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Plädoyer für den Donauhandel

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Wie zu erwarten, sind bei den Verhandlungen über ein Arrangement mit Brüssel einige Schwierigkeiten über den Osthandel aufgetaucht, die letzten Endes auf eine Reihe von Mißverständnissen zurückgehen. Die EWG ist eine in Entwicklung begriffene Wirtschaftsunion, zu deren vordringlichsten

Aufgaben eine Erhöhung ihrer Exporte und die Eroberung neuer Absatzgebiete gehört. Dagegen will Österreich nur die Diskriminierung beseitigen, vergißt aber, daß die EWG die ganze Welt „diskriminiert“ hat, um ihre innere Ergänzung und gegenseitige Durchdringung ungestört von äußeren Einflüssen durchzuführen, wozu sie vermutlich noch ein Jahrzehnt benötigt. Das Feilschen um jede einzelne Zollposition ist wiederum eine Folge der verschärften Konkurrenz.

Am Ende der Verhandlungen in Brüssel steht daher ein leoninischer Vertrag, der Österreich ernste Opfer und weitreichende Verzichte auferlegen wird, während als Gegenleistung die Eingliederung in die EWG und die damit verbundenen Zollerleichterungen gelten. Beim Osthandel verfolgt die Hallstein-Kommission jedoch die Taktik, Österreich auf eine feste Relation zu beschränken, die nicht überschritten werden darf, eine These, die in einem krassen Widerspruch zur neuen Ostpolitik aller sechs EWG-Regierungen steht. Interessanterweise wurde dieses Prinzip als allgemeine Hypothese anerkannt, doch folgte der Streitfall, .zu welchem Zeitpunkt Österreich das Recht erhalten soll, autonome Maßnahmen gegen einen Rückgang seines Osthandels zu treffen. Dabei zeigte in jüngster Zeit gerade der Donauhandel — zweifellos der wichtigste Zweig des Osthandels — eine überaus lebhafte Bewegung, die zum größten Optimismus berechtigt.

Unser Güteraustausch mit den Donauländern unterliegt nach beiden Richtungen einem tiefgehenden Strukturwandel, der nicht nur die Rangordnung der Warengruppen, sondern vor allem Einzelpositionen der verschiedensten Kategorien betrifft. Leicht bewegen sich Jugoslawien und Bulgarien, gehemmt Ungarn und die Tschechoslowakei. Jedenfalls wurden die Donauimporte (Tabelle A) vom Erdölsektor beherrscht, wobei die Erhöhungen bei Rohöl von Jugoslawien (+ 60 Prozent), bei Mineralölprodukten von Ungarn (+ 76 Prozent) getragen wurden. Den Unbilien des Jahres 1965 — schlechte Ernte und Rückgang der Schweinebestände — folgte zwangsläufig ein Aufschwung der Bezüge von Mais und Gerste aus Jugoslawien (Jänner bis September 256 Millionen Schilling, + 1384 Prozent!), während in der gleichen Zeitspanne 152.344 Schweine importiert werden mußten, knapp zur Hälfte aus Bulgarien. Weitere Zunahmen ruhten bei Eiern auf Bulgarien und Rumänien, bei Pflanzenöl auf Rüböl aus Ungarn und Sonnenblumenöl aus Rumänien, bei chemischen Produkten auf Ammoniak aus Ungarn, Phenol, Azeton und Cal-ziumkarbonat aus Jugoslawien, bei Maschinen natürlich aus der Tschechoslowakei, gestützt auf Krane, Fräsmaschinen und Verlade-geräte. Eisen und Stahl verharrten in einer gewissen Stabilität, weil der Rückfall Jugoslawiens bei Ferro-chrom durch Stahlroheisen aus Rumänien ausgeglichen wurde. Bei den anderen Donaustaaten, deren Importe nur geringe Veränderungen erkennen ließen, umfaßte der Strukturwandel Rohluppen aus Bulgarien, Stabstahl und Mittelbleche aus Ungarn, endlich Rohre, Dünnbleche und vorgewalzte Blöcke aus der Tschechoslowakei. Unter den Ausfällen bei Obst und Gemüse, verursacht durch Tomaten, Marillen und Kartoffel, hatten sämtliche Donauländer zu leiden. Rückläufig waren zuletzt Schleifholz, Rind- und Kalbfleisch aus Rumänien, Rohzink aus Jugoslawien und Rohaluminium aus Ungarn, Steinkohle und Automobile aus der Tschechoslowakei (Jänner bis September nur 3448 Pkw, — 25 Prozent).

