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Planwirtschaft auf neuen Wegen

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Seit einigen Jahren wird in den kommunistischen Ländern über notwendige Reformen der Wirtschaftsplanung diskutiert, was im Westen erst spät Beachtung fand und dann vielfach als „Bankrott der Planwirtschaft“ bezeichnet wurde. Die bekanntesten Wortführer dieser „Reformer“ sind Prof. Liberman in Charkow, Prof. Sik in Prag, Professor Nyers in Budapest sowie Kalecfci in Warschau. Auch in der DDR und in Rumänien werden ähnliche Auffassungen wie von den Genannten vertreten.

Bei den Reformvorschlägen geht es im wesentlichen um zwei Dinge: Erstens um die Erkenntnis, daß auch eine Planwirtschaft das Ertragsprinzip beachten muß, wenn sie nicht zu einer Minderversorgung der Bevölkerung führen soll, und zweitens, daß man bei aller Planung auf die Initiative des einzelnen Betriebes und des Einzelmenschen nicht verzichten kann, wenn man erfolgreich bleiben will.

Nach dem Krieg ging es in allen Ländern ohne Unterschied des jeweiligen Wirtschaftssystem zunächst darum, möglichst rasch ein Maximum an Gütern auf den Markt zu bringen. Die Konsumentenmassen hatten einen Nachholbedarf und nahmen jede Anbotsmenge auf. Daher war Quantität das Ziel; Qualität und Kostenfragen wurden vernachlässigt. Als jedoch ein gewisser Sättigungsgrad erreicht war, rückte das Quali-täts- und Kostenproblem wieder in den Vordergrund. In Österreich begann die Umstellung vom Käufer-zum Verkäufermarkt schon 1952 und dauert bis heute an. In den sozialistischen Ländern erkannte man die Notwendigkeit einer solchen Umstellung erst, als die Planziffer infolge Verzerrungen der Wirtschaftsstruktur und der Erschöpfung der Arbeitskraftreserven nicht mehr erfüllt werden konnte. Das zeigte sich etwa 1957. Eine weitere Produktionssteigerung erwies sich ab dem genannten Jahr als unmöglich, es sei denn mittels einer Modernisierung des Produktionsapparates und Wek-kung des Einzelinteresses. Prof. Ota

Sik schreibt in seiner 1965 erschienenen Broschüre „Die tschechoslowakische Wirtschaft auf neuen Wegen“: „Das Planziel ist nicht erreicht, wenn man Drehbänke übergewichtig herausbringt oder wenn man jene Erzeugnisse in das' Produktionsprogramm aufnimmt, bei denen man ohne neue Fabrikseinrichtung am raschesten die Planziffer erfüllt, ob nun ein Bedarf nach diesen Waren vorhanden ist oder nicht. So stauten sich die Lager in den Verkaufsläden, während dringliche Waren fehlten; die Fabriksausstättung blieb veraltet und die Produktivität gering.“

Der Verbraucher hat die Wahl

Um diese Fehlentwicklung zu bereinigen, ist man in diesem Jahr in der Sowjetunion, in der Tschechoslowakei und in Ungarn dazu übergegangen, die Produktion nach den Bestellungen der Verbraucherfirmen und der Verkaufsläden auszurichten. Zur Verbesserung der Qualität und zur Senkung der Kosten läßt man den Verbrauchern die Wahl, bei einer beliebigen Erzeugerfirma zu bestellen. Gegebenenfalls bringt man auch ausländische Waren als Konkurrenz auf den Markt. Da sich die Entlohnung der Arbeiter in jedem Betrieb nach dem erzielten Verkaufserlös richtet, haben die Belegschaften ein starkes Interesse an der richtigen Marktorientierung des Produktionsprogramms. Die bisherige Totalplanung von den Zentralstellen aus wird auf die Festlegung der globalen Zahlen beschränkt; die Einzelheiten aber sind dem Betrieb überlassen. Das neue Ziel ist, einen Verkaufserlös zu erzielen, der zumindest die Kosten deckt und überdies die Bildung einer Rücklage zur Modernisierung des Betriebs ermöglicht.

Die Reformen ziehen zwangsläufig eine Korrektur der Preise auf Basis der echten Produktionskosten nach sich. Vorläufig ist an die Freigabe der Preise weniger dringlicher Güter gedacht; für andere Waren wird ein Preisband (Von-bis-Preise) eingeführt. Lediglich die dringlichsten Bedarfsgüter bleiben preisgebunden. Im weiteren Verlauf wird diese Reform auch zu echten Wechselkursen der Ostwährungen führen und damit eine Liberalisierung des Außenhandels und einen multilateralen Zahlungsverkehr ermöglichen.

