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Polnisches Deutschlandbild

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Polens Haltung gegenüber der Bundesrepublik Deutschland hat sich in den letzten Jahren verhärtet, nachdem es lange Zeit die Normalisierung der Beziehungen ohne Vorbedingungen angestrebt hatte. Von der Bundesregierung lange ohne Antwort gelassen — auch auf notifizierte Sicherheitsvorschläge wie diejenigen Rapackis —, versteifte sich Warschau auf einen immer größeren Katalog von Bedingungen,

zu denen nicht nur die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze, sondern schließlich auch noch die der DDR gehörte. In Bonn neigt man deshalb zu der Annahme, mit den Polen sei einstweilen nichts zu machen, an ihrem verzerrten Deutschlandbild müsse jeder Versuch zum Dialog scheitern. Ist das richtig? Oder ist es die Reflexion eines ebenso vergröberten Polenbildes bei uns?

Betrachtet man die Äußerungen der öffentlichen Meinung in Polen — Reden, Artikel, Bücher —, zumal im Jahre des mißglückten Dialogversuchs zwischen den katholischen Bischöfen, so steht die Bundesrepublik eigentlich im Mittelpunkt allen außenpolitischen Interesses. „N R F“, diese drei Buchstaben für „Niemiecka Republika Federalna“ geistern ohne Unterlaß durch das politische Denken der Polen. Die stereotype Formel vom Bonner

„Revanchismus“ nährt sich aus verschiedenen Quellen: aus der wachgehaltenen Erinnerung an die Schreckensjahre der deutschen Besetzung, aus der Unfähigkeit deutscher Politiker, Konsequenzen aus dem (auch moralisch) verlorenen zweiten Weltkrieg zu ziehen, und aus der Unfähigkeit polnischer Politik, die stereotypen Formulierungen mancher deutscher Sonntagsredner als das zu erkennen, was sie sind: Ausdruck von Sterilität, nicht von Aggressivität.

Die These vom „revanchistischen“ Charakter der bundesdeutschen Politik wird nicht nur von Propagandainteressen diktiert, sondern auch von ehrlicher Befürchtung und Abneigung. Gerade solche Empfindungen richten sich ihrer Natur nach wicht allein gegen eine bestimmte Politik. Sie wenden sich im Bewußtsein einer breiten Öffentlichkeit sehr leicht gegen die Deutschen, gegen jene Nachbarn, deretwegen man seit einem halben Jahrhundert in Mitteleuropa keine Ruhe habe. Die Gefahr aber, daß nämlich die ständige Kampagne gegen „Bonn“ die Geister eines unguten Nationalismus wecken könnte — eines Nationalismus, der sich gegen den östlichen Nachbarn wendet —, wird von einsichtigen Polen, auch von höchsten Regierungskreisen, allmählich erkannt. Eine allzu vergröberte Einschätzung der Bundesrepublik würde auch, wie man in Warschau befürchtet, die Bewegungsfreiheit der Außenpolitik einengen und das Feld der Deutschlandpolitik anderen überlassen: Russen, Rumänen,

Tschechen oder gar den Deutschen selbst. Die Episode „Redneraus- tausch SPD—SED“ hat diese polnische Befürchtung jäh, wenn auch nur kurz aufflammen lassen.

Nicht nur im Zerrspiegel

Es fehlt nicht an polnischen Versuchen, trotz verhärteter Politik gegenüber Bonn das Problem „NRF“ differenzierter und ruhiger zu betrachten und nicht nur im Zerrspiegel üblicher Vereinfachungen. Parteichef Gomulka, der am heftigsten vom deutschen Alptraum geplagt ist, beteuerte am 1. September 1965: „Wenn wir von Militarismus und Revanchismus sprechen, haben wir nicht die ganze Gesellschaft der Bundesrepublik im Sinne. Wir wissen, daß die überwiegende Mehrheit der westdeutschen Gesellschaft keinen Krieg will.“

