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Prag und der orthodoxe Osten

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Das orthodoxe zaristische Rußland hat an der geistigen Verankerung der Westslawen: Tschedien, Slowaken, Polen, Kroaten und Slowenen, in der römisch-katholischen Kirche stets zu rüttelt} gesucht. Auch politische Mittel mußten diesem Ziel dienen: Am Pfingstmontag 1848 wurde in Prag während des Slawenkongresses von einem serbischen Priester eine orthodoxe Messe auf dem Roßmarkte, dem heutigen Wcnzels-platz, gelesen; anschließend an diese ..Slawenmesse“ fanden Umzüge statt. Schüsse fielen, man baute Barrikaden — die Revolution war ausgebrochen. 1867 knüpfte die Reise tschechischer Politiker zur ethnographischen Ausstellung nach Moskau auch Bande zur russischen Staatskirche. Am 1. Oktober 1870 wurden in der Alexander-Newski-Kathe-drale in Petersburg vierzehn Tschechen, die nach der Verkündigung des Tnfallibilitäts-dogmas die katholische Kirche verlassen hatten, durch den Metropoliten feierlich in die Ostkirche aufgenommen und ein halbes Jahrhundert lang entsandte der russische Patriarch seine Priester an die Prager russisch-orthodoxe Kirche.

Wiederholt sich die Geschichte? Bald nach der Wiedererstehung der Tschechoslowakei im Oktober 1945 stattete der russisdie orthodoxe Erzbisdiof F o t i j der Tschechoslowakei einen Besuch ab und im Mai 1946 hat Patriarch Alexis von Moskau das Prager orthodoxe Bistum in den Rang eines Erzbistums erhoben, ein Exardiat für das gesamte Gebiet der tschechoslowakischen Republik errichtet und die Gründung eines diesem Exarchat unterstellten Epardaats für die Slowakei geplant als Ersatz für das Bistum Munkacz (Mukacevo), dessen Sitz durch die 1945 erfolgte Abtrennung der Karpathenukraine an die Sowjetunion nunmehr im Aus'and liegt. Zum Erzbischof von Prag und gleichzeitig zum Exardien für die Tschechoslowakei hat der Patriarch den bisherigen Bischof von Rostow und Tagan-rog, E 1 e n t h e r i j, ernannt, der in der Cvrill- und Method-Kathedrale in Prag feierlich inthronisiert wurde

Die nach dem ersten Weltkrig einsetzende tschechische „Los-vondlom“-Be-wegung führte zu einer Schwächung der katholischen Kirche — die Zahl der Katholiken innerhalb des tschechischen Volkes sank von 96.5 auf 77,5 Prozent, während die der Sudetendeutschen gleichzeitig geringfügig anstieg, nämlich von 94.2 auf 94.5 Prozent. Die Zahl der Orthodoxen in der Slowakei stieg in dieser' Zeit von 3000 auf 73.000. zum Teil auf Kosten der griechisch-kathohschen (linierten) Kirche'. Trotz wohlwollender Haltung des neuerrichteten tschechoslowakischen Staates ist es aber auch der neuen Nationalkirche, der von mehr als hundert ehemaligen katholischen Priestern gegründeten „tschechoslowakischen Kirche“ mit tschechischer Kultsprache nicht gelungen, mehr als eine halbe Million Anhänger zu gewinnen. Sie suchte Anschluß an die übrigen, von Rom unabhängigen Nationalkirchen des Ostens und wandte sich nach Belgrad. Der zu ihrem Oberhaupt gewählte ehemalige katholische Priester Matej Pavh'k empfing 1921 in Belgrad die Bischofsweihe und nahm den Namen Gorazd an. zur Erinnerung an einen Schüler des hl. Method, der wie er aus Mähren stammte. Als er jedoch nach sechsmonatigem Aufenthalt bei den Tschechen Amerikas im Juli 1924 nach Prag zurückkehrte, hatte eine von einem anderen gewesenen Priester der römischkatholischen Kirche, Dr. F a r s k y. geführte, dogmenfeindliche Strömung die Oberhand gewonnen. Di? serbische Kirche brach zu der sich vom Boden des historischen Christentums immer mehr lösenden tschechoslowakischen Kirche alle Beziehungen ab und Bischof Gorazd, der seinen Anhang verloren

hatte, schloß sich der bestehenden orthodoxen Gemeinde an, die er 1929 zu einer tschechischen Eparchie (Diözese) unter der Jurisdiktion der serbischen Kirche mit tschechischer und altkirchenslawischer Kultsprache ausgestaltete. Sie fand in der Zeit des nazistischen Protektorats ihr Ende, als nach dem Anschlag gegen Heydrich am 27. Mai 1942 die Attentäter in der Krypta der Cyrill- und Method-Kathedrale entdeckt wurden und man hier auch einen Geheimsender fand. Lediglich die Gemeinde der emigrierten orthodoxen Russen unter Bischof Sergij blieb unangetastet, während die tschechische orthodoxe Kirche aufgelöst und ihre Anhänger amtlich als konfessionslos geführt wurden.

Als Gründungsjahr der tschechischen ortho dp xen Kirche wird heute nicht das Jahr 1870 angesehen, in dem die Errichtung ihres ersten Gotteshauses in Prag erfolgte; man knüpft vielmehr die Geschichte 1000 Jahre früher, an das Auftreten der hl. Slawenapostel Cyrill und Method im Jahre 863 an. Den interessanten Ausführungen Vladimir Chmelafs, eines orthodoxen Tschechen, in den in Paris erscheinenden ..Cahiers du Monde Nouveau“ entnehmen wir folgende neuen Gesidrts-punkte über die Bedeutung der Ostkirche für das tschechische Volk:

„Als das germanisch-lateinische, abendländische Christentum vom Westen her seinen Weg nach Böhmen nahm. fand, es zufolge des Wirkens der beiden Slawenapostel bereits eine so hohe Kulturstufe vor. daß das tschechische Volk nicht mehr absorbiert

werden konnte. Der Einfluß der Ostkirche konnte nie ganz unterdrückt werden, er zieht sich durch t die ganze tschechische Geschichte. Nicht nur Hus selbst war ein guter Kenner der orthodoxen Lehre, vor allem sein Schüler und Mitarbeiter Hieronymus von Prag verfocht den orientalischen Ursprung des tschechischen Christentums sogar vor dem Konzil von Konstanz, wo ihm unter anderem seine 1413 erfolgte Reise nach Rußland sowie sein langes Haar und sein Bart nach der Art russischer Popen vorgeworfen wurde. Später führte die hussi-tische Kirche mit dem Patriarchen von Konstantinopel Verhandlungen über ihre Vereinigung mit der Ostkirche, die aber durch die Einnahme dieser Stadt durch die Türken im Jahre 1453 ein Ende fanden. So wird das Jahr 1453 nidit nur zum Schicksalsjahre der Ostkirche, sondern auch des tschechischen Volkes, das bei Anlehnung an den Osten eine ganz andere Entwicklung genommen hätte.“

Man wird diesen neuen Gedankengängen Chmelafs nicht in allem folgen können: Die Missionstätigkeit des Brüderpaares Cyrill und Method liegt noch vor dem Schism des Photius, das die orientalische Kirche von der römisdaen scheidet; ihre Bibelübersetzung in das Slawische erfolgte mit Zustimmung des römischen Papstes Johann VIII. und in Rom wurde der hl. Method zum Bisdiof von Mähren geweiht.

Wie man sich auch zu dieser Geschichtsauffassung verhalten möge, eines steht fest: Die orthodoxe Kirche ist heute überzeugt — in dieser Meinung gipfeln die Ausführungen Chmelafs —, daß alle christgläubigen Tschechen und Slowaken sich ihr anschließen werden, daß ihr die Zukunft gehört, weil sie die ursprüngliche, unverderbte Form des Christentums darstelle und weil sie niemals den Feinden des tschechischen und slowakischen Volkes gedient habe, was von keiner anderen historischen Kirche behauptet werden könne.

Aber auch unter den Katholiken der Tschechoslowakei besteht heute ein reges Interesse für den orientalischen Ritus, die slawische Liturgie und die altkirchenslawische Kultsprache. -Hinausgehend über das Privileg Benedikts XV. aus demjahrel920, wonach in bestimmten Gotteshäusern Böhmens und Mährens am Cyrill- und MetJiod-Tage sowie am Wenzels-Tage die Messe nach lateinischem Ritus in slawischer Sprache-gelesen werden kann, 'wird heütäe auch 'aos*1' ihren Kreisen der Ruf nach slawischer Liwr-gie laut.

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