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Presserecht für die Zukunft

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vorne beginnen. Es wird notwendig sein, den Standpunkt neu zu bestimmen und manche Vorfragen zu klären, ehe man an die Ausarbeitung eines Gesetzesentwurfes schreitet.

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vorne beginnen. Es wird notwendig sein, den Standpunkt neu zu bestimmen und manche Vorfragen zu klären, ehe man an die Ausarbeitung eines Gesetzesentwurfes schreitet.

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Die Presse, und mit ihr alle anderen Massenkommunikationsmittel, sind ein Produkt der Gesellschaft. Sie wandeln sich in ihrer Funktion, ihrer Arbeitsweise und ihrer Wirkung in gleicher Weise wie die Gesellschaft. Diese Wandlungen gehen heute, bedingt durch den technischen Fortschritt, viel rascher vor sich als in der Zeit vor 1938. Allein in den letzten 10 bis 15 Jahren gab es viel größere Veränderungen als früher in 50 oder 60 Jahren. Die Presse hat ihre Monopolstellung verloren, Rundfunk und Fernsehen bieten sich in immer stärkerem Maße als neue Massenkommunikationsmittel an. Unsere Journalisten aber machen die Tageszeitung vielfach noch wie ehedem, so, als ob es andere Massenmedien, die dazu noch den besonderen Vorzug höchster Aktualität besitzen, nicht gebe. Und welcher Verleger und Herausgeber macht sich bei uns schon Gedanken über die Zukunft der Zeitung?

Dabei zeichnen sich die Linien der Entwicklung bereits deutlich ab: In Japan experimentiert man seit langem mit der „Zeitung aus dem Heimemipfänger“, einer Zeitung ohne Austragen, ohne Vertrieb, ohne Kolportage, und ohne Drucker. In 80 Sekunden wird eine 32 mal 44 cm große Seite durch das Empfangsgerät daheim ausgedruckt; die Übertragung erfolgt über die Fernsehsender. Und auf der anderen Seite läßt sich bereits absehen, daß in etlichen Jahren durch die Entwicklung der Nachrichtensatelliten die Monopolstellung der Rundfunkanstalten beseitigt sein wird. Der berühmte Daily Express-Versuch vom 17. Oktober 1967 mit der Übertragung einer Zeitungsseite von London nach San Juan auf Porto Rico über Early Bird hat gezeigt, daß heute bereits eine „internationale Zeitung“ technisch durchführbar wäre. Ihre Zukunft hängt ganz vom Sprachtalent der künftigen Generation oder aber von der Entwicklung von Computern ab, die für die Übersetzung von Texten aus einer Sprache in eine andere programmiert werden können.

