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Paulus gegen Petrus?

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Was die Bibel zwischen den Zeilen erahnen läßt, ist manchmal hochinteressant. So merkt der Leser, daß das 15. Kapitel der Apostelgeschichte im Bereich der Verse 30 bis 36 etwas überbrückt. Vers 34 verrät eine gewisse Unsicherheit, und Vers 35, der vermuten ließe, Barnabas und Paulus hätten vorgehabt, länger in Antiochia zu wirken, verträgt sich schlecht mit Vers 36, in dem Paulus nach einigen Tagen wieder zum Aufbruch drängt. Dazwischen muß etwas Unvorhergesehenes geschehen sein!

Wir könnten dieses Rätsel kaum lösen, hätten wir nicht die — wenn auch einseitige — Darstellung des Galaterbriefes. Paulus schreibt: „Als Kephas (Petrus) nach Antiochia gekommen war, trat ich ihm Aug in Aug entgegen, weil er offenbar nicht recht tat. Bevor nämlich einige Leute aus dem Kreis um Jakobus kamen, hatte er mit den Heiden-Christen) Tischgemeinschaft gehalten. Nach deren Ankunft aber hatte er sich aus Furcht vor den Juden-(christen) abgesondert. Mit ihm verstellten sich auch die anderen Juden(christen), sogar Barnabas ließ sich durch ihre Heuchelei mitreißen! Ich erkannte, daß sie nicht den rechten Weg gemäß der Wahrheit gingen, öffentlich sagte ich zu Kephas: ,Wenn du als Jude nach heidnischer und nicht nach jüdischer Sitte lebst, wie kannst du da die Heiden zwingen, jüdisch zu leben?'“ (Gal. 2, 11—14.)

Da hatte es also einen öffentlichen Streit zwischen den beiden markantesten Persönlichkeiten der Urkir-che gegeben, zwischen Petrus und Paulus. Um ein annähernd objektives Bild dieses Vorfalls zu bekommen, müssen wir viele Mosaik-steinchen zusammentragen. Es geht dabei nicht nur um ein Ereignis aus dem Jahr 49 (?), sondern auch um das für alle Zeiten bestehende Spannungsfeld zwischen Gesetz, Freiheit und Liebe.

Simon Petrus stammte aus dem Fischerdorf Bethsaida am Nordufer des Sees Genesareth. Zu der Zeit, da er durch die Evangelien erfaßbar wird, lebte er in Kaphamaum als „zweiter Kapitän“ einer Fischereigenossenschaft. Mit den Söhnen seines Geschäftspartners Zebedäus — Jakobus und Johannes — verband ihn und seinen Bruder Andreas auch persönliche Freundschaft.

Zusammen mit Andreas, Jakobus und Johannes schloß sich Petrus der Täuferbewegung an, die um 28 das Land aufwühlte. Dort lernte er Jesus von Nazareth kennen und wurde von Ihm zur Nachfolge berufen. Petrus mag damals etwa dreißig Jahre alt gewesen sein. Oft erscheint er än den Evangelien als Wortführer der Jünger.

Die Apostelgeschichte zeigt Petrus als gereiften Mann, weitblickend und weise. Er führt die Kirche aus der Verklammerung mit jüdischen Tabus heraus in die Freiheit der Kinder Gottes, aber er ächtet darauf, niemanden vor den Kopf zu stoßen. Der Bericht über die Eröffnung der Heidenmission — denn die hat Petrus durch die Taufe des Besatzungsoffiziers Kornelius samt Familie eröffnet, lange bevor Paulus Apostel wurde (Apg. 10, 1—11, 18) — ist charakteristisch für sein Vorgehen.

Saulus-Paulus war schätzungsweise fünf bis zehn Jahre jünger als Petrus. Geboren in der berühmten Universdtäts- und Handelsstadt Tarsus in Kilikien, besaß er römisches Bürgerrecht. Als Sohn einer strengen Pharisäerfamilie hatte er neben dem üblichen Bildungsgang ein Handwerk — Zeltmacher, in etwa unserem Sattler- und Tapezierergewerbe vergleichbar — gelernt, später in Jerusalem bei dem berühmten Rabbi Gamaliel seine Ausbildung zum Schriftgelehrten erhalten.

Vielleicht berief der Hohe Rat den talentierten jungen Mann wieder in die Heilige Stadt, um ein Gleichgewicht zu schaffen gegen Stepha-nus, der in hellenistischen Synagogen die Frohbotschaft von Jesus als Messias mit großem Erfolg verkündete. Wahrscheinlich hatte Ste-phanus auch schon erkannt, daß für die Jünger Christi die levitischen Vorschriften nicht mehr verbindlich waren. Paulus war jedenfalls der Leiter der behördlich organisierten Lynchjustiz an Stephanus und der gegen die hellenistischen Christen gerichteten Verfolgung (Apg. 7, 58; 8, 1—3).

Als er nach Damaskus ritt, um auch dort die Bekenner Jesu zu verhaften, erschien ihm der verklärte Christus. Der fanatische Verfolger mußte erkennen: der Jsus, dessen Anhänger ich bekämpfe, ist der uns von Gott versprochene Messias.

Paulus brauchte lange, um dieses Erlebnis zu bewältigen. In Damaskus ließ er sich taufen und zog sich dann in die arabische Einöde zurück (Apg. 9, 10—19; Gal. 1, 13—17). Hernach kam er wieder nach Damaskus und brachte die dortigen Juden in Aufruhr, weil er mit der gleichen Energie, mit der er früher Jesus bekämpft hatte, nun seine früheren Glaubensgenossen für Ihn gewinnen wollte! Ein Mordanschlag zwang ihn zur Flucht (Apg. 9, 20—25; 2. Kor. 11, 32 f.).

