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Paulus in Rom

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Am Freitag, dem 21. Juni 1963, wurde am zweiten Tag des Konklaves im fünften Wahlgang Kardinal Giovanni Battista Montini als Nachfolger Johannes' XXIII. zum Papst gewählt.

Montini wählte den Namen Paul VI.

Es ist etwas mehr als ein Dutzend Jahre her, da fanden in Korinth große Feierlichkeiten statt, an denen führende Vertreter der griechischen, der orthodoxen Kirchen aus West und Ost, der Ökumene der protestantischen Kirchen und religiösen Gemeinschaften, nicht zuletzt der anglikanischen Kirche von England teilnahmen. Korinth, Griechenland und die da versammelten Kirchenfürsten, Theologen und Laien von christlichen Gemeinden aus vielen Ländern und Völkern feierten dort die Erinnerung an die vor neunzehnhundert Jahren begonnene christliche Missionierung Europas — durch Paulus.

An diesen hohen Feiern nahm Rom nicht teil. Der Heilige Stuhl war offiziell eingeladen worden, lehnte aber ab.

Wer in der wunderschönen Kirche San Paolo fuori le mura an einem stillen Sommertag weilt, dem mag die Stille und Abgeschiedenheit als ein Gleichnis erscheinen: Paulus vor den Toren Roms... Paulus außerhalb Roms. Der Völkerapostel, der „allen alles sein“ wollte und der durch die Jahrtausende seine Mahnung an uns richtet: „Löscht den Geist nicht aus“, ist für manche Inwohner in ihren Städten, Burgen, befestigten Häusern immer unheimlich gewesen.

Die großen französischen und italienischen Jesuiten um Ricci, die in der Ghinamission neue Wege suchten und fanden, beriefen sich zu ihrer Verteidigung in Rom (wobei sie keinen Geringeren als Leibniz sich als Helfer fanden) auf Paulus. Auf den Mann, der auf dem sogenannten „Apostelkonzil“ in Jerusalem dem Petrus ins Angesicht widerstand, haben sich nicht nur Protestanten und religiöse Nonkonfor-misten, sondern gerade in den letzten Jahrhunderten katholische Missionare und Reformer berufen, die im Geiste Paulus' der Weltkirche und der Katho-lizität von morgen Wege bereiten wollten.

Die in den letzten Jahrzehnten sich verstärkende katholische Paulus-forschunig, die zudem eine Reihe bedeutender Paulusbücher von französischen, italienischen, deutschen und anglo-amerikanischen Theologen produzierte, zeigt: Paulus ist nicht mehr ganz so fremd, wie er lange Zeit war, in einem breiten römisch-katholischen Bewußtsein.

Seit 1605 hat es kein Papst mehr gewagt, sich den Namen des Völkerapostels zu wählen. Paul V. ging als ein großer Versöhner in die Kirchengeschichte ein. Paul IV. hatte sich als

Neubegründer der Inquisition und als einer der härtesten Päpste seinen Namen gemacht.

Papst Paul VI. hat in seiner ersten, in Ost und West vielbeachteten Rundfunkansprache sich zur Fortführung des Werkes seines Vorgängers, Johannes' XXIII., bekannt und erklärt:

„Der bedeutendste Teil Unseres Pontifikats wird ausgefüllt sein mit der Fortsetzung des Zweiten Vatikanischen Ökumenischen Konzils, auf das die Augen aller Menschen gerichtet sind. Das wird Unser wichtigstes Werk sein. Dafür wollen Wir alle Kräfte einsetzen, die der Herr Uns gegeben hat.“

Legen wir diese Worte auf die Goldwaage. Dahin gehören sie nämlich, wenn wir ihren schweren Ernst wahrnehmen.