Auch die Exporte nach den Donauländern (Tabelle B) verzeichneten einen bemerkenswerten Strukturwandel. An der Spitze der Warenordnung standen Eisen und Stahl mit einer ungewöhnlich hohen Zuwachsrate von 28 Prozent, dank einer Erhöhung der Lieferungen von Stabstahl, Walzdraht und Feinblechen nach Bulgarien, von Bandstahl, Grobblechen und Warmbreitband nach der Tschechoslowakei, während die Exporte von Bahnbaumaterial und legiertem Stahl nach Rumänien zurückgingen. Chemische Produkte buchten Zunahmen nach Rumänien und Jugoslawien, Verluste in Ungarn und der Tschechoslowakei, erzielten aber neben Lacken und Pflanzenschutzmitteln auf allen Linien außerordentliche Erhöhungen bei Kunststoffen (170,6 Millionen Schilling, + 74 Prozent)! Maschinen unterlagen einem typischen Strukturwandel mit Rückgängen von Gleitlagern, Mäh-, Papier- und Textilmaschinen, doch umfaßte die Aktivliste neben Dampfkesseln, Dieselmotoren und Wasserturbinen vor allem Pumpen, Getriebe, Metallpressen, Stetigförderer und Verladegeräte. Im Papiersektor hatte sich die Streuung derart verbreitert, daß ein ernster Rückfall in Ungarn ausgeglichen wurde. Die höchste Zuwachsrate erreichten Textilien (+ 40 Prozent), gestützt auf Rumänien und Jugoslawien: Bei stabilen Kammgarnen und Baumwollgeweben erzielten Erhöhungen neben Filzen und Filztüchern vor allem Wollgewebe, Baumwollgame, Viskosekunstseidengarne und

Gewebe aus synthetischen Spinnstoffen. Die Stabilisierung der elektrischen Apparate ruhte, abgesehen vom plötzlichen Aufschwung in Bulgarien, abermals auf einem Ausgleich zwischen den einzelnen Donauländern. Metallwaren verdankten ihre Erhöhung Temperguß, Rollenketten und Konstruktionen, NE-Metalle (+ 27 Prozent) den steigenden Lieferungen von Aluminium nach Jugoslawien, von Bronze, Kupfer und Messing nach Bulgarien, dessen Nachfrage überhaupt eine starke Belebung und Erweiterung erfahren hatte, die in der StaatenOrdnung allerdings nicht zum Ausdruck kamen, weil Lokomotiven katastrophale Verluste erlitten.

Der Donauhandel, offensichtlich am Anfang einer völlig neuen Entwicklung stehend, bleibt immer von größter Wichtigkeit, handelt es sich doch um Länder, die Österreich kraft seiner günstigen geographischen Lage als angestammte Absatzgebiete betrachten darf. Bei der bekannten Neigung, sämtliche Wünsche und Forderungen der Hallstein-Kommission sofort als bindende Dogmen und vorbildliche Lösungen zu übernehmen, kann nicht oft genug auf die wirklichen Relationen zwischen den einzelnen Staaten hingewiesen werden. Viele Dinge, die noch vor drei Jahren ihre Gültigkeit gehabt hoben mochten, sind nämlich heute überholt. Es sei nur daran erinnert, daß der Donauhandel bereits an dritter Stelle nach Westdeutschland und Italien figuriert. Die Bezüge aus Jugos'awien entsprechen den Importen aus Schweden. Die Exporte nach Bulgarien sind höher als nach Belgien, nach der Tschechoslowakei größer als nach Frankreich. Daneben gibt es zahlreiche Aktiven, die keinesfalls preisgegeben werden können; denn der Donauhandel ist noch immer aktiv und trägt Exportüberschüsse. Schon der allgemeine Osthandel ist ein typischer Sonderfall, aber der Donauhandel erlaubt überhaupt keine Konzessionen. Man hat nicht umsonst zehn Jahre um den Staatsvertrag gerungen, dann nochmals weitere zehn Jahre am Ausbau des Osthandels gearbeitet, um nachträglich alle Fortschritte preiszugeben, damit die neue Konkurrenz des Sechserklubs überall ein freies Feld findet und Österreich mit einem „limitierten Donauhandel“ abgefunden wird, dessen Verteidigung sogar

an die Genehmigung von Brüssel gebunden bleiben soll, noch dazu mit einem langen und zeitraubenden Verfahren. Wenn die Hohe Kommission in Brüssel auf der beanspruchten Reglementierung des Osthandels beharren sollte, sind die Konsequenzen kaum zu übenseihen.

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