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Parteisorgen

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Nur ein ganz oberflächlicher Beobachter, der sich mit dem Überfliegen der Schlagzeilen in der deutschen Presse begnügt, vor allem in jener, die vor einigen Wochen den „diplomatischen Bruch mit Washington“ erfand, um ihn jetzt angesichts des ferienruhebedürftigen Konsumpublikums wieder von der Bildfläche bin-wegzupraktizieren, kann sich mit den nichtssagenden Bonner Kommuniques zufrieden geben, die davon künden, daß nun alles wieder gekittet und in Ordnung sei. Selbst wenn wir uns hier nicht mit dem weltpolitischen Aspekt der deutschen Situation befassen und nichts über die Labilität im Gesamtgefüge des westlichen Bündnisses, die mehr als bedenklich stimmt, sagen wollen, bleiben genügend Phänomene und Anhaltspunkte der innerdeutschen Lage übrig, die geeignet sind, vor einem leichtfertigen Optimismus zu bewahren.

Man spricht heute bereits — im Ausland lauter als in Deutschland selbst — vom „Ende der Ära Adenauer“. Das ist ungenau ausgedrückt. Die Ära Adenauer im eigentlichen Sinn war in der Wahlnacht des 17. September zu Ende, als der deutsch: Kanzler die Machtbasis der absoluten Mehrheit im Bundestag verlor und, ohne seine Partei allzuviel tu befragen, die Koalition mit den Freien Demokraten schließen mußte. Ve.-sts-ht man unter der „Ära Adenauer“ also das persönliche Regiment des Alten von Bonn, der trotz gelegentlicher Ansätze zur Weltanschauungspolitik die Grundsatzüberlegungen der CDU immer seiner Staatspolitik unterzuordnen pflegte, dann befindet man sich bereits seit geraumer Zeit im „NachKanzler-Zeitalter“. Versteht man darunter aber das Gesamtkonzept der von Adenauer geführten deutschen Nach-kriegspolitik, dann kann man eher von einer nachträglichen Bestätigung und Zementierung dieses Kurses sprechen. Die noch vor wenigen Jahren oppositionelle SPD ist unter der harten Führung des tatkräftigen Pragmatisten Wehner so auf die Linie des Bonner Kabinetts eingeschwenkt, daß die CDU-Propagandisten im zur Zeit anhebenden Landtagswahlkampf sich den Kopf über irgendwelche grundsätzliche Unterschiede zwischen Schwarz und Rot zerbrechen müssen. Die FDP hat den opportunistischen Kurs ihres Chefmanagers Mende nach einigem Kokettieren in rechte und linke Richtung nun doch zum allgemeinverpflichtenden gemacht, und alle Jugendsünden ihrer verschiedenen Hügel und Grüppchen sind heute längst versunken und vergessen.

Man könnte nun freilich diesen Zustand als „nationale Konzentration“ bezeichnen und ein Zusammenrücken der Parteien angesichts einer unbestreitbar schwierigen Zukunft für alle Fälle gutheißen. Nun ist das Gemeinh same aber nicht jenes Vaterlandsgefühl, das ein de Gaulle den Franzosen mit mehr oder minder großem Erfolg zu vermitteln sucht, sondern nichts anderes als der kleinste gemeinsame Nenner, auf den am Ende jede Politik zurückzuführen ist: die bloße Existenzsicherung, das Bestreben, durch ein Taktieren von Tag zu Tag den gegenwärtigen Zustand um jeden Preis aufrechtzuerhalten. Den Alarmrufen der Massenpresse, die angesichts der gewiß nicht unbedenklichen Sondierungsgespräche der USA mit den Sowjets, die ja nun dank der sowjetischen Politik erfreulicherweise wieder gegenstandslos zu werden beginnen, vom „Verrat der Amerikaner“ trompeteten, war eine schrille Hysterie eigen, die so gar nicht zur allgemeinen Massenstimmung in der Bundesrepublik passen wollte. Schlagworte aus der Weimarer Zeit wie jene vom „Dolchstoß“, der „Erfüllungspolitik“ oder des „Schandfriedens“ fänden heute kaum noch ein Echo, besonders wenn sie auf Umwegen von ganz links her in Kurs gesetzt werden sollten.

