung dominanten Probleme. Im Anhang findet man eine Zeittafel, ein Namen- und Sachregister und ein Literaturverzeichnis.

So sehr dem Autor an vielen heiklen Stellen an Objektivität gelegen zu sein scheint, da, wo es um strittige Auseinandersetzungen zwischen „Links" und „Rechts" in der österreichischen Innenpolitik geht, vermag er nicht über seinen Schatten zu springen und hat nicht den Mut, seine Auftraggeber zu enttäuschen. Die Tatsachen etwa der österreichischen Innenpolitik nach 1918 sind mehr als einseitig gebracht (auch in der Auslassung liegt doch Tendenz). Der Verfasser übersieht zum Beispiel, daß die Entwicklung von Heimatschutz und Schutzbund auf Grund einer gegenseitigen „Anregung“ erfolgte. Alle Schuld an tragischen innenpolitischen Entwicklungen einseitig und polemisch einer Gruppe anzulasten, heißt an das Erinnerungsvermögen der Leser wenig Anforderungen stellen. (Eine solche Form der Geschichtsdarstellung ließe sich bestenfalls in einem Jugendbuch des Wiener Stadtschulrates verwenden.) Grotesk aber wird es, wenn als Quelle Herr Charles Gulick („Oesterreich von Habsburg zu Hitler") zitiert wird. Das bedeutet doch nichts anderes, als sich selbst zum Zeugen anzurufen. Es würde dem Erkenntniswert des Buches sicher nur nützen, hätte man vielfach den Jargon der Parteipolitik und billiger Tagespolemik nicht restlos übernommen. Ein ungutes Gefühl etwa bekommt man, wenn man allzuoft den zuweilen völlig nichtssagenden Begriff „bürgerlich" vorgesetzt bekommt. Man kann sich da des Eindruckes nicht erwehren, daß der Autor nur die nichtmarxistischen „Bürger" meint, während er die Bürger in den eigenen Reihen (auch die Sozialisten haben einen „Freien Wirtschaftsverband", dem keineswegs die Masse der Proletarier angehört), geflissentlich vernachlässigt, gar nicht zu reden von der satten Bourgeoisie, als die sich das mehrheitlich sozialistische Managerkorps der verstaatlichten Betriebe dem baß erstaunten, noch durch die alte Parteischule gegangenen einfachen. Genossen zeigt.

Aehnlich ist es, wenn man das Wort „Faschismus" als Etikette für fast alles vorgesetzt bekommt, was nicht der politischen Meinung des Verfassers konform ist.

Eine Gewerkschaftsbewegung, die „gelb" ist, hat keine Funktion. Es ist erfreulich, daß Klenner den Mut hat, auch auf die tödliche Gefahr hinzuweisen, in der sich die österreichische (und jede) Gewerkschaftsbewegung im Status der weitgehenden Verstaatlichung der Produktionsmittel befindet, angesichts der Ablösung des Privatunternehmers durch den (vielleicht aus den Reihen der Gewerkschaftsfunktionäre kommenden) Beamten- Unternehmer.

Für die Schilderung der Entwicklung der Gewerkschaften in der Zweiten Republik vermißt man ein Eingehen auf den Umstand, daß eine Chance der Sozialreform, des Werksgenossenschaftsgesetzes, bewußt nicht genutzt wird. In der Frage Mitbestimmung darf man doch glauben, daß diese Institution dem Arbeiter nützen soll und nicht der Ausbreitung der „Gemeinwirtschaft" (zu deren Anhängern auch hartnäckige Individualisten wie viele Bauernführer gehören).

Diese kritischen Bemerkungen waren unvermeidlich. Muß es doch immer wieder unsere Sorge sein, die Ueberparteilichkeit der Gewerkschaftsbewegung und ihr sinnvolles Funktionieren zu sichern. Lim der Gewerkschaftsidee willen, die noch in keiner Zeit so gefährdet war wie jetzt. Der Feind der Gewerkschaftsbewegung steht nicht allein „rechts", sondern zeigt sich auch als zum Glaubenssatz gewordener Willen zur Sozialisierung, die notwendig zum Abbau gewerkschaftlicher Substanz führen muß, und in der Neigung zur Verbürgerlichung, aus der heraus Ideologien konstituiert werden, welche die heiße Sehnsucht so vieler Funktionäre, zu Macht und hohem Einkommen zu gelangen, verdeckt.

Trotz aller Vorbehalte darf ich abschließend sagen: Ein ausgezeichnetes, materialgeladenes Buch, eine Leistung, der auf der anderen Seite nichts Gleichwertiges gegenübersteht. Der Gewerkschaftsbund verdient Dank dafür, daß er geholfen hat, eine ungemein wichtige Monographie zur Geschichte der österreichischen Wirtschaft herauszugeben, die bei richtig verstandenem Gebrauch auch dem christlich gesinnten Sozialreformer viele wertvolle Unterlagen zu bieten vermag.