Ein Jahr später, wieder am Gedenktag des deutschen Überfalls auf Polen, sagte Ministerpräsident Eyrankiewicz: „Oft wirft man uns vor, daß wir die anderen Deutschen nicht sehen. Aber doch! Wir würdigen und schätzen den Mut der leider nicht zahlreichen Intellektuellen, Publizisten, evangelischen und katholischen Geistlichen, Gewerkschaftern, die eine Normalisierung der Beziehungen zwischen Polen und der Bundesrepublik fordern.“

Selbst der polnische Innenminister, General Moczar, der als Vorsitzender der Kriegsveteranenorganisation „Zbowid“ die einstigen Partisanen, auch die nichtkommunistischen, im militant-nationalen Geist um sich sammelt, versicherte in einer Rede fcn Radgoszcz: „Wir Polen können von uns ohne Selbstlob sagen, daß wir von Natur keine nachtragenden Leute sind, die jahrelang Haßgefühle mit sich tragen. Wenn wir sagen, wir vergeben den Mördern nicht, so steckt darin kein Haß, kein Rachedurst.“

„Keine Komplexe“

Moczar stellte der deutschen Ausgabe seiner Kriegsmemoiren, die jetzt im Ost-Berliner Militärverlag erschien („In Polens Wäldern. Ein Partisan erzählt“), im Vorwort voran, das in der polnischen Ausgabe fehlt: Die polnische Jugend wiederholt heute nicht mehr das einst in Polen geläufige Sprichwort: Solange die Welt besteht, werden Deutsche und Polen nicht Brüder sein ... Eroberungssüchtige Nachbarn teilten unser Land unter sich und beherrschten es lange Jahre. Kein Wunder also, daß unser Volk besonders empfindlich auf das Verhältnis seiner Nachbarn tu unseren Grenzen, zu unserer Unabhängigkeit reagiert... Einige bürgerliche Publizisten, Politiker und Staatsmänner des Westens sagen, daß die Politik der Volksrepublik Polen von Mißtrauenskomplexen gegenüber Deutschland bestimmt wird. In Wirklichkeit gibt es in unserer Politik keinen antideutschen Komplex...“

Als Alibi gegen den Vorwurf, „antideutsch“ zu sein, dient der pol nischen Publizistik natürlich die offizielle Freundschaft mit der DDR. Als unmittelbarer Nachbar, als Puffer zwischen Oder-Neiße und Elbe, hat die DDR in den letzten Jahren für Polen an Gewicht gewonnen — trotz mancher Vorbehalte und Schwierigkeiten. „Ich idealisiere die DDR gar nicht“, schrieb Radkowski, der Chefredakteur der Warschauer „Pblityka“, nach einer Reise durch beide Teile Deutschlands. „Ich kenne ihre Schwächen und auch ihre Gebrechen. Ich weiß, daß die Ansichten der Menschen durch keinen Verfassungsakt, auch durch das beste Gesetz nicht geändert werden. Für mich als Polen und Europäer ist jedoch entscheidend, daß ... dort die Quelle des deutschen Nationalismus und Militarismus liquidiert wurde.“ Die von Radkowski angedeuteten

„Schwächen und Gebrechen“ werden in Polen öffentlich nie beim Namen genannt; die Mauer nennt Ra- kowski delikat „natürlich nicht die beste vorstellbare Grenze“. Verschwiegen wird auch, daß die DDR sich der gemeinsamen deutschen Verantwortung für die Hitlerzeit entzieht — so als ob nur die Westdeutschen diese Hypothese zu tragen hätten. Aber — die DDR stellt die Oder-Neiße-Grenze nicht in Frage, sie beschäftigt keine Richter und Generale, die schon Hitler dienten, im Staatsdienst, und kein Minister Ulbrichts reklamiert Hedmatrecht im Osten. Für Polen bedeutet das im Blick auf Deutschland nicht wenig. Und so fällt es der polnischen Publizistik immer wieder leicht, Bonn im negativen Sinne mit der Alleinvertretung Deutschlands zu belasten.

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