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Preuens Gloria?

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Der 18. Jänner 1956 war in Ostberlin ein trüber Wintertag wie jeder andere auch. Dennoch lag etwas in der Luft. Am Vormittag schon hörte man die simple und doch gewaltige Rhythmik des Yorkschen Marsches in den grauen Himmel steigen. Vor der „Volkskammer“ fuhren die Limousinen der Abgeordneten auf. Bald wußte es die Welt. Ministerpräsident Grotewohl hatte das Gesetz über die Schaffung der „Nationalen Volksarmee“ Ostdeutschlands vorgelegt. Den Anlaß zu dieser „spontanen Resolution“ gaben, erprobt in vielen Fällen, die Flut bestellter Briefe und Telegramme aus den Reihen der volkseigenen Betriebe und der Aktivisten. Gegen 15 Uhr sprach dann Willi Stoph, der neue Verteidigungsminister. Mit dröhnender Stimme, von rauschendem Beifall unterbrochen, verkündete der ehemalige Maurergehilfe, den er auch in der goldbestickten, russisch zugeschnittenen Generalsuniform schwer verleugnen kann, daß dieser Schritt nötig war, „um die Errungenschaften der DDR, der Bastion des Friedens, des Fortschritts und der Demokratie in Deutschland zu schützen. Die neue Armee ist, im Gegensatz zur .Söldnertruppe Westdeutschlands', eine nationale Armee, die auf die großen Patrioten Gneisenau, Scharnhorst, Liebknecht, Rosa Luxemburg und Thälmann blicken werde“. Tage darauf wurden die ersten Uniformen vorgeführt. Die ehemaligen Soldaten wischten sich die Augen. Nein, es war kein Traum. Es war ein „Ehrenkleid“, das allen sowjetischen Vorbildern absagt und in Schnitt, Mützenform, Koppel, Spiegel, Passepoils, Abzeichen und Knobelbecherglanz haarscharf zu dem zurückkehrt, was Hitler dem deutschen Manne als eine zweite Art Epidermis zugedacht hatte. Lakonisch stellte das SED-Zentralorgan „Neues Deutschland“ dazu fest, nun sei dem Mißbrauch der deutschen Uniform ein für allemal ein Ende gesetzt.

So war aus dem deutschen Trauerspiel ein Dauerspiel geworden: zwei deutsche Armeen, in zwei deutschen Staaten, die sich waffenstarrend gegenüberstehen.

Die Ausrufung der „Volksarmee“ war das Ende einer steten Entwicklung, einer steten Revision gegenüber dem „Militärischen“, dem „Preußischen“, der zweifelsohne eine analoge Entwicklung im Westen entspricht.

1945 stürzte das Glockenspiel der Potsdamer Garnisonskirche klirrend zu Boden. Preußens Königsresidenz, für alle Welt die allgemein gültige Verkörperung preußischen Geistes, war von der Roten Armee erobert worden. Mit den neuen Herren zog auch ein neuer Geist ein. Die Konferenz, die dort stattfand, demonstrierte es. Alles Preußische sollte getilgt werden. Als dann zwei Jahre später die Oberbefehlshaber der vier Besatzungsmächte in Deutschland ihre Unterschrift unter ein Dokument setzten, das die Auflösung -les preußischen Staates formell-juristisch verfügte und zum Gesetz machte, ging durch die damaligen Allierten eine fühlbare Erleichterung. Indem man mit gewichtiger Miene das Geschichtsbuch zuklappte, hofften die in ungetrübter Freundschaft verhandelnden „Großen Vier“ auch endgültig jenes Schreckgespenst gebannt zu haben, das die Welt als „preußischen Geist“ kennt. Das Land selbst, aus vielen Wunden blutend, reagierte kaum. Knappe amtliche Verlautbarungen und ein gedrechselter Pflichtkommentar — das war alles. Einige Blätter versuchten zwar scheu anzudeuten, daß der eben aufgelöste Staat nicht nur aus Militärs und autoritätsgläubigen Untertanen bestanden hebe und auch kein isoliertes Staatsgebilde gewesen sei. Es gab Zeiten, da Preußen mit England gegen Frankreich marschierte, dieses wiederum mit Preußen gegen Oesterreich und schließlich alle zusammen mit den Russen gegen die Franzosen.

Dieser so einhellig und so unerhört forsch, so eigentlich „preußisch“ vollzogene Schritt hatte nur einen Fehler. Er war umsonst gewesen. Denn der schon totgeglaubte „Preußengeis*“ war nämlich nur scheintot.

Indes ging aber die Sowjetzone noch im Kampfe gegen preußische Tradition voran. Die Denkmale der alten Generale und der Sieger von Sedan und Mars-la-Tour wurden verschrottet, die Straßennamen in Helden der Roten Armee und der sozialistischen Arbeit umbenannt, die alte Bittschriftenlinde Potsdams von Aktivisten in einer Feierstunde unter lautem Absingen einfallsloser Aufbaulieder umgesägt. Ein äußeres Zeichen vielleicht dafür, daß es nun von der Bevölkerung keinen Weg mehr zur Obrigkeit gibt. In den Villen Potsdams lebten jetzt die Offiziere der Roten Armee und der kasernierten Volkspolizei, die in russisch zugeschnittenen Uniformen ganz wie die Eroberer aussahen. Im Buche Alexander Abuschs „Irrweg einer Nation“, das den damaligen statistischen, und damit „allerhöchsten“ Kommentar zur preußischen Geschichte enthielt, las man aber zur Bekräftigung, „daß der Preußengeist in der Tat eine entscheidende — wenn auch nicht die einzige — reaktionäre Quelle des Nazigeistes war.“

Der Geist von Potsdam war zählebiger und ansteckender, als man dachte. Er erhielt sich in vielen, oft rührenden Kleinigkeiten. Frisches Grün lag an den leeren Grüften der Preußenkönige, deren Särge im Westen eine Heimstatt gefunden hatten. Noch sah man alte Damen, Offiziers- und Adelswitwen beim Einkaufen, trotz materieller Not ungebrochen in Haltung und Auftreten. Lange haben die Antiquitätenhändler versucht, daß der verkaufte Schmuck und das Kristall nicht in die Hände der Russen gelange. Selbst Arbeiter kauften es: „Was nach Potsdam gehört, soll in Potsdam bleiben.“ Die Töchter der alten Familien, deren Namen ein Stück Geschichte sind, saßen als gesuchte Arbeitskräfte in den Büros der SED. Man schