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Pokerspiel um Berlin

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Der Vertrag zwischen Bonn und Moskau ist durch verbindliche Aussagen des deutschen Buhdeskanzlers Willy Brandt an Fortschritte in der Berlinfrage gekoppelt. Um welche Fragen es sich hier handelt, steht allerdings noch nicht fest. Der Bundeskanzler sprach bereits von einer Zwangsjacke, die dieses Junktim bedeutet Zwangsjacke deshalb, weil bis zum 15. September die ersten Ergebnisse des Junktims vorliegen sollten.

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Der Vertrag zwischen Bonn und Moskau ist durch verbindliche Aussagen des deutschen Buhdeskanzlers Willy Brandt an Fortschritte in der Berlinfrage gekoppelt. Um welche Fragen es sich hier handelt, steht allerdings noch nicht fest. Der Bundeskanzler sprach bereits von einer Zwangsjacke, die dieses Junktim bedeutet Zwangsjacke deshalb, weil bis zum 15. September die ersten Ergebnisse des Junktims vorliegen sollten.

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Wer die Berlinfrage betrachtet, muß von der Tatsache ausgehen, daß für das Gebiet des gesamten Berlin nach wie vor der sogenannte Vier-Mächte-Status gilt, auf Grund dessen die USA, Großbritannien, Frankreich und Sowjetrußland die eigentlichen Herren Gesamtberlins seit dem Ende des zweiten Weltkrieges sind. Das wirkt sich seither in der Praxis folgendermaßen aus: Berlin östlich des Brandenburger Tors steht unter der Kontrolle der Russen und Berlin westlich des Brandenburger Tors unter der Kontrolle der westlichen Alliierten. West-Berlin ist wirtschaftlich, finanziell, auf dem Gebiet des Rechtswesens und abgeschwächt auch politisch mit Westdeutschland verbunden, und ebenso Ost-Berlin mit der DDR.

Dennoch sind- die vier Mächte die. wahren Herren Berlins und jede-Änderung des Vier-Mächte-Status • bedarf ihrer Zustimmung. Auf Grund des Vier-Mächte-Status kann auch heute noch jeder. Angehörige der westlichen Alliierten Kommission, ohne eine Bewilligung einholen zu müssen, nach Ost-Berlin, und ebenso dürfen die.Russen nach West-Berlin. Tatsächlich findet auch jeden Tag beim Russendenkmal in der Nähe des Brandenburger Tores, das sich aber bereits auf West-Berliner Boden befindet, die Wachablösung der Russen statt. Die westlichen Alliierten dürfen ungehindert, und ebenfalls ohne Sonderbewilligung, auf bestimmten Straßen, auf bestimmten Bisenbahnlinien und vereinbarten Fluglinien Personen, Waren und Waffen nach West-Berlin ein- und ausführen. Gemäß dem Vier-Mächte-Status sind die Westberliner nicht deutsche Bundesbürger, sie besitzen vielmehr einen eigenen Paß. Sie müssen auch nicht in der deutschen Wehrmacht Dienst leisten, wie denn auch keinerlei westdeutsche Truppen sich in West-Berlin befinden. Die Westberliner haben keine Abgeordneten im Bonner Parlament und sind in diesem nur durch Beobachter vertreten, die kein Stimmrecht haben. Gemäß dem Vier-Mächte-Status sollten auch die Ostberliner nicht Bürger der DDR sedn, sie sollten in der Volkskammer nicht vertreten sein, sie sollten nicht in der DDR-Armee ihrer Wehrpflicht nachkommen müssen. Und vor allen Dingen dürfte Ost-Berlin nicht Sitz der Ulbricht-Regierung sein. Denn die DDR protestiert sofort, wenn das Bonner Parlament in West-Berlin eine Tagung abhält oder wenn der westdeutsche Bundespräsident in West-Berlin gewählt wird. Aber die Wirklichkeit ist anders. Die westlichen Allüerten und Bonn machten in diesem Punkt von- Anfang an einen großen Fehler. Sie verlangten nämlich niemals kategorisch, daß Ost-Berlin nach dem gleichen Status lebe wie West-Berlin. Sie verlangten auch niemals, daß die Ulbricht-Regierung ihren Site aus Ost-Berlin verlege. Sie verlangten niemals, daß sich in Ost-Berlin keine ostdeutschen Truppen befänden.

Sie spielten, mit einem Wort, niemals den Ball zurück, obwohl für dieses Spiel alle rechtlichen Voraussetzungen vorhanden waren. Und nun wird die Hast der Brandt-Regierung, den Vertrag Bonn-Moskau so rasch wie möglich unter Dach und Fach zu bringen, dieses Spiel endgültig verderben. Willy Brandt hat erklärt, daß Fortschritte in der Berlinfrage ein Junktim zum Bonn-Moskau-Vertrag seien. Es müßten Verbesserungen der Situation Berlins eintreten. Welche Verbesserungen er meint, sagte er nicht. Und so ist die Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß er sich mit sehr geringen Verbesserungen zufriedengeben wird. Es werden einige direkte Telephonledtungen zwischen-Ost- und West-Berlin gelegt werden dürfen. Und den Westberlinern werden Erleichterungen für den Besuch Ost-Berlins gewährt werden. (Sicherlich aber nicht, umgekehrt, den Ost-Berlinern!) Dafür ist Willy Brandt bereit, die Repräsentanz Westdeutschlands in Berlin zu opfern und der DDR sogar ein Mitspracherecht auf dem Gebiet der Zufahrtswege zu gestatten. Auf diese Weise wird Rußland West-Berlin aus dem Griff des Westens herausschälen. Es wird sich hüten, West-Berlin vollständig seinem Block einzuverleiben, denn West-Berlin kann nur durch die Milliardenunterstützung seitens der Bundesrepublik am Leben erhalten werden. Und Rußland wird sich hüten, diese finanzielle Hilfe für West-Berlin zu übernehmen. Aber durch das Herausschälen aus der sogenannten deutschen Repräsentanz kommt West-Berlin in die Situation, eine Art Brückenkopf des Ostens in der freien Welt zu werden, ein Brückenkopf, den es vollkommen in der Hand hat und über den seine wirtschaftlichen, politischen und sonstigen Verbindungen in den Westen fließen. Die große Stunde der westlichen Alliierten, aber vor allem der deutschen Opposition ist gekommen. Wahrscheinlich hat sie zum letzten Mal die Chance, den Russen auf einer rein rechtlichen Ebene einen Ball zurückzuspielen. Denn jedermann weiß, daß die Russen immer peinlichst darauf bedacht sind, internationale Vereinbarungen einzuhalten, wenn der Partner darauf besteht.

Die große Stunde der CDU/CSU ist gekommen. Die Russen legen nämlich größten Wert darauf, daß im Bonner Parlament nicht nur die jetzige Koalition, die doch auf sehr schwachen Füßen steht, zustimmt, sondern auch die Opposition. Und die Opposition könnte diesem Vertrag unter der Bedingung zustimmen, daß der Vier-Mächte-Status in bezug auf ganz Berlin strikt durchgeführt wird. Das heißt, daß die Ostberliner nicht Angehörige der DDR sind, ebensowenig wie die Westberliner es sind, daß das Ulbricht-Regime seinen Sitz aus Berlin-Pankow verlegt, daß die DDR-Truppen aus Ost-Berlin abziehen.

Es ist ein großes Pokerspiel, das hier gespielt wird, und da auf der westlichen Seite leider keine Schwejks mitspielen, ist zu befürchten, daß dieses Spiel zugunsten der Russen ausgeht.

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