Das wahre Vakuum liegt viel tiefer. Die christlichen Demokraten beider Konfessionen, die sich 1945 zur CDU zusammenschlössen, stehen heute ohne einen wirklichen Gegner da. Sie verdanken dies einem beängstigend weit gediehenen Prozeß der Aufwekiung im ganzen bei gleichzeitiger Aufsplitterung im einzelnen. Anders als in Österreich, wo die Sozialisten vor allem in den letzten Monaten durch ihre sehr deutliche Profilierung die Volkspartei wohl oder übel zu einer schärferen Herausarbeitung des eigenen Gesichts zwingen dürften, haben Rechtssozialismus und Nationalliberalismus im benachbarten Deurschland die Wohlstandsparole des Wirtschaftswunders aufgegriffen und zur propagandistischen Waffe gegen die CDU selbst gemacht. Die Auseinandersetzung droht jenen grundsätzlichen Charakter zu verlieren, der .eine Demokratie vor dem trägen Versinken in einen- spießerischen Nihilismus bewahrt; der gelassen' alles für richtig erklärt und dabei insgeheim grinsend meint, daß ebensogut auch alles falsch sein könne.

Für die CDU, die nun knapp yor einem ihre weitere Geschichte entscheidenden Parteitag in der Industriestadt Dortmund steht, erheben sich angesichts dessen Aufgaben und Forderungen, die denen der Anfangsjahre um 1945 an Schwere kaum nachstehen werden. Es gilt, zunächst einmal die Eigenständigkeit der Partei als einer primären Stätte grundsatzpolWscher

Willensbildung zurückzugewinnen. Die Ebene der Regierungspolitik ist und bleibt eben eine andere. Mag der Taktiker Adenauer einen Affront gegen die kapitalistischen Machenschaften des Volkswagenwerksdirektors aus koalitionspolitischen Gründen für nicht opportun halten. Eine Partei ; christlichem Gesellschaftskonzept muß sich dessenungeachtet zu einem energischen Nein entschließen und — getreu der nicht nur einseitig auszulegenden Lehre vom Subsidiaritäts-prinzip — die Gegenmaßnahmen des Staates als der übergeordneten Gemeinschaft fordern. Mag der Außenminister in resignierter Einsicht eine Diplomatie des höflichen Schweigens angesichts gewisser Tendenzen im Beraterkreis Kennedys für richtig halten. An den Christlichen Demokraten ist es, die unaufgebbaren Grundsätze in der Deutschland- und Berlinfrage „gelegen oder ungelegen“ in Erinnerung zu rufen.

Das bedeutet im richtig verstandenen Zusammenspiel kein intrigierendes Gegeneinander, sondern nichts anderes als eine Besinnung auf die in der Natur der Sache liegenden Aufgaben, die eben nicht die gleichen sein können. Dringender denn je braucht Deutschland gerade heute ein wirkliches politisches Zentrum, das die Entwicklung vom Untertanengeist zur Staatsbürgerlichkeit, die nach 1945 so vielversprechend eingeleitet wurde, weiter zu fördern vermag. Ursache und Wirkung dürfen nicht verwechselt werden. Erst war die CDU da und dann kam das Wirtschaftswunder. Erst gewann die Partei in den Hungerjahren die Mihr-heit und dann konnte der Kanzler seine gewiß segensreiche Politik einleiten.

Uns Österreicher kann dieser Parteitag der wichtigsten politischen Führungsgruppe im wichtigsten Nachbarland nicht gleichgültig lassen. Das neue, sich nicht zuletzt im Besuch des deutschen Staatoberhauptes manifestierende Verhältnis, das Wien zur Hauptstadt des einzig handlungsfähigen und vor der gesitteten Welt einzige zählenden Deutschland gefunden hat, fußt auf ' der Anerkennung eben jener christlichen und naturrechtlichen Grundsätze, die das Lebensprinzip der CDU ausmachen. Ein rechts- oder linksneutralistisches Deutschland jenseits unserer Grenze würde über Nacht jene wirkliche Gefahr für ein freies und unabhängiges Österreich erstehen lassen, die man da und dort zu Unrecht mit dem Gedanken an das christlich-demokratisch regierte Bjann zu verbinden sucht.

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