Das vordringlichste Problem der Umstellung ist die Heranbildung initiativer und anpassungsfähiger Führungskräfte für die Leitung der Betriebe. An der Uberwindung des eingesessenen Bürokratismus haben aber auch die Belegschaften ein Interesse, da ihre Lohnprämien vom Verkaufserfolg abhängen. Nach den jüngsten Berichten aus der Sowjetunion und der Tschechoslowakei dürfte es allerdings einige Jahre dauern, bis sich diese Reformen eingespielt haben.

„Anleihe an den Kapitalismus“

Die westlichen Nationalökonomen beurteilen die Umstellungen in der Planung der kommunistischen Länder sehr verschieden. Soweit die Nationalökonomen des Westens den Ideen der Marktwirtschaft verbunden sind, sehen sie in der Reform eine „Anleihe an den Kapitalismus“, die anderen, die selbst „Programmierer“ sind, deuten sie als einen interessanten Versuch, die optimale Produktionsstruktur rechnerisch zu ermitteln. Die Sympathie dieser Gruppe ist um so größer, als man auch im Osten zur Aufstellung mathematischer Modelle für die Rahmenplanung überzugehen beginnt.

Die Unterschiede in der Bewertung der östlichen Planungsreformen traten bei einer Tagung der deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde zutage, die Ende Oktober in Oberhausen stattfand und sich vier Tage lang mit dem Thema „Planwirtschaft im Ubergang und Osthandel“ befaßte (in Graz fand übrigens bereits im Mai eine Tagung

Photo: mognum zum selben Thema statt). Die Neoliberalen meinten, die Änderung der Planungsmethoden sei keine Änderung des Wirtschaftssystems (Prof. Thalheim, Berlin). Die Programmierer hingegen, an ihrer Spitze Prof. Tinbergen, Holland, glaubten, daß sich die beiden Wirtschaftssysteme des Westens und des Ostens in der Verfahrenstechnik immer mehr annähern. Im westlichen Wohlfahrtsstaat ist das Ziel eine Nivellierung der Einkommensunterschiede; der Osten geht heute zu einer stärkeren Differenzierung der Einkommen je nach gebotener Leistung über. Im Westen wird die Privatinitiative durch den Staat immer mehr eingeschränkt; im Osten will man sie wiedererwecken. Im Westen gewinnt der Manager immer mehr Macht auf Kosten der Eigentümer, im Osten gewinnt der Betriebsleiter immer mehr Macht („Betriebsmacht“) auf Kosten der Partei. Im Westen versucht man, den Markt zu reglementieren; im Osten wird er wieder zur Richttafel der Produktion erhoben. Schließlich sind auch die Methoden der Programmierung hier und der Planung dort sehr ähnlich. In beiden Fällen sucht man mittels ökonometrischer Modelle die optimale Wirtschaftsstruktur zu errechnen.

Grundlegende Unterschiede

Man darf jedoch den bleibenden grundlegenden Unterschied zwischen östlicher und westlicher Wirtschaftsweise nicht übersehen: Die neuen Planmethoden in den Oststaaten ändern nichts an den Eigentumsund Verteilungsverhältnissen. Diese reflektieren den eigentlichen Kern der marxistischen Lehre. Die Planungsmethoden an sich sind jedoch systemneutral. Dagegen gibt es einige Konvergenzen. Das Eigentumsprinzip wird auch in der westlichen Wirtschaft ausgehöhlt, während man ihm im Osten wieder Raum gibt, und zwar nicht nur in Form des Eigenheimes und Eigengrundes, sondern neuerdings auch der Eigenbetriebe. Man könnte Professor Tinbergen beipflichten, daß sich die ganze Welt in einem Wandlungsprozeß befindet, der durch die moderne Technik, die Bevölkerungsdichte und den Konzentrationsgrad erzwungen wird. Ebenso wie der Beginn der Marktwirtschaft selbst das Ergebnis einer einmaligen historischen Situation vor 150 Jahren gewesen ist, wird die Marktwirtschaft mit den sie bestimmenden Bedingungen, wenn sie sich ändern, wieder vergehen. Gleiches gilt für die Wirtschaft im Osten. Diese Erkenntnis bedeutet eine Entmythologisierung der Frage nach der besten Wirtschaftsordnung und öffnet einen Weg zur Sachlichkeit in der Beurteilung der Wirtschaftssysteme — und nur von diesen war die Rede.

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