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Perons gefahrlicher Weg

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Noch im Spätherbst vorigen Jahres konnte man hoffen, daß die vehementen Angriffe, die der Propagandaapparat der argentinischen Regierung und der Staatschef selbst gegen die angeblich politisierende Geistlichkeit gerichtet hatten, nur dem Aerger über die offenherzige Kritik einzelner Bischöfe und Priester an bestimmten Auswüchsen des peronisrischen Systems entsprungen waren uncj sich nicht als Vorboten eines radikal kirchenfeindlichen Kurses erweisen würden. Allein, jede solche Hoffnung ist gründlich enttäuscht worden. Schon am 24. Dezember sah sich der „Osservatore Romano“ gezwungen, festzustellen, daß die argentinische Regierung „von der Abstellung von Mißbräuchen zu einer den Katholizismus, die Religionsfreiheit und die Moral der Gläubigen wie auch die Rechte der Kirche unterdrückenden Haltung übergegangen“ sei. Seither hat die Entwicklung einen Gang genommen, der die Richtigkeit dieses Urteils mehr als bestätigt. „Wenn es ein Land gibt“, so erklären zwar die Organe Peröns, „wo jeder religiöse Kultus, und an erster Stelle der katholische, den höchsten Respekt genießt, dann ist es unser eigenes Land ... In der argentinischen Republik gibt es niemanden, der seiner religiösen Ueberzeugung halber eingekerkert worden wäre ... Niemand wird belästigt oder gar seiner Freiheit beraubt, weil er an Gott glaubt und seinen religiösen Verpflichtungen nachgekommen ist ... In keinem einzigen Fall sind die unveräußerlichen Rechte des Staatsbürgers hinsichtlich Gedanken- und Gewissensfreiheit verletzt worden ...“; und „unsere Regierung“, so ließ sich der argentinische Außenminister im Laufe eines Besuchs in Paris vernehmen, „unterstützt die katholische Religion in einer solchen Weise, daß ihr unmöglich die Absicht zugeschrieben werden kann, Einfluß und Macht der Kirche irgendwie zu beschränken“. Aber alle solchen Behauptungen, bemerkt zutreffend die römische „Civiltä Cattolica“, klingen wie bitterer Hohn angesichts dessen, was in Argentinien wirklich geschieht. Sie können nicht das Ziel verbergen, dem die Regierung Perön systematisch und auf breiter Front vorgehend zustrebt. Nicht mit einem plötzlichen Schlag, der die katholischen Volksmassen zum Gegenstoß aufrütteln könnte, sondern Schritt für Schritt, durch eine zunehmend intensive Kampagne der Diffamierung und unter dem Deckmantel scheinbarer Legalität sollen Stellung und Ansehen des Klerus untergraben, soll die Autorität der Kirche zerstört werden, um den parallel laufenden Bemühungen des Regimes, die religiöse Ueberzeugung und die Moral des Volkes zu zerrütten und an Stelle des Glaubens an Gott die peronistische „Weltanschauung“ in den Herzen zu verankern, den Erfolg zu sichern.

Im Zug dieser Kampagne ist, ganz nach „volksdemokratischem“ oder dem früheren nationalsozialistischen Muster, die verfassungsrechtlich verankerte Pressefreiheit in Argentinien zu einer traurigen Farce geworden. Die verdienstvolle und vielgelesene katholische Zeitung „El Pueblo“ und die in ganz Lateinamerika rühmlich bekannte Verlagsanstalt Editorial Difusiön, die es in 18jähriger 'opferreicher Arbeit zuwege gebracht hatte, 3000 wertvolle Neuerscheinungen in 30 Millionen Exemplaren zu verbreiten, wurden kurzerhand unterdrückt, und der fadenscheinigste Vorwand langt hin, um jeder Publikation, die einen der Regierung nicht genehmen Standpunkt vertritt, dasselbe Schicksal zu bereiten; auf „kaltem“ Wege, durch Einstellung.. der Papierzuweisung oder durch ein Strafverfahren wegen angeblicher Gesetzesübertretungen, welches bereits damit beginnt, daß die Papiervorräte, Maschinen und sonstigen Einrichtungen des betreffenden Unternehmens konfisziert und von Amts wegen versteigert werden. Indes man die Katholiken auf diese Weise mundtot macht — selbst Pfarrblätter werden beschlagnahmt und ihre Kolporteure verhaftet, wenn ihr Inhalt, ohne jede Kritik an Gesetz oder Regierung, sich beispielsweise gegen die Ehescheidungen oder die Prostitution richtet —, ist es der peronistischen Presse unverwehrt, tagtäglich spaltenlange und mit den gehässigsten Karikaturen versehene Verleumdungen und Beschimpfungen der Hierarchie, des Klerus, der in katholischen Institutionen tätigen Laien und der Kirche selbst zu veröffentlichen.