Prof. Dr. Anton Burghardt

Lueger und sein Wien. Ein Volksbuch um den großen Bürgermeister Wiens. Von Dr. Richard Soukup. Herausgeber: Landesparteileitung Wien der Oesterreichischen Volkspartei. 317 Seiten.

„Das vorliegende Buch hat", wie seine Herausgeber ausdrücklich betonen, „nicht den Ehrgeiz, als Quellenwerk, das mit neuen Forschungsergebnissen aufzuwarten vermag, gewertet zu werden." Es will einfach ein volkstümliches „Lueger-Brevier" sein, das in Wort und Bild, durch persönliche Erinnerungen von Politikern und Anekdoten, die Erinnerung an den großen Volksführer und Wiener Bürgermeister wach erhält. Mit seinen bewußt volkstümlich geschriebenen Darstellungen, die im allgemeinen dem von Kuppe, Stauracz und anderen Zeitgenossen mit viel Liebe und Verehrung vorgezeichneten Lueger-Bild folgen, wird das Buch wieder vielen Menschen der älteren Generation Freude bereiten. Eine andere Frage ist es, ob die richtige Form gefunden wurde, der „Generation von heute" — ihr ist das Buch ausdrücklich zugeeignet Jas

Wesen und die zeitlosen Verdienste Dr. Ludgers neu zu vermitteln. Hier wäre eine frischere Sprache und der Verzicht auf allzuviel Sentiment vorzuziehen gewesen. Nicht zu vergessen, eine dem Geschmack unserer Tage entsprechendere graphische Ausgestaltung. (Einband!)

Uneingeschränktes Interesse werden hingegen sicher die zahlreichen politisch und kulturhistorisch interessanten Bilder aus dem Wien der Lueger-Zeit finden. Eine so gut wie unbekannte "Photographie zeigt Lueger kurz vor seinem Tod auf seinem Krankenbett, mit sorgenvoll in die Hand gestütztem Kopf. Sie ist nicht nur eine Meisterleistung der jungen Photokunst, sondern zeigt in menschlich erschütternder Art jenen anderen Lueger, der bei allen' populären Darstellungen zu kurz kommt: nicht den „schönen Karl" oder den „Herrgott von Wien“, sondern den großen Kämpfer und Bahnbrecher an der Wende unseres Jahrhunderts, an der Wende zweier Zeiten. Dr. Kurt Skalnik

Die großen Tage. Von Mirabeau zu Bonaparte. Von Paul Sethe. Verlag Heinrich Scheffler, Frankfurt a. M. 327 Seiten. Preis 14.80 DM.

In seinem durchaus gelungenen Versuch, den Ablauf der Französischen Revolution in allgemeinverständlicher Form zu schildern, hat Paul Sethe die Forschungsergebnisse der modernen Schule verwertet und sich von den sogenannten klassischen, mehr propagandistisch schaffenden Autoren emanzipiert. Sehr überzeugend stellt er fest, wie schnell die grundsätzlichen Forderungen — Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit — vergessen waren, wie die Straße schon in den Anfängen mobilisiert, die Freiheit dem Terror der sich ablösenden Parteien weichen müßte, und die Brüderlichkeit, selbst innerhalb der Klubs, zu einer hohlen Phrase wurde. Nichts ist derart mißbraucht worden als die Parole „Egalite", die nur die Gleichheit vor den Gesetzen zu gewährleisten hatte und keineswegs das Entstehen einer Elite aus den zur Macht gelangten Schichten ausschließen sollte. Durch diese nivellierende Tendenz wurde nach Ausschaltung der frei» gewählten Volksvertretungen, der Pariser Commune und dem eigentlich illegalen Wohlfahrtsausschuß, der Weg zu einem terroristischen Regime frei gemacht.

Neben der Schilderung der hauptsächlichen Begebenheiten sind auch die Charakteristiken der markantesten Persönlichkeiten, frei von allen Legenden, dem Autor geglückt, wenn auch die Ludwigs XVI. allzu strenge ausgefallen ist. Wie sollte sich der im enge umgrenzten Milieu des Versailler Hofes lebende König die auf ihn einstürmenden Probleme, die in diesem Ausmaß niemals einem Souverän gestellt worden waren, erfassen?

So sei dieses aufschlußreiche Werk auch jenen empfohlen, die sich irgendwie mit politischen Problemen zu befassen haben. Sie werden zur Erkenntnis gelangen, daß alle Revolutionen seit 1789 im wesentlichen denselben Verlauf nahmen, die Machthaber aller Erhebungen dieselben Fehler begangen und aus den Lehren der Jahre 1789 bis 1799, soweit, sie diese überhaupt zur Kenntnis nahmen, nicht beherzigt haben.

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