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Preßburger Episode

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Unter der Schlagzeile „Preßburger Gerüchte“ berichtet eine in Westösterreich vielgelesene Tageszeitung, drei der bekanntesten slowakischen Politiker aus der Zeit der slowakischen Eigenstaatlichkeit seien aus dem Preßburger Gefängnis, in dem sie dem gegen sie geführten politischen Prozesse entgegensahen, verschwunden. Die Namen T i s o, T u k a und Mach werden in diesem Zusammenhang genannt. Es erscheint noch unklar, was da wirklich geschehen ist. Amtliche Meldungen liegen nidit vor. Romantisches Dunkel einer Entführungsgeschichte? — Neben Tiso, dem gewesenen Staatspräsidenten, ist unter den Genannten Universitätsprofessor Dr. T u k a, der frühere slowakische Ministerpräsident, die bekannteste Persönlichkeit, vielleicht die interessanteste, sicher die bedeutendste unter den dreien. Tuka ist so recht der Mann von der Sprachgrenze dreier Nationen, Sohn eines Zeitalters, in dem das slowakische Volk, durch Jahrhunderte treue Stütze des Habsburgerreiches, in die Wirbel des Unterganges des alten Reiches gerissen und ans dem Strudel des Geschehens auftauchend, enttäuscht mit der neuen Umgebung kämpfte.

Als slowakischer Abgeordneter im Buda-pester Parlament hate der junge Tuka gegen die magyarische Assimilationspolitik gekämpft, erfüllt von dem Gedanken am Beruf und Bedeutung der Donaumonardlie für die geistigen und kulturellen Belange des Slawentums, ähnlich wie vor ihm der tschechische Historiker Palacky.

Nun, im neuen tschechoslowakischen Staate sah er die Gefahr für die slowakische Volksindividualität von anderer Seite her, aus der Gemeinschaft mit dem in jeder Beziehung überlegenen tschechischen Volke. Als überzeugter Katholik fürchtete er aus der allzuengen Nachbarsdiaft mit der unter den Tschechen vorwaltenden freisinnigrealistischen Ideenwelt auch ein für das Slowakentum unheilvolles geistiges Konta-gium. Deshalb reinliche Scheidung, womöglich Bildung, eines, der gewesenen Monarchie ähnlichen Blockes aus einem Mosaik der Nachfolgestaaten, und damit Sicherung und Eigengeltung für das slowakische Volkstum! Daß sich Tuka auf dieser Linie mit dem ungarischen Revisionismus traf, hat ihm die junge tschechoslowakische Republik, reizbar in der Sorge um ihre staatliche Stellung, nicht verziehen. Sie hielt ihn jahrelang in sicherem Gewahrsam. Er erreichte erst die Freiheit wieder, als nach dem Zusammenbruch des tschechoslowakischen Staates Slowaken in der Uniform von Hlinka-Gardisten ihm, dem von den Volksgenossen gefeierten Nationalhelden, die Türen seines Gefängnisses öffneten, um ihm die Freiheit zu bringen. Nun glaubte er das Ziel nahe. Nodi aus den zwanziger Jahren hatte Tuka Beziehungen zu Wien gehabt, später auch zu dem Beamten des Unterrichtsministeriums Dr. Wilhelm Wolf, dem großdeutschen Illusionisten und späteren Drei-Tage-Minister in dem ersten und letzten österreichischen NaziKabinett Seyß-Inquart. Nun hörte der slowakische Volksführer von Dr. Wolf die Aussichten einer Slowakei an der Seite Deutschlands in glühenden Farben geschildert. Der Traum der selbständigen Slowakei schien sich ihm zu erfüllen, Fr selbst wurde ihr Ministerpräsident, gefeiert von der Goebbels-Propaganda als der schlohweiße Seher seines Volkes; Wolf ward zu seinem Verbindungsmann mit Berlin. Es war auf einer seiner Kurierfahrten nach Preßburg, daß Wolf mit seinem Wagen an einem Kilometerstein zerschellte.

Was half es Tuka, daß er dann später versuchte, den brutalen Zugriff Hitler-Deutschlands in der Slowakei durch passive Resistenz zu schwächen und daß er sich zuletzt, an dieser leoninischen Gemeinschaft verzweifelnd, in seiner Funktion als Ministerpräsident von dem Bruder des Staatspräsidenten Tiso ablösen ließ. In dem Zusammenbruch der nazistischen Herrschaft in Mitteleuropa erlebte er die zweite Staatskatastrophe, die seine Pläne begrub. Und abermals erwartete ihn der Kerker. Er ist eine der politischen Figuren, in denen sich die wilden Wechselfälle dieses Jahrhunderts widerspiegeln. Jene mysteriöse Meldung, daß Tuka aus dem Gefängnis entführt worden sei, läßt die Frage offen, ob diese tragisdie Erscheinung in der neuesten Geschichte des slowakischen Volkes etwa noch einmal irgendwie nach vorne treten werde.

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