6583394-1951_31_02.jpg
Digital In Arbeit

Pensionsstillegung?

Werbung
Werbung
Werbung

Unter den jüngsten von der österreichischen Regierung im Nationalrat eingebrachten Vorlagen befindet sich der Entwurf über die Stillegung von bestimmten Ruhe- (Versorgungs-) Genüssen aus öffentlichen Mitteln.

Man weiß noch nicht genau, ob der Entwurf überhaupt Gesetz wird, und wenn, in welcher Form. Eines aber weiß man, denn es liegt im Begriff selbst: Pen-sionsstillegung bedeutet Antastung wohlerworbener Rechte und benachteiligte rechtliche Stellung für eine bestimmte Gruppe der Bevölkerung. Ruhegenüsse sind weder Gnadengaben noch, wie zum Beispiel die Arbeitslosenunterstützung, Zuwendungen sozialen Charakters zur Fristung der Existenz. Sie beruhen entweder auf einem Vertrag oder auf dem Gesetz. Materiell gesehen basiert der Anspruch auf sie auf dem Beitrag, den der Dienst g e b e r, und jenem, den der Dienstnehmer selbst an den Pensionsfonds geleistet hat. Im Grunde ist es aber, hier wie dort, der Dienstnehmer, der für die Prämie aufkommt, denn auch der Beitrag des Dienstgebers wird nicht als Geschenk gegeben, sondern er stellt ebenso wie der Lohn einen Gegenwert für die ausbedungene Arbeitsleistung dar. Das Recht auf die Pension, die da stillgelegt, das heißt wenigstens für einen bestimmten Zeitraum entschädigungslos enteignet werden soll, ist also in des Wortes prägnantester Bedeutung ein wohlerworbenes Recht.

Eine Maßnahme, die derart schwere moralische Bedenken hervorrufen muß, kann nur durch Berufung auf gegenläufige moralische Werte gerechtfertigt werden. Die oberste sittliche Verpflichtung des Gesetzgebers ist die Wahrnehmung des Interesses der Allgemeinheit. Verlangt dieses Interesse gebieterisch eine Maßnahme, dann ist der Gesetzgeber berechtigt, sie zu ergreifen, selbst wenn dadurch der andere mora-

lische Wert, die Sicherheit wohlerworbener Rechte, verletzt wird. Allein der grundsätzliche Vorrang des öffentlichen Interesses gilt nur ceteris paribus, er gibt keineswegs die Berechtigung, die entgegenstehenden privaten Rechte schlechthin zu ignorieren. Seitdem es eine menschliche Gesittung gibt, gilt es als verwerflich, eine Handlung dem eigenen Interesse zuliebe, ohne Rücksicht auf den Nachteil für andere, vorzunehmen. Das ist das sittliche Postulat der Verhältnismäßigkeit, der billigen Interessenabwägung, und diesem Postulat kann sich auch der Gesetzgeber nicht entziehen, wo er beim Zusammentreffen des öffentlichen Interesses mit dem Interesse des einzelnen zu entscheiden hat.

Je größer der Abbruch ist, den eine gesetzliche Maßnahme wohlerworbenen Rechten tut, desto dringlicher muß, um sie zu rechtfertigen, einmal die Forderung des öffentlichen Interesses nach ihr, um so größer aber auch ihr ideeller oder materieller Nutzeffekt für das öffentliche Interesse sein. Es bedarf keiner Beispiele, um zu zeigen, daß jede andere Auffassung zu einer rechtlichen Situation führen muß, die mit demokratischer Den-kungsweise unvereinbar ist.

Die verheerende Wirkung der P e n s i o n s s t i 11 e g u n g für den einzelnen ist evident. Ein Mann ist aus dem Staatsdienst ausgetreten, bezieht einen Ruhegehalt und hat sich einem anderen unselbständigen Erwerb zugewendet, der Arbeitslohn einbringt. Darauf hat er sein Leben aufgebaut, er hat geheiratet, einen Hausstand aufgebaut und läßt seinen Kindern die Ausbildung zukommen, die er leisten kann. Jetzt aber soll die staatliche Pension — wir wollen annehmen: ein Drittel seines Einkommens — stillgelegt werden. Seine ganze Kalkulierung bricht zusammen, sein Lebensplan wird umgestürzt, er kann se'ne Wohnung nicht

mehr halten, für die Kinder wird die Fortsetzung der begonnenen Ausbildung unmöglich.

Was steht diesem katastrophalen Einbruch in wohlerworbene Rechte auf der Seite des öffentlichen Interesses gegenüber? Man wird zunächst an den fiskalischen Gesichtspunkt denken: die öffentliche Hand erspart die Pension. An sich betrachtet ist das Bestreben, auf Kosten zugestandener fremder Rechte Ersparnisse zu machen, unmoralisch. Außerdem ist die Hoffnung auf einen ausgiebigen finanziellen Effekt eine Illusion, wie das erste Experiment eines Pensionsstillegungsgesetzes in den dreißiger Jahren mit seinem äußerst kärglichen Effekt bewiesen hat.

Aber der Anstoß zu dem Gesetz entspringt in Wahrheit gar nicht so sehr fiskalischen als vielmehr arbeitspolitischen Erwägungen. Es geht darum, mög-lichst viele Arbeitsplätze freizuhalten.

Auch fürchtet man, daß der Pensionist im Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt mit seinem günstigeren materiellen Start den anderen Bewerbern Schmutzkonkurrenz machen könnte. Man kann verschiedener Ansicht darüber sein; daß aber dieser Gesichtspunkt bei dem Problem der Pensionsstillegung in die Waage fällt, kann nicht bestritten werden.

Dieser Gesichtspunkt scheidet aber vollkommen aus bei Pensionisten, die nicht neben dem Ruhegenuß ein Arbeitseinkommen, sondern nebeneinander mehrere Ruhegenüsse beziehen. Für sie kann nur wieder der fiskalische Standpunkt geltend gemacht werden, und alles, was im früheren Zusammenhang über diesen gesagt wurde, gilt auch für sie. Ja, es gilt für sie in noch höherem Maß, denn der Gewinn des Fiskus muß hier noch geringer ausfallen, weil es sich um ältere und daher schwächer besetzte Jahrgänge handelt. Und um eines so bescheidenen finanziellen

Vorteiles willen sollen die alten Leute, denen kein anderer Erwerb mehr zugänglich ist, um einen Teil der Früchte eines arbeitsreichen Lebens gebracht und an ihrem Lebensstandard schwer geschädigt werden — und das im Zuge einer Aktion, die sonst auf der ganzen Linie unter großzügigster Hintanstellung finanzieller Bedenken gerade die Aufrechterhaltung des Lebensstandards der Dienstnehmer hat?

Man wird also wohl hoffen dürfen, daß die Frage der Pensionsstillegung für Pensionisten, die zugleich Lohnempfänger sind, noch gründlich und gewissenhaft geprüft wird. Die Stillegung von Pensionen, die nicht mit einem Lohneirtkom-men, sondern nur mit einem anderen Ruhegenuß zusammentreffen, wie sie in der Ära nach 1934 im Zeichen einer extrem konservativen Finanzpolitik eingeführt war, wird — man sollte es wenigstens erwarten — wohl nicht ernstlich ins Auge gefaßt werden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung