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Pio Nono oder: Politik und Religion

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Der Verfasser heißt seinen Wälzer allzu vorsichtig eine „Studie“, weil vor der Freigabe der Dokumente in den vatikanischen Archiven über diese Periode eine vollgültige Biographie Pius IX nicht geschrieben Werden kann. Aber so weirVe'fcnen'/die schon heute offenen Quellen, daß die bisherige, die beliebte Schwarzweißzeichnung des Papstes und seiner Gegenspieler nicht mehr möglich ist. Für den Verfasser ist Pius IX. „die Zentralgestalt der Mitte des 19. lahrhunderts“. Er hätte die Größe und Tragik seines Loses wie ein Held im Sinne Shakespeares durchlitten und durchkämpft; noch als Greis hat er „die Flamme eines Glaubenseifers angefacht, die seither nicht erloschen ist“. Mit ihm beginnt die Reihe der großen Päpste des letzten Jahrhunderts. Dem Verfasser wird die geschichtliche Darstellung unter den Händen und notwendig zu einer grundsätzlichen Studie über ein bis heute brennendes Problem: der Politik und Religion. Die Politik des Papstes und seine kirchlich-religiösen Großtaten (Dogma der Immaculata, der Infallibilität; der Syllabus) sind nur zwei Aspekte eines Ganzen. In seiner Beurteilung gehen die Geschichtsschreiber von einer, wie sie meinen, selbstverständlichen Unterscheidung von weltlicher und geistlicher Gewalt aus und verweisen diese in das Forum internum. Nicht so Pius IX. ledenfalls kann er von dieser Unterscheidung her nur mißverstanden werden. Er sah den inneren Zusammenhang beider. Die Souveränität des Kirchenstaates war ihm nur die eine Seite seiner geistlichen Souveränität. Er war als Papst darüber hinaus höchst interessiert an der Politik aller Staaten in diesen Belangen und nicht nur daran, wie sie sich zur Ernennung des Klerus oder zum Kirchenvermögen verhielten. Sein idealistischer Gegner, Mazzini, dachte in den gleichen Kategorien, nur mit umgekehrten Vorzeichen. Napoleon III., Cavour, Bismarck sagten: Trennung von Kirche und Staat: was sie aber anstrebten, war Souveränität des Staates über die Kirche, von der Mitentscheidung bei der Ernennung der Geistlichen bis zum Placetum regium für päpstliche Kundgebungen. So ein Konzept mußte der Papst als oberste Instanz im sichtbaren Gottesreich aus religiösen Gründen ablehnen.

Das Buch gibt übrigens auch eine drastische Abfuhr jener Schwarzweißzeichnung, die mit einer damaligen und harmlos weiterübernommenen politischen Nomenklatur arbeitet. Vokabel, wie „Obskuranten“, „Fanatiker“, ..Ultramontane“, „Liberale“. „Liberalkatholizismus“, haben einen Bedeutungswandel erfahren. — Pius IX. selbst wurde bei seiner Wahl als „Liberaler“ begrüßt Die Liberalen jubelten, die Metterniche hatten Sorge. Der Papst wurde an seiner eigenen Geschichte konservativ. Und er mußte immer wieder Verwahrung einlegen gegen gallikanische Forderungen legitimer Fürsten. Seine Liberalität gegenüber der Regierungsform wurde ihm von den Bourbonen in Neapel schwer verübelt. Sein Anliegen war immer eines: dal) in jedem Staat, ob Monarchie oder Republik, der Kirche ihre Rechte und Freiheiten garantiert werden. Dafür mußte jede Chance genützt werden, so daß ihm wieder andere politischen Opportunismus nachsagten. Von ihm her gesehen war das alles klarer Grundsatz. Der Ultramontanismus erschien vielen Geschichtsschreibern, und das anscheinend heute noch, als Gegenspieler des Liberalismus. Und. doch waren vor 1848 beide “miteinander verbündet. Der ultramontane Mohtalem-bert blieb bis zu seinem Lebensende, und das war 1870, überzeugter Liberaler.

Der erste, der Pius IX. in seiner Position verstand, war der protestantische Premier Emile Ollivier: und der einflußreichste Kritiker seiner Kirchenpolitik war der Katholik Lord Acton, der jederzeit erklärte, er sei bereit, für seinen katholischen Glauben das Leben hinzulegen.

Der Syllabus Pius IX. wirkte wie ein Schock, und das nicht nur auf die Liberalen. Heute wissen wir, daß der Papst in ihm in einer Welt der Benommenheit, über alle Ideologien der Fortschrittsgläubigen hinweg, den Liberalismus durchschaute. Pius IX. beginnt als absoluter Fürst des Kirchenstaates, sein Pontifikat endet mit dem Ende des alten Kirchenstaates. Gerade damit, stellt Haies fest, und niemand wird dem widersprechen können, wurde er „der Begründer des modernen Papsttums“. Ob die religiöse und sittliche Weltmacht, die heute der Papst verkörpert, mit der Freiheit von der regionalen Politik zusammenhängt? Auf den ersten Blick wäre man geneigt, das Gegenteil anzunehmen. ledenfalls mußte Pius XI. das Symbol des heutigen „Vatikanstaates“ am 11. Februar 1929 vor den Pfarrern und Fastenpredigern Roms begründen, und man spürt hinter der Schärfe seiner Sätze das Kopfschütteln mancher Angesprochenen. — Der Grazer Kirchenhistoriker Andreas Posch hat der vorliegenden Uebersetzung einen fünfzigseitigen Anhang mitgeoeben. der die kirchenpolitischen Geschehnisse in Oesterreich und Deutschland während des Pontifikates Pius' IX. ergänzt.

Machiavelli und seine Zeit. Von Marcel B r i o n. Ins Deutsche übersetzt von Anja Hegemann. Eugen Diederichs Verlag, Düsseldorf-Köln. Preis 19.50 DM.

So wie Machiavelli einst über das alte Rom, über den Traum einer römischen Republik und auch über seine eigene Zeit handelnd philosophierte — so philosophiert Marcel B r i o n über die Zeit Machiavellis und am Rande zugleich auch über Demokratie und Republik im 20. Jahrhundert. Das Buch ist eine einzige, spannende Erzählung voll lebendigster und prächtigster Farben, ein klarer Weg durch ein Gewirr von Ereignissen - und doch kein Roman — auch kein wissenschaftliches Werk; am ehesten eine Art Paraphrase oder eine grandiose, kühne Randglosse zu einem großen Thema, eine Fortsetzung der „Discorsi' Machiavellis oder, wenn man will, ein zur Erzählung gewordenes Kapitel „Politische Philosophie“ im Sinne eines bedeutenden Werkes des vor nicht langem gestorbenen österreichischen Gelehrten Rudolf S t a n k a, welches diesen Titel trägt. Von der ersten bis zur letzten Seite mit größter Spannung erfüllt, enthält das Buch Marcel Brions manche, in eindrucksvolle, nicht nur farbig gemalte, sondern auch scharf gezeichnete Bilder gekleidete tiefe Weisheit — aber bestimmt auch mancherlei, das zum Widerspruch reizt: ein wirkliches Kunstwerk voll Unruhe, voll Begabung und nicht ohne Klugheit — auch wenn es die Frage, ob hinter Machiavellil Weltanschauung nicht doch letzten Endet der Nihilismus steht, offen läßt — und nicht beantwortet! Aber jedermann, der Machiavelli und seiner Zeit Interesse entgegenbringt, wird aus diesem Buche Anregung und Gewinn schöpfen können.

Univ.-Doz. Dr. Alexander N o v o t n y

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