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Presse in der Diaspora

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Ebenso wie die Reichhaltigkeit der katholischen Literatur wirkt in England auch die Vielgestalt und Verbreitung der katholischen Presse überraschend. Der Grund hierfür ist nicht etwa der Absatz in den Uebersee-gebieten, der dem englischen Buche ein weites Gebiet erschließt, aber für die Wochenzeitun-gen kaum in Betracht kommt, sondern vielmehr die eigenartige Stellung der Katholiken in England als Minderheit, die sie zu besonderer Regsamkeit in allen katholischen Belangen aneifert und sie im letzten Jahrhundert dazu erzogen hat, das bedrückende Gefühl, eine schwache Minorität zu sein,, durch das Bewußtsein zu überwinden, auf geistig-religiösem Gebiete eine Elite zu bilden.

Der Schwierigkeit, den Ansprüchen der verschiedensten Bildungsgrade und Intelligenzschichten Genüge zu tun wird hier teilweise dadurch begegnet, daß es zahlreiche katholische Wochenzeitungen gibt, die sich in bewußter Arbeitsteilung auf bestimmte Leserkreise einstellen. Deutlich kommt zum Ausdrucke, daß die englischen Katholiken parteipolitisch verschiedener Meinungen sind. Die Mehrzahl, einschließlich eines großen Teiles der Geistlichkeit, ist wohl im Lager der Labour Party gemäßigter Richtung zu finden. Darauf läßt auch der Umstand schließen, daß mehr Katholiken unter den Labour-Abgeordneten zu finden sind als auf den Bänken der Konservativen. Die soziale Schichtung des katholischen Bevölkerungsteiles und die antikonservativen Ressentiments sehr vieler Katholiken irischer Abstammung spielen dabei gewiß eine Rolle. Jedenfalls vermeidet die katholische Presse Englands dauernde Bindungen an eine bestimmte-Partei. Sie beschränkt sich in der Regel darauf, bei der Besprechung wichtiger Tagesfragen das Grundsätzliche klarzustellen; so zum Beispiel in der heiklen Frage der katholischen Schulen, in der schon seit langem währenden Debatte über eine vorgeschlagene weitere Erle! ' -j von Ehescheidungen, und in bestimmten tragen der Außenpolitik, bei denen sie allen engen, isolationistischen Strömungen entgegentritt und das Ideal einer abendländischen Völkergemeinschaft hochzuhalten bemüht ist. Es ist ein Beweis für die ständig wachsende Stärke des katholischen Elements im Lande, wie sehr die Politiker aller Parteien, besonders bei Wahlzeiten, bemüht scheinen, für die Auffassung der Katholiken Verständnis zu zeigen.

Während sich die katholische Presse in anderen Ländern zuweilen einem militanten Atheismus, oft in Gestalt eines Antiklerikalismus, gegenübersieht, spielt diese Gegnerschaft in England fast keine Rolle, woraus es sich erklärt, daß die marxistisch-atheistische Grundtendenz mancher sozialistischer Parteien auf dem europäischen Kontinent in der englischen katholischen Presse nicht die gebotene Beachtung findet. Dagegen steht die Tatsache noch immer im Vordergrund, daß eine aggressiv antirömische Stellungnahme Jahrhunderte hindurch zur nationalen Tradition Englands gehört hat. Wenn eine solche Haltung heute wohl kaum mehr offen zutage tritt, so machen sich ihre Folgen doch noch in weitverbreiteten Vorurteilen, ÜB' kcnntnis und Verständnislosigkeit für die Kirche fühlbar. Die katholische Presse erblickt es daher als eine ihrer wesentlichen Aufgeben, euch außerhalb des Gesinnungslagers weithin aufklärend zu wirken, das Verständnis für die Kirche und ihren Standpunkt zu wecken und kein „katholisches Getto“ aufkommen zu lassen. Diese Bestrebungen haben beachtliche Erfolge gezeitigt. Ein Umstand hat in den zwei letzten Jahrzehnten in besonderem Maße dazu beigetragen, das Interesse der Nichtkatholiken für die katholische Presse zu erwecken und dieser den Zugang zu nichtkatholischen Leserkreisen zu eröffnen. Es ist der heroische Kampf, den die Kirche gegen die totalitären Staatssysteme zu führen hat, und die mutige Haltung, die die katholischen Bischöfe, Priester und Laien in dieser gewaltigen Auseinandersetzung einnehmen.