Zunächst ist einem Mißverständnis zu entgegnen, das wohlmeinende und weniger wohlmeinende Kommentatoren zur Papstwahl vom 21. Juni 1963 verbreitet haben: Giovanni Battista Kardinal Montini ist kein „Linker“ und er ist kein „Linkskatholik“. Dieses Wort wurde übrigens von weit rechts stehenden Integralisten zur „Ansprache“ von kirchenpolitischen Gegnern erfunden. Derselbe Giovanni Battista Montini schlug sich jedoch tapfer für seine katholischen Studenten mit der faschistischen Partei. Eine gewisse spanische Opposition gegen Montini ist älter, weit äiter als ein halbes Jahr: im Oktober 1962 appellierte Montini an Franco und bat um die Begnadigung des Studenten Jorge Conill Valls, der von einem Kriegsgericht in Barcelona, wie es hieß, zum Tode verurteilt worden war. Montini stammt aus der Diözese Brescia, die im zwölften Jahrhundert einen der wagemutigsten Denker einer Reform der Kirche und der Gesellschaftsordnung hervorgebracht hat, einen Schüler der „fortschrittlichsten Köpfe“ der jungen Pariser Theologie um Abälard: Arnold von Brescia. Arnold von Brescia hat Gedanken vertreten, die heute noch und wieder aktuell sind. Er wurde als Ketzer hingerichtet. Vierzig Jahre nach der Heiligsprechung des Mädchens aus Domremy, der Jeanne d'Arc, und in einer Zeit, in der führende italienische Kirchenführer sich für eine kirchliche Rehabilitierung Savonarolas einsetzen, kann man im Katholizismus auch wieder offen von Arnold von Brescia sprechen.

Nichts jedoch — um hier einem neuen Mißverständnis entgegenzutreten — lag je Giovanni Battista Montini ferner als Ketzereien. Wohl aber etwas anders, das er doch vom Klima um Brescia und vom eigenen Vater ererbt haben mag: ein sachlicher und sachbezogener Freimut. Vater Montini hat in fünfundzwanzig Jahren die Zeitung „II cittadino di Brescia“ redigiert und hier und als Abgeordneter der „Popolari“-Partei jene Tapferkeit und Freimütigkeit bewiesen, die, durch die katholische Widerstandsbewegung erneuert, das beste Erbe für die späteren Democristiani bildeten.

Giovanni Battista Montini hat es früh gelernt, großen, schweren Problemen ruhig ins Gesicht zu sehen.

Wir wiederholen nun, nach einem scheinbaren Umweg, diese beiden Sätze aus seiner ersten Rundfunkansprache:

„Der bedeutendste Teil Unseres Pontifikats wird ausgefüllt sein mit der Fortsetzung des Zweiten Vatikanischen Ökumenischen Konzils, auf das die Augen aller Menschen gerichtet sind. Das wird Unser wichtigstes Werk sein. Dafür wollen Wir alle

Unsere Kräfte einsetzen, die der Herr Uns gegeben hat.“

Papst Paul VI. weiß, daß auf ihn eine „Heidenarbeit“, schwer wie die Taten des Herakles, wartet: eine „Arbeit“, wie sie das mittelalterliche Epos seinen Helden zuschanzt: die Mühsal langer und langwieriger, Leib und Seele überaus anstrengender Einsätze.

Es geht um nichts Geringeres als eben dies: eine weitere Zerklüftung innerhalb des Katholizismus zu verhindern und die breiten Massen innerhalb der Kirche allmählich auf eine Bewußtseinsstufe zu heben, die den Strapazen, Versuchungen, Ansprüchen und Aufgaben der beginnenden Neuzeit gewachsen ist.

Ein großer Teil der Katholiken in aller Welt lebt auf einer halb archaischen, ja magischen Bewußtseinsstufe. Auf dieser ist die materielle Übertragung des Wohnhauses der Muttergot-

tes von Ephesus nach Loreto ebenso selbstverständlich wie eine faktische Verschmelzung, in der seelischen Tiefe, der Muttergottes von Guadelupe und anderer lokaler und nationaler Marien mit der großen Mutter, mit uralten Muttergottes-Gottheiten. Es ist nicht nur eine Frage des sogenannten „geistigen Niveaus“, sondern weit mehr: eine nicht zu übersehende Kluft klafft zwischen Geist und Mentalität eines sogenannten „volksfrommen“ Brauchtums und zugehöriger Presse und Devotionalienfabrikation und dem Geist der Aktion katholischer Theologen und gebildeter Katholiken, die in Paris, Löwen, Innsbruck und auf einigen fortschrittlichen Ordenshochschulen sich ihr Wissen und ihr Bewußtsein gebildet haben.

