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Prags moderne Pranger

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Das Gespräch um die Tätigkeit von Laienrichtern und Laiengerichten ist nicht auf Österreich beschränkt. Erst kürzlich machte eine kommunistische Stimme in der Tschechoslowakei das dortige Unbehagen über die — allerdings weit stärker ausgeprägten — „Volksgerichte“ deutlich.

Ausführlich befaßte sich der Sekretär des tschechoslowakischen Gewerkschaftsverb andes, Vöclew Pasek, mit den örtlichen Volksgerichten, die, wie immer man sie auch beschönigen mag, eine Fortsetzung des früheren „Prangers“ darstellen. Die Werktätigen selbst — sagte Pasek — sollen unmittelbar dort, wo es zu einer Verletzung des sozialistischen Zusammenlebens und der Arbeitsdisziplin gekommen ist, solche Erscheinungen verurteilen und aktiv bei der Erziehung der Schuldigen mithelfen. Der Schwerpunkt des Einschreitens gegen weniger ernste Übertretungen verlegt sich auf die Anwendung der gesellschaftlichen Verurteilung und des gesellschaftlichen Einwirkens auf den Täter.

Die Fragwürdigkeit dieser örtlichen und betrieblichen Volksgerichte aber kann man durch die Zeilen der sehr sorgfältigen Formulierung doch erkennen:

„Die Stärke des örtlichen Volksgerichtes, die bei jedem Falle zum Ausdruck kommen muß, besteht in der erzieherischen Seite der Verhandlungen. Die Richter dieser Institutionen müssen daran interessiert sein, daß sich die erzieherische Wirkung nicht auf die Schuldigen beschränkt, sondern auf das gesamte Kollektiv ausdehnt. Alle Maßnahmen der Volksgerichte sollen erzieherischen Zwecken dienen.“

Die Errichtung dieser örtlichen „Volksgerichte“ war nicht zufällig das erste Gesetz auf Grund eines ZK-Beschlusses vom 8. Dezember 1960 zum Umbau des Justazwesens. Schon in diesem ZK-Beschluß waren Aufbau, Kompetenz, Arbeitsweise und Sinn dieser neuen Gerichte bis ins Detail vorgeschrieben worden; das ein Vierteljahr später folgende Gesetz hatte nur noch die äußere Form eines Gesetzes hinzuzufügen. Im übrigen handelte es sich dabei keineswegs um eine tschechische Erfindung. Man ging damals, 1960, noch ziemlich starr nach dem sowjetischen Vorbild vor, wo ähnliche Gerichte, die man allerdings „Genossengerichte“ nennt, an Ort und Stelle, ohne Juristen und ohne die Verfahrensibestimmungen anderer Gerichte, rasch über Verfehlungen und kleinere Vermögensstreitigkeiten entscheiden.

In der Tschechoslowakei hatten die Kommunisten ursprünglich — und zwar im Jahre 1952 — die damaligen Bezirksgerichte ganz einfach in „Volksgerichte“ umbenannt, diese Umbenennung allerdings durch die Verfassung des Jahres 1080 rückgängig gemacht und anschließend mit Oesetz vom 18. April 1061 die „Volksgerichte“ der bisherigen Organisationsform angegliedert

Nun sieht die Einführung dieser „Volkageriehte“, die in anderen Ost-blockländern „Kameradengerichte“, „Genossengerichte“ oder „Gesellschaftsgerichte“ heißen, dann etwas harmloser aus, wenn man bedenkt, daß das Laienelement in dar tschechoslowakischen Justiz eben durch die kommunistische Umgestaltung insgesamt weit stärker geworden ist und daß sogar die Berufsrichter regelmäßig gewählt werden müssen. So wurden gemeinsam mit den letzten Nattonalrata-wahlen am 14. Juni 1964 994 Be-rufsrlchter und 29,291 Latenriehter in direkter Wahl von der Bevölkerung gewählt. Hier handelt es sich aber nur um die direkten Richter-Wahlen; bekanntlich werden auch die höheren und höchsten Richter — wenn auch „indirekt“ — gewählt; o wurden anschließend 361 Berufs-rtehter und 3868 Laienrichter der Kreisgerichte durch die Kreis-nationalaussehüsse und schließlich 47 Berufsrichter und 45 Laienrichter für den Obersten Gerichtshof durch die Nationalversammlung gewählt. Die Zusammensetzung der Gerichte, die nunmehr durchwegs Kolleglal-organe sind, sieht nach dem Gerichtsorganisationsgesetz des Jahres 1961 folgendermaßen aus: Gerichte erster Instanz (Bezirksgerichte); drei Richter, von denen einer ein Berufsrichter ist; Gerichte zweiter Instanz (Kreisgerichte, Stadtgericht Prag): fünf Richter, davon drei Beruf sriehter. Fast ebenso bedeutsam ist allerdings, daß das Mindestalter der Berufsrichter auf 23 Jahre, das der Laienrichter auf 21 Jahre festgelegt wurde, also außerordentlich niedrig festgelegt ist. Im übrigen ist es aber auch mit den „Wahlen“ nicht so kritisch; das Entscheidendere ist das „Aufstellen“, denn bekanntlich war die. Zahl derer, die auch im politischen Bereich nicht gewählt wurden, minimal. Im übrigen kann nach der Novellierung des Gesetzes Über die Volksgerichte im Jahre 1964 der Justizminister auch bescheinigen, daß ein Kandidat als Bezirksrichter wählbar ist, auch wenn er sein Studium der Rechtswissenschaften noch nicht beendet hat.

