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Phönix aus der Asche

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Habemus gubernaculum! Seit 2. April hat Österreich wieder eine Bundesregierung.

Am 2. April ist aber nicht nur eine neue Bundesregierung vom Bundespräsidenten angelobt worden und der vierte von der Österreichischen Volkspartei gestellte Regierungschef auf dem Ballhausplatz eingezogen. An diesem Tag erhob sich auch — wieder einmal — gleich dem berühmten Vogel Phönix die Koalition aus ihrer Asche. Wie oft wurden ihr schon von vielen die Totenglocke geläutet. Und in den vergangenen zwölf Monaten mit besonderer Heftigkeit. Wobei abwechselnd rechte und linke Hände ins Seil griffen. Wenn es aber dann ernst werden sollte, verließ so manchen als echten Österreicher doch der „Mut vor der eigenen Courage“, und man beeilte sich, den geordneten Rückzug auf bekanntes Terrain anzutreten.

Was sollte auch sonst geschehen? Einer kleinen Koalition von Volkspartei und Freiheitlichen fehlt genau derselbe Rückhalt in entscheidenden Wählerschichten wie der im letzten Jahr in den Vordergrund gerückten Verbindung zwischen roter Nelke und Kornblume. Darüber kamen auch Routiniers der politischen Pragmatik ebensowenig hinweg wie einzelne journalistische Rufer im Streit. Und die absolute Mehrheit für eine der beiden großen Parteien bei Neuwahlen, die sich als letzter Ausweg anbot? Zur Stunde können auch von sich selbst mehr als überzeugte Parteistrategen eine solche nicht in Rechnung stellen. Was also anderes, als lächelnd oder zähneknirschend dem „Koalitionsgegner“ — so ein Wort des neuen Unterrichtsministers, das zunächst nur ein lapsus linguae war, aber in ein politisches österreichisches Wörterbuch aufgenommen gehört — wieder die Hand geschüttelt. „Koalitionsideologen“ — zu dieser unverbesserlichen Schar darf sich auch der Verfasser zählen — könnte dies alles sehr befriedigen. Allein zerbrochenes Porzellan, wenn es auch noch so gut gekittet ist, hat bekanntlich geringeren Kurswert. Und dabei weiß man noch nicht einmal, ob der Kitt — er kann nur in Rückgewinnung der gegenseitigen Achtung und im Abbau des Mißtrauens bis in die unteren Ränge wirksam werden — wirklich von der besten Qualität ist.

Wie konnte es überhaupt so weit kommen, daß die Grundlagen der österreichischen Politik, denen dieses Land seinen Wiederaufstieg in Freiheit und Wohlstand verdankt, im letzten Jahr mehr als einmal er-

schüttert wurden, ja knapp vor dem Bersten standen? Wir müssen zurück zum November 1962. In den langen Wochen zwischen den No-vemberwahlen 1962 und der Bil-

dung der Regierung Gorbach II floß jenes Gift in die Blutbahnen der österreichischen Innenpolitik, dessen Ausscheidung so viel Mühe machte und macht.

Während Dr. Gorbach zwischen zwei Feuer — das der politischen Gegner und jenes aus der eigenen Partei, wo man ihn zum Blitzableiter für nicht erfüllte Hoffnungen machte — geriet und seinen bitteren Weg nach Klagenfurt und von dort weiter bis zu seiner Demission im Februar ging, bekam Dr. Pittermann Gelegenheit, mit der „Causa Habsburg“ seine große Nummer dem staunenden Publikum vorzuspielen.

Im Anfang mag das Urteil des Verwaltungsgerichtes, das durch Säumigwerden der Bundesregierung ausgelöst wurde, für den wendigen Vorsitzenden der SPÖ wirklich nur die Gelegenheit gewesen sein, unbedenklich frischen Wind in seine Segel zu leiten, die vor dem Parteitag auf Grund der Novemberwahl ein wenig schlaff geworden waren. Dann aber meldete sich der „Wille zur Macht“. Was im Frontalangriff durch lange achtzehn Jahre nicht gelungen war, schien nun im Umgehungsmanöver erreichbar: der sozialistische Bundeskanzler. Das Defensivbündnis mit der FPÖ lockte, in seinem Offensivplan verwandelt zu werden. Die Versuchung war groß. Auf jeden Fall schien es nützlich, den „Habsburg-Topf“ am Feuer der „kochenden Volksseele“ parat zu

haben. Das blieb so bis in die letzten Wochen.

Inzwischen war in der Volkspartei die Entscheidung gefallen. Doktor Klaus trat aus der Kulisse an die Rampe. Und er konnte, was sein Vorgänger nie gekonnt hätte, ohne in der Partei „zerbissen“ zu werden: durch einen Schritt zurück das Feuer unter dem Habsburg-Topf löschen. Nicht zuletzt war es aber der befristete freiwillige Verzicht des Rechtsträgers, der dem führenden Mann der Volkspartei, auf deren Fahnen nun einmal die Wahrung des Rechtsstaates stehen muß, eine solche Manövrierfähigkeit er-

laubte. Der Weg war frei. Zum rechtsradikalen Abenteuer? Nein. Zum Kompromiß. Zu Erneuerung der Zusammenarbeit. Zur neuen alten Koalition.

Damit drängt sich eine Parallele auf. Haben wir dies nicht alles in abgewandelter Form schon einmal erlebt? Erinnern wir uns nur. 1953 verlangte eine lautstarke Gruppe in der ÖVP einen Brückenschlag zum VdU. „Dreierkoalition“ hieß damals das Losungswort. Nicht zuletzt wurde der Name des neuen Parteiobmannes Julius Raab mit solchen Kombinationen in Verbindung gebracht. Unverrichteterdinge kehrte Bundeskanzler Figl von Bundespräsident Körner zurück und gab seine Demission. Raab trat, von einem sozialistischen „Mißtrauensvorschuß“ begleitet, nach vorne. Was geschah? Die „Drederkoalition“? Keine Spur. Julius Raab deckte ab, wofür Figl nicht die Zustimmung seiner Gesinnungsfreunde finden konnte: die Erneuerung der Koalition. Raab erneuerte sie nicht nur, er verband vor der Geschichte seinen Namen mit ihr. Die Fahnen der Gegner senkten sich vor seinem Grab nicht weniger tief als jene der Freunde.

Erlebten wir in dieses Wochen — mutatis mutandis — nicht den ersten Akt desselben Stückes in einer neuen Besetzung?

Man könnte Dr. Klaus nichts Besseres wünschen. Und Österreich auch.

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