Papst Paul VI. sieht es als seine erste vorrangige Aufgabe an, die Arbeit des Konzils zu fördern. Nichts

aber wäre törichter, als sich der ungebildeten und falschen Hoffnung hinzugeben: wenn auf dem Konzil durch energisches Nachhelfen ein „fortschrittlicher Flügel“ zum Sieg gebracht würde, dann wäre schon alles erreicht. Sosehr es nicht zu wünschen ist, daß von einer anderen Seite putschartig einer innerkirchlichen Reaktion zum Siege verholten würde (auf dem Ersten Vatikanischen Konzil wurde in diesem Sinne „geputscht“, und die vielen Blitze, die vom Himmel herabschössen, als dieses Konzil faktisch geschlossen wurde, wurden damals als unheimliches Vorzeichen angesehen ...), ebensosehr muß heute bereits festgehalten werden: das Zweite Vatikanische Ökumenische Konzil kann sich heilvoll nur entfalten, wenn es sich in die Zukunft hinein öffnet: in eine Erziehungsarbeit, in eine Umbildung des Bewußtseins im Orbis catholicus, in der ganzen katholischen Welt.

Die Konsterniertheit, die Betroffenheit, die Verwirrung, die in „gut katholischen Kreisen“ durch die Weltoffenheit, Menschenoffenheit, Zu-kunftsoffenheit des Papstes Johannes XXIII. ausgelöst wurde (so daß sich wackere Männer fragten: Ja, darf denn das ein Papst überhaupt? und andere hintersinnig schrieben, daß Johannes XXIII. vor dem Richterstuhl Gottes einsehen werde ...), dokumentiert ja eben auch dies: sehr viele Katholiken sind (nachdem das 19. Jahrhundert in Schrecken und Abwehr schlecht verdrängt wurde) noch in keiner Weise im Heute, geschweige denn an der Schwelle des Morgen angelangt.

Dies aber bedeutet: jede Aktion (nicht nur jede politische Tat), jede Rede, jede Aufforderung des Heiligen Vaters ist einem Mißverstehen, einem Nichtverstehen ausgesetzt. Um ein nicht unpassendes Modell anzudeuten: es hülfe nicht sehr viel, wenn ein Papst Verträge oder auch nur begrenzte Absprachen mit den kommunistischen Oststaaten tätigen würde, und das Gros der katholischen Massen, einschließlich des Klerus, noch in keiner Weise für den „großen Frieden“, für ein Leben in vielen neuen Formen der Auseinandersetzung und der Zusammenarbeit, vorbereitet ist.

Es bedarf einer langmütigen und langwierigen, schweren Erziehumgs-und Führungsarbeit im gesamten Katholizismus, um diesen zu befähigen, in der einen Welt loyal und aufrichtig (wie Paul VI. erklärt) dem Weltfrieden, einer neuen sozialen Ordnung, zu dienen und mitzuarbeiten. Es bedarf einer immensen geistilgen Anstrengung, Ausdauer, einer geistlichen Heiterkeit und Potenz, um das Wort „ut unum sint“ zu erfüllen: die Vereinigung der getrennten Christen, in Brüderlichkeit und Liebe.

Es bedarf einer paulinisehen Intellektualität: eines Intellekts, der die bitteren Erfahrungen von bald zweitausend Jahren christlicher Erfolge und christlichen Scheiterns in der Mission wach aufarbeitet.

Giovanni Battista Montini ist der erste von Johannes XXIII. kreierte Kardinal gewesen. Paul VI. sieht den Schwierigkeiten ins Gesicht, der Größe und Schwere der Aufgaben, die ihm als Erben zufallen. Im Bewußtsein dieser pontifikalen Verantwortung, die heute dem Pontifex maximus als erste Funktion dies zuweist: Mittler, Brücke für Christen, die in verschiedenen Zeitaltern und Bewußtseinsstufen zu Hause sind, Brücke in die Gegenwart und Zukunft hinein, erklärt Papst Paul VI.:

„Wir öffnen Unsere Arme allen, die den Ehrennamen eines Christen tragen, Wir nennen sie Brüder, und sie sollen wissen, daß sie bei Uns immer Verständnis und Wohlwollen finden.“

San Paolo fuori le mura ... Paulus vor den Toren Roms, Paulus außerhalb Roms? — Paulus in Rom!

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