In Jerusalem suchte er vergeblich, sich den Aposteln anzuschließen. Erst durch Vermittlung des Barnabas wurde er aufgenommen, mußte aber bald wieder fliehen, weil ihm nationalistische Fanatiker nach dem Leben trachteten. Nach einigen stillen Jahren in Tarsus holte ihn Barnabas nach dem syrischen Antiochia, wo sich eine starke Gemeinde aus Juden- und Heidenchristen gebildet hatte. Geführt von Barnabas wuchs Paulus in die Apostolatsarbeit hinein. Zusammen mit ihm wurde er auch nach erfolgter „Bisehofs“-Weihe ausgesandt zu einer Missionsreise durch Zypern, Pisidien und Lykaonien (Apg. 11, 19—30; 13, 1—14, 21).

In erster Linie galten die Bemühungen der Glaubensboten den Juden. Als sie aber dort auf verbissenen Widerstand stießen, wandten sie sich mit großem Erfolg an die Heiden. Nach dem Vorbild des Petrus tauften Barnabas und Paulus die Heiden, ohne sie zu beschneiden und auf das mosaische Gesetz zu verpflichten.

Auf dem „Apostelkonzil“ (Apg. 15, 1—29) verteidigten sie ihre Missionsmethode gegen judaistische Eiferer, deren es unter den JudenChristen Jerusalems genug gab. Petrus deckte ihr Vorgehen. Das „Konzil“ stellte nochmals fest, daß das mosaische Gesetz für die Jünger Christi nicht mehr verbindlich war. Barnabas und Paulus kehrten mit uneingeschränkter Missionsvollmacht nach Antiochia zurück (Gal. 2, 9).

Bald darauf verlegte Petrus die „Zentralstelle“ der Kirche nach Antiochia. Er hatte wohl erkannt, daß Jerusalem nicht der richtige Boden für eine weltweite Glaubens-verkündigung war. Aber selbst dorthin reisten ihm Judaisten nach, die es nicht verwinden konnten, daß die levitischen Reinheits- und Speisegebote nicht mehr gelten sollten.

Petrus zeigte sich wahrhaft großzügig. Er stand auf Seiten der Freiheit, aber er wollte die Freiheit nur durchsetzen, ohne die Liebe zu verletzen. Er wußte: diese Leute konnten aus ihrer Haut nicht heraus; es war zuviel für sie, daß all die Tabus, die ihnen von Kindheit an eingetrichtert worden waren, nun aufgehoben sein sollten. Und so bat er die Christen Antiochias, für ein paar Wochen, in denen die Judaisten in ihrer Mitte weilten, alles zu unterlassen, was diesen zum Ärgernis war.

Nur Paulus gab nicht nach. Man sollte meinen, daß gerade er Verständnis gehabt haben sollte für die Anliegen seiner früheren Gesinnungsgenossen. Doch Paulus war damals noch zu sehr Fanatiker. Er hatte unter unmenschlichen Strapazen und Mißhandlungen in Kleinasien den Heiden gepredigt, er hatte die Freiheit der Erlösten verkündet — nun sah er sein Werk in Gefahr! Und übersah dabei, daß es eigentlich um das Werk des Petrus ging! Aufgerieben, noch an den Folgen der Steinigung in Lystra (Apg. 14, 18) und — wahrscheinlich — an Malaria (vgl. 2. Kor. 12, 7—9; Gal. 4, 12—15) leidend, gingen ihm die Nerven durch und er machte Petrus öffentlich eine Szene!

Wir wissen nicht, wie Petrus reagierte. Wahrscheinlich setzte er der Erregung des Paulus nur die eigene ruhige Festigkeit entgegen; die herzliche — vielleicht ein bißchen ironische — Art, mit der der zweite Petrusbrief den „Bruder Paulus“ erwähnt, läßt vermuten, daß er ihm nichts nachtrug (2. Petr. 3, 15'f.).

Paulus litt schwer unter diesem Konflikt. In der Folge zerstritt er sich sogar mit Barnabas, und die schmerzliche Erregung, die im Gala-terbrief nachzittert, beweist, wie sehr ihm dies alles naheging.

Doch gerade dieses Zerwürfnis war für Paulus heilsam. Er wuchs heran zu jener Eigenständigkeit, die uns aus seinen Briefen anspricht, und zu jener Liebe, die ihn antrieb, gerne auf — wohlberechtigte! — Freiheiten zu verzichten, wenn diese einem Mitbruder, der noch schwach im Glauben war, zum Ärgernis gereichten (Rom. 14, 1—21); zu einer Liebe, kraft deren er den Juden ein Jude und den Heiden ein Heide wurde, um überall wenigstens einige zu gewinnen (1. Kor. 9, 19—22); um deretwillen er sogar sein eigenes ewiges Heil geopfert hätte, wenn er dadurch seine jüdischen Volksgenossen hätte retten können (Rom. 9, 1—3).

Das Spannungsfeld zwischen Gesetzt, Freiheit und Liebe besteht weiter. Jede Gemeinschaft braucht feste Regeln. Aber niemals darf das Gesetz die Freiheit der persönlichen Gewissensentscheidung erschlagen. Das kann zu Differenzen führen, die nur durch die Liebe bewältigt werden können. Denn „die Liebe überwindet alles“ — oder, wie man den griechischen Urtext von 1. Kor. 13, 7 auch übersetzen könnte: „Die Liebe wagt alles!“

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