Ist es unter solchen Aspekten — und die technische Entwicklung schreitet rascher voran, als die Techniker selbst heute noch annehmen — überhaupt sinnvoll, ein neues Pressegesetz zu schaffen, oder wäre es nicht zweckmäßiger, wenn auch ungleich mühevoller, ein völlig neues, auf dem verfassungsmäßig für alle Massenmedien zu gewährleistenden Grundrecht der Pressefreiheit beruhendes Presse-Rundfunk- und Fernsehgesetz zu schaffen? Man wird den Mut haben müssen, völliges Neuland zu betreten, denn die im Motivenbericht 1961 enthaltene Feststellung, daß ein internationaler Rechtsvergleich keinerlei neue Anregungen geboten habe, ist durch die Entwicklung der letzten Jahre längst überholt. Die 1964 bis 1966 beschlossenen Pressegesetze der deutschen Länder zeigen dies deutlich. Sie berücksichtigen, wenn auch nicht immer in sehr glücklicher Form, Rundfunk und Fernsehen, indem sie zum Beispiel die presserechtlichen Bestimmungen über das Zeugnisverweigerungsrecht, die Gegendarstellung, die öffentliche Aufgabe, das Informationsrecht, die Veröffentlichung amtlicher Schriftstücke, die Sorgfaltspflicht der Presse usw., auf die anderen Massenmedien ausdehnen. Derartige Regelungen wären auch in Österreich, nicht zuletzt zum Schutz der Persönlichkeitsrechte und zur Herstellung der Waffengleichheit bei allen Massenkommunikationsmitteln dringend erforderlich, ebenso wie Maßnahmen zur Sicherung der Beweismittel bei Rundfunk und Fernsehen und zur Unterbindung jedweder Manipulation bei den Monopolmedien. Das auf Grund des Volksbegehrens geschaffene Rundfunkgesetz brachte zwar eine Absicherung des ORF vor dem Einfluß der politischen Parteien, sieht aber, objektiv betrachtet, keine Maßnahmen vor, die einen Machtmißbrauch durch diese Monopolbetriebe verhindern könnten, ein Problem, das übrigens derzeit in vielen europäischen Staaten mit monopoli-tären Rundfunk- und Fernsehanstalten eifrig diskutiert wird. Viktor Reimann hat kürzlich in der „Furche“ aufgezeigt, welche Eigenentwicklung im Massenmedium Fernsehen selbst steckt, und im Falle des ORF eindeutig festgestellt: „Die im ORF beschäftigten Personen sind laut Gesetz frei in der Ausübung ihrer Funktionen. Das bedeutet aber doch nichts anderes, als daß eine Anzahl von Personen nach eigenem Ermessen bestimmt, was Millionen Menschen täglich an Nachrichten und Kommentaren vorgesetzt erhalten. Während es zahlreiche Zeitungen gibt, die eine breite Streuung von Meinungen ermöglichen, ist diese Art von Streuung in einem Meinungsmonopolbetrieb schon allein technisch nicht gegeben.“ Wie notwendig erscheint unter diesen Aspekten die Ausdehnung presserechtlicher Bestimmungen auf Rundfunk und Fernsehen, denen der Staatsbürger heute völlg schutzlos ausgeliefert ist.

Aber auch eine Neuformulierung und Ausweitung des Begriffes Pressefreiheit drängt sich in diesem Zusammenhang auf. Auch hier bahnen sich völlig neue Entwicklungen an, kommen neue Anschauungen zum Durchbruch. Gegenüber der bisherigen Ansicht, daß die Pressefreiheit unteilbar sei und für alle periodischen Druckschriften unterschiedslos gelte, hat erst in diesen Tagen der Deutsche Presserat einigen in Hamburg erscheinenden Sexzeitungen den Charakter von Tageszeitungen und politischen Zeitschriften abgesprochen. Der Sprecher des Presserates, Dietrich Oppenberg, erklärte, in seiner Beurteilung habe der Presserat juridische Gesichtspunkte nicht berücksichtigt, sondern sei von der Zielsetzung und dem Grundcharakter dieser Blätter ausgegangen.

Der österreichische Gesetzgeber hat übrigens 1969 bei der Umsatzsteuerbefreiung der Tageszeitungen und eines bestimmten Kreises von Wochenzeitungen den verfassungsrechtlich sehr umstrittenen und bedenklichen Versuch unternommen, sozusagen zwei Kategorien von Wochenzeitungen zu schaffen, die „guten“, die steuerlich begünstigt werden, und die „bösen“, die weiter Umsatzsteuer bezahlen müssen, wobei das Finanzministerium den Schiedsrichter spielt Ein vorgesehener Beirat hat nur beratende Funktion: trotz zahlreicher, bereits 1969 erstatteter Gutachten hat das Finanzministerium übrigens bis heute noch immer keine Entscheidung getroffen. Es scheint in diesem Falle die Problematik derartiger Entscheidungen selbst einzusehen.

In all den Debatten rund um ein neues Pressegesetz, seit Jahren geführt, wurde die Frage, ob die Pressefreiheit als Grundrecht verfassungsrechtlichen Schutz genießen soll oder eine besondere Regelung im Pressegesetz zweckmäßig wäre, viel zu wenig diskutiert, wobei man sich auch über die Frage der Drittwirkung bisher wenig Gedanken gemacht hat. Auch der Zusammenhang presserechtlicher Regelungen mit der Menschenrechtskonvention bedarf noch einiger Überlegungen, wobei entgegen mancher optimistischer Ansicht der Artikel X überaus viele konkrete Möglichkeiten zur Beschränkung der Pressefreiheit vorsieht und in Artikel VI und VIII Regelungen getroffen werden, die die Interessen der Massenmedien ebenso berühren, wie den einzelnen Staatsbürger. (Anspruch, vor einem unabhängigen Richter gehört zu werden; bis zum gesetzlichen Nachweis der Schuld Vermutung der Schuldlosigkeit, Anspruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens).

