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Postkommunistisches Lernen in Bulgarien

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Die katholische Kirche ist in Bulgarien eine kleine Minderheit. Dennoch gilt sie als interessant - gerade für Protagonisten des alten Systems. Eindrücke von einem Bibelseminar im Land am Schwarzen Meer.

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Die katholische Kirche ist in Bulgarien eine kleine Minderheit. Dennoch gilt sie als interessant - gerade für Protagonisten des alten Systems. Eindrücke von einem Bibelseminar im Land am Schwarzen Meer.

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Immer wieder hat sich in Bulgarien ein für orthodoxe Länder sehr großes Interesse an der katholischen Kirche gezeigt. Darauf weisen etwa der Eintritt bulgarischer Moslems in die katholische Kirche, aber auch die Enttäuschung über die Absage eines Papstbesuches, die von der Presse des Landes als Schlappe für die bulgarische Diplomatie verstanden wurde, hin. Johannes Paul II. hatte eine Visite davon abhängig gemacht, daß er nicht nur von der Regierung eingeladen wurde, sondern auch von Patriarch Maksim, dem von den anderen orthodoxen Ländern anerkannten Oberhaupt der bulgarischen Kirche.

Das Interesse an der katholischen Kirche hat sicher teilweise religiöse Beweggründe, teilweise aber auch politische. Dies zeigt das folgende Erlebnis:

”Ein Bibelseminar für ehemalige Atheisten halten”, lautete die spannende Einladung nach Bulgarien. Die Veranstaltung sei auch mit der orthodoxen Kirche abgesprochen, hieß es. Tatsächlich sollte die Reise uns einen guten Einblick in noch immer existierende Strukturen aus kommunistischer Zeit gewähren sollte, zugleich aber in die Angst der Partei vor der katholischen Kirche.

Den Geheimdienst kennenlernen

Eine Reise nach Bulgarien steht nicht jeden Tag am Programm; dementsprechend legte es sich nahe, schon einige Tage früher zu fliegen, um noch ein wenig Sofia und seine Umgebung sehen zu können.

Sofia ist eine sympathische Stadt, besonders im Frühling. Spannend war aber vor allem eine Begegnung: An einer Straßenecke in Sofia lernten wir den Geheimdienst kennen. Es war ein junger Mann, der fabelhaft Deutsch sprach. Verständlich, daß er sein Deutsch anwenden wollte, als wir ihn nach dem Weg fragten.

Bald erzählte er uns, er sei Theologiestudent im fünften Semester, ein angehender Kollege also und wollte natürlich wissen, was wir in Bulgarien machten. Wir erklärten es ihm und erkundigten uns nun nach seinem Studium. Aber da gab es Überraschungen: Der orthodoxe Theologe im fünften Semester konnte uns nicht erklären, wie man an der orthodoxen Fakultät Bibelwissenschaft studiert. Nun gut. Vielleicht fehlt das Vokabular. ”Ganz normal”, ist die Antwort. ”Snielt die Patrologie eine große Bolle?', frage ich. Da er nichts zu antworten weiß, meine ich: ”So Leute wie Athanasius oder Gregor von Nys-sa” (Sie sind in der Ostkirche viel wichtiger als bei uns). Wieder eine ausweichende Antwort. Nachdem er sichtlich Schwierigkeiten hat, Altes und Neues Testament auseinanderzuhalten und auch die bulgarischen Worte dafür nicht erkennt, verabschiedet sich unser Begleiter wieder. Was uns zuerst rätselhaft bleibt (”So schlecht kann die Ausbildung doch nicht sein”), klärt sich erst viel später im Gespräch mit einem Balkanexperten als mißglückter Aufklärungsversuch des Geheimdienstes.

Zwei Tage später beginnt das Seminar. Beim Abendessen werden mir die Ehrengäste vorgestellt: ein ehemaliger Professor für angewandten Marxismus, einer für Geschichte der bulgarischen kommunistischen Partei vor 1918, andere Teilnehmer, alle mit Parteivergangenheit, außerdem eine Schulklasse.

”Die katholische Kirche übt eine besondere Faszination auf viele ehemalige Kommunisten aus”, erklärt, mir eine Dame. ”Wissen Sie, wenn es heute eine Parteiveranstaltung gibt, kommen vielleicht zwanzig Leute. Aber wenn der Papst nach Manila kommt, da jubelt eine ganze Million ihm zu. Das muß eine überzeugende

Ideologie sein.”

Offensichtlich hatte die lokale Partei Sorge, ihren gebliebenen Einfluß auch noch zu verlieren: In einer Aussendung warnte sie vor den Aktivitäten einer Sekte, die hier ein Bibelseminar abhalten möchte. Keine neuen Probleme. Die Sorgen waren der bulgarischen kommunistischen Partei ja schon 1980 ein Papstattentat wert.

Neue Ideologie -altes Verhalten

Das Bibelseminar selbst verlief gut. Wie schon viele Male vorher versuchten wir, die Grundzüge des biblischen Glaubens zu erklären: gestorben, um den Menschen nachzugehen, auferstanden am dritten Tag... Oft gab es im Anschluß an solche Vorträge Gespräche, manchmal spannende Diskussionen. Hier war alles anders: Was immer wir darlegten, sofort wurden unsere Aussagen von exkommunistischer Seite bewiesen: ”Dieser Gedanke ist wichtig, weil... Dieser Ansatz ist logisch und sinnvoll, weil... .

Für uns blieb es ungewöhnlich, aber fürs erste nicht zu deuten. Erst viel später klärte sich das dahinter liegende Schema auf: Jahrzehnte lang hatten die Parteiideologen gelernt, jede neue Idee im Einparteiensystem sofort ideologisch zu untermauern. Ihre Aufgabe war, darzulegen, warum der Sekretär der Partei, das Parteibüro, oder welcher Sprecher auch immer, Becht hatte, warum diese neue Idee eine gute war. Sie waren nicht da, um zu kritisieren - in der Partei waren immer alle einer Meinung -, sie waren da, um zu bestätigen. Die Ideologie hatte sich geändert, die Verhaltensmuster waren die gleichen geblieben.

Ob unser Seminar schließlich erfolgreich, war, weiß ich nicht. Auf Wunsch hätte man uns dies selbstverständlich gerne auch bewiesen. Man hätte uns auch gesagt, daß hier wie an anderen Orten, wo wir waren, mehrere neue Bibelrunden entstanden sind oder alte neues Leben bekommen haben. Wir verzichteten darauf, zu fragen. Gelernt hatten wir zweifellos einiges, vor allem über post-kommuni-stische Strukturen.

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