Bei den Wahlen des Jahres 1964 war übrigens auch die Zahl der zu wählenden Laienrichter schon wesentlich — und zwar auf fast die Hälfte — reduziert worden, da man mit einem sichtbaren Rückgang der Agenden gerechnet hatte.

Bei der Zahl der Volksgerichte gibt es immer wieder Schwankungen, wenn sie auch insgesamt nicht allzu hoch sind. Waren es früher weit mehr als 1000, so zählte man 1963 Jim ganzen Staatsgebiet 879 Volksgerichte; ihre Zahl war bis zum Jahre 1965 wieder auf 991 gestiegen, davon entfallen 525 auf Betrieb und 486 auf Gemeinden. Bei rund 12.000 Gemeinden und 14 Millionen Einwohnern entfallen also nur auf rund 25 Gemeinden und 14.000 Staatsbürger ein Volksgericht, so daß die Engmaschigkeit nicht allzu groß ist. Berücksichtigt man allerdings, daß es etwas mehr als 100 Bezirke gibt, so entfallen auf einen Bezirk im Durchschnitt zehn Volksgerichte. Die Errichtung von Volksgerichten ist nicht zwingend vorgeschrieben; sie erfolgt dort, wo es ein Ortsnationalausschuß oder die örtliche Gewarkschaftsfülhrung wünscht und beim Beziriksnaitional-aiusschuß beantragt.

Auch wenn die Volksgerichte ein Teil der Gerichtsorganisation sind und ein Rechtszug zu den Bezirksgerichten zugelassen ist, hat das Unbehagen über ihre Tätigkeit doch dazu geführt, daß kürzlich beim Prager Justizministerium eine Enquete über diese Volksgerichte abgehalten wurde, die allerdings ohne greifbare Erfolge oder Änderungsvorschläge zu Ende ging.

Das beiderseitige Unbehagen (bei der Bevölkerung und bei der KP beziehungsweise der Gewerkschaft) vermittelt auch die Erklärung des Gewerkschaftssekretärs Pasek, der auf zwei extreme Ansichten und Fehlerquellen aufmerksam macht: „Die Praxis hat erwiesen, daß die örtlichen Volksgerichte freilich manchmal dort unwirksam sind, wo es wünschenswert wäre, und daß sie hingegen manchmal unverhältnismäßig scharf dort wirken, wo eine taktvollere Beurteilung dm schuldigen Personen am Platz wäre.“

Auch wenn als Strafen meist nur Geldbußen, Ermahnungen und öffentlicher Tadel verhängt werden, so soll es — nach Palek — „Selbstverständlichkeit werden, daß das Primelp der Öffentlichkeit mit mehr Fingerspitzengefühl angewendet wird, und zwar mit Rücksicht auf die persönlichen Eigenschaften, auf den Grad de moralischen Verfalls und auf die Möglichkeiten einer Besserung des Täteins“. Auch soll jede wie immer geartete Sensationshascherei, die Befriedigung von Neugier und all das vermieden werden, was man als „an den Pranger stellen“ bezeichnet.

Diese Worte sind allerdings nicht ganz im Einklang mit anderen Worten Paäeks zu bringen, wenn er erklärt, „der Schwerpunkt des Einschreitens gegen weniger ernste Übertretungen verlegt sich auf die Anwendung der gesellschaftliehen Verurteilung und des gesellschaftlichen Einwirkens auf den Delinquenten“.

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