Sehr hochgespielt wurde in der letzten Zeit dos Problem der „Inneren Pressefreiheit“. Überspitzt und provokant ausgedrückt: Die Redakteure sind die Herren der Zeitung, der Verleger ihr Erfüllungsgehilfe, der das Geld herbeizuschaffen hat, und der Herausgeber auf Erfassung allgemeiner Richtlinien beschränkt, ohne Eingriffsmöglichkeit im einzelnen Fall. Im Grunde genommen hängt das Problem vom Standort der Zeitung in der Gesellschaft ab. In Wahrheit geht es, wie Dr. Johannes Binkowski einmal festgestellt hat, primär darum, wie der Leser an die gerade für ihn wichtigen Ereignisse und Nachrichten, die er kaum noch zu einem sinnvollen Ganzen verbinden kann, herangeführt wird, und wie er vor Fälschungen und Manipulationen zu beschützen ist. Deswegen sind die öffentlichen Diskussionen entbrannt. Erst in zweiter Linie steht die freie Meinungsäußerung zur Debatte. Hier aber ist zum Beispiel zu fragen, wie der Leser vor Redakteuren, die in Vorurteilen oder einseitigen Meinungen befangen sind, zu sichern ist. Ein Beispiel: die in einer Tageszeitung mit katholischen Belangen befaßten Redakteure huldigen einer extrem progressiven Ansicht. Ihre Nachrichtenauswahl erfolgt naturgemäß unter diesem Aspekt, und der Leser wird, ohne sich dessen bewußt zu werden, bzw. bewußt werden zu können, völlig einseitig unterrichtet. Damit aber ergibt sich überraschend eine Parallele zu dem gleichartigen Problem beim monopolitären Rundfunk und beim Fernsehen.

In all den Debatten um Pressefragen und Journalismus wird nur all zu leicht vergessen, daß die Zeitung nicht Selbstzweck ist. Man vergißt fast immer auf die eigentlich wichtigste Person, den Leser. Auch er müßte eine Stellung in einem modernen Recht der Massenkommunikationsmittel haben. Der Münchner Kommunikationsforsoher Heinz Starkulla hat auf diese „publizistische Ideologie“, die den Leser vergißt, hingewiesen: „Sie hat zwei Varianten, einmal Einseitigkeit, zum anderen Unverständlichkeit. Einseitigkeit meint: es wird nur vermittelt, was dem Publizisten in seinen Kram paßt, was seine eigene Meinung illustriert. Aber auch Unverständlichkeit ist eine Folge publizistischen Hochmuts. Statt auf den Leser einzugehen, gibt man sich lieber .seriös' und absolviert vor aller Öffentlichkeit, eben in der Zeitung, sein eigenes Hobby-Programm“. Sicher, das sind nun einmal Eigenheiten des modernen Journalismus. Aber wäre es angesichts dieser Gegebenheiten vielleicht nicht angebracht, daß die Zeitungen von Zeit zu Zeit ihr Redaktionsprogramm öffentlich kundtun, die Redakteure ihre Einstellung offen bekennen. Das schöne Wörtchen „unabhängig“ ist ja doch vielfach nur das Aushängeschild für die „Hobby-Reiterei“, besonders gepflegt im Kulturteil. Schon diese kurzen Hinweise dürften deutlich gemacht haben, daß das alte Pressegesetz 1922 und der Entwurf 1961 endgültig tot sind. Haben wir den Mut, etwas gänzlich Neues zu schaffen, das die Zukunft vorwegnimmt und allen Massenkommunikationsmitteln die ihnen gebührende Rolle in der Gesellschaft von heute und morgen zuweist. Dazu aber bedarf es noch vieler Kleinarbeit und mancher Klarstellungen, die von allen Beteiligten gemeinsam erarbeitet werden sollten.

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