Aber Regierung und Führung der peronistischen Partei begnügen sich nicht damit, nur in diesem einen Punkt den erwähnten Vorbildern zu folgen. Peronistische Agenten werden in die Katholische Aktion und andere Organisationen der Katholiken eingeschmuggelt oder sogar, als scheinbar Bußfertige, in die Beichtstühle geschickt, um dort Material für Denunziationen zu sammeln; andere, meist eigens zu diesem Zweck entlassene Sträflinge, bekommen den Auftrag, als katholische Geistliche verkleidet, auf der Straße oder in öffentlichen Lokalen Frauen zu belästigen, um so „unwiderlegbare Beweise für die Unmoral des katholischen Klerus“ zu liefern — Unternehmungen, die allerdings für die von der Menge alsbald entlarvten Agents provocateurs mit einer tüchtigen Tracht Prügel zu enden pflegten. So gut wie alle persönlichen Rechte, die dem argentinischen Bürger durch Gesetz und Verfassung zugesichert sind, so auch das Recht der Klage wegen Beleidigung, sind für den Katholiken praktisch aufgehoben. Bei einer bereits unübersehbaren Reihe von Priestern hat die Behauptung, daß sie „an einer Kampagne zur Trübung der lokalen Atmosphäre (!) beteiligt gewesen“ seien, hingereicht, um sie ins Gefängnis zu bringen. Die sogenannte Konföderation der Arbeit, eine staatliche Zwangsorganisation, die an die Stelle freier Gewerkschaften getreten ist, droht alle Arbeiter und Angestellten brotlos zu machen, die der Katholischen Aktion angehören. In flagranter Verletzung eines erst jüngst erlassenen Gesetzes zum Schutz der Inhaber eines Lehramtes wurden in zahllosen Fällen Dozenten und Lehrer auch rein wissenschaftlicher, unpolitischer Fächer unter Ausschluß des vorgeschriebenen Disziplinarverfahrens und ohne Angabe von Gründen kurzfristig entlassen; ihr einziges „Vergehen“ — sie hatten sich als gläubige Katholiken bekannt.

Um so auffallender ist die geflissentliche Förderung, die das Regime den Angehörigen verschiedener Sekten und sonstigen Nichtkatho-liken zuteil werden läßt. So empfing Präsident Perön Delegierte der schismatisch-orthodoxen Kirche und einer kaum bekannten evangelischen Sekte in hochzeremonieller Form und ließ sich mit ihnen photographieren; eine Delegation chilenischer Freimaurer, die zur Gründung einer Zweigloge nach Buenos Aires gekommen war, wurde von ihm mit hohen Auszeichnungen, bedacht und zu einem Festbankett in seine Sommerresidenz geladen; indes alle katholischen Radiosendungen eingestellt wurden, bleiben protestantische weiterhin gestattet; Methodisten und Adventisten erhielten die Erlaubnis, ihre Druckereien zu vergrößern und zu diesem Zweck, trotz der Devisenknappheit der argentinischen Nationalbank, sogar maschinelle Einrichtungen aus dem Ausland zu importieren; ein kürzlich erlassenes „Dekret über die Gleichstellung der Kulte“ gestattet sämtlichen im Lande etablierten nichtkatholischen Religionsgemeinschaften alle Spitäler, Jugendheime und sonstigen Wohlfahrtseinrichtungen, auch wenn sie ausschließlich von Katholiken benützt werden, zu besuchen und dort unter dem Titel materieller und seelischer Hilfeleistung Proselytenmacherei zu betreiben.

Nicht weniger unbekümmert um ihre konstitutionellen oder vertraglichen Verpflichtungen und um die Rechte der weit überwiegend katholischen Bevölkerung des Landes geht die Regierung auf dem Gebiet des Unterrichtswesens vor. Etwa 80 von Klöstern oder Diözesanbehörden geführte Elementarschulen, die in besonders armen und entlegenen Gegenden durch unentgeltlichen Unterricht eine überaus segensreiche Tätigkeit entfaltet hatten, mit einer staatlichen Unterstützung, die sich auf die Bezahlung des approbierten Lehrpersonals beschränkte, wurden plötzlich und ohne Angabe von Gründen behördlich geschlossen, die weitere Existenz von rund 1000 katholischen Schulen, die heute etwa 275.000 Kinder und junge Leute betreuen, erscheint aufs schwerste bedroht. Die Zeitung „Democracia“ hat bereits angekündigt, daß die Zahlung staatlicher Subsidien an Privatschulen gänzlich eingestellt werden soll.

Es ist kaum zu bezweifeln, daß der völlige Fehlschlag der peronistischen Wirtschaftspolitik mitgewirkt hat, das Regime zur Entfesselung eines Krieges gegen die Kirche und die Religion des Landes zu bestimmen; das Volk sollte damit „abgelenkt werden“. Aber vielleicht bietet sich noch eine andere Erklärung — bei der Betrachtung des gigantischen Mausoleums, das sich, an Höhe nur von den Grabpyramiden ägyptischer Könige übertroffen, über dem silbernen Sarkophag Eva Peröns erhebt, jener „Märtyrerin der Arbeit... der geistigen Führerin der Nation deren Inthronisation als spontane (!) und beredte Huldigung“ vom Zentralkomitee der „Konföderation der Arbeit“ als ein rein laizistischer Akt beschlossen worden war und deren Bildnis, dem man in ungezählten Autführungen, als Büste, Gemälde, Statue, auf allen öffentlichen Plätzen und in allen Aemtern des Landes begegnet, auch schon mit einer Heiligenaureole und umrahmt von einer blasphemischen Parodie des Ave Maria zu sehen ist. Das zeigt den Weg. den der Peronismus geht. In seinem Wesen gleich den beiden anderen totalen Diktaturen unserer Zeit, beansprucht auch dieses System die unbeschränkte Beherrschung des Menschen im seelischen wie im materiellen Bereich. Daher fordert es des Menschen Abkehr von Gott und die Erweisung göttlicher Ehren den Götzen, die es, gleich ob mehr als Ideologie oder als menschliche Gestalten, auf den Altar erhoben hat.

Umsonst hat ein Minister Peröns in einer Ansprache an fremde Diplomaten unlängst behauptet, seine Regierung unterstütze „mit zunehmender Festigkeit die geistigen und moralischen Werte, weil nur diese ewig“ seien. Seine Worte können nicht verbergen, daß der Peronismus den Kurs verfolgt, den der atheistische Materialismus vorgezeichnet hat.

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