Diese Erweiterung des Wirkungsfeldes der katholischen Presse und die Darlegung katholischen Gedankengutes in nichtkatholischen

Kreisen ist um so wichtiger, als die große einflußreiche Tagespresse auf diesem Gebiete versagt. Ihr Versagen entspringt viel weniger einem Mangel an gutem Willen als vielmehr einer erstaunlichen Unwissenheit der Berichterstatter. Dies gilt besonders auch von der Behandlung sozialer Probleme, bei der eine völlige Unkenntnis der katholischen Soziallehren auffällt. So geschieht es, daß die englische Tagespresse, wenn sie von den christlich-demokratischen Bewegungen am Kontinent spricht, fast stets diese Parteien schlechtweg als „Conserva-tive — right wing“ bezeichnet. Es ist deshalb das rege Bemühen der Katholiken, in den Gewerkschaften und der Labour Party die Kenntnis der kirchlichen Sozialgrundsätze durch die Presse bekanntzumachen, eine Aufklärungsarbeit, in der diese auch von führenden katholischen Politikern, wie Lord Paken-liam und Mr. Stokes, unterstützt werden. Die gegenwärtige Krise in der Labour Party und ihre Unsicherheit in ihren eigenen programmatischen Grundsätzen läßt erkennen, daß die Partei an einem Scheidewege steht. Katholische Führer aus ihrer Mitte haben jüngst darauf verwiesen, daß hier für die katholische Presse in England bedeutsame Aufgaben erwachsen.

Im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten und zu Irland, wo die katholische Presse überwiegend Sorge der einzelnen Diözesen ist, besteht die englische katholische Presse — mit Ausnahme der theologisch-kulturphilosophischen Monatsschriften wie „Month“ (Jesuiten), „Downside Review“ (Benediktiner) uid „Blackfriars“ (Dominikaner) — ausschließlich aus Privatunternehmen, Laien-werke, ohne Einflußnahme kirchlicher Stellen. Die älteste der Wochenschriften,' „The Tablet“, 1840 in der Zeit des Oxford Movement und des Beginnes der Konver-sionsbewegung gegründet, repräsentiert das wichtigste katholische Wochenblatt für die gebildeten Kreise; es erfreut sich hohen Ansehens auch in niehtkatholischen Zirkeln und wird nicht zuletzt wegen seines ausgezeichneten außenpolitischen Teiles geschätzt. Dir zahlenmäßig größte Verbreitung besitzt „The Universe“, der, iseo naeh dem Muster des französischen „L'Univers“ gegründet, sich heute rühmt, in der katholischen Presse der ganzen Welt mit 230,000 die. größte Auflage zu besitzen. Volkstümlich gehalten und reich illustriert, bedient sieh das Blatt in der Art der Berichterstattung, der Schlagzeilen und Bildreportage moderner amerikanischer Methoden. Der im Jahre 1884 unter Kardinal Mannings gegründete „Catholie Hertld“ war ursprünglich 'als „Qrgan der industriellen Demokratie“ geplant, Er hat sein traditionelles Interesse für sozialpolitische Probleme bewahrt, nimmt jedoch £U allen Tagesereignissen vom katholischen Standpunkte Stellung und dringt hauptsächlich durch seine umfangreiche Korrespondenz mit Lesern, in de. auch Nichtkatholiken zu Worte kommen, erfolgreich in den nichtkatholischen Sektor vor; er ist mit einer Auflage von 100.000 ein wichtiges Sprachrohr des englischen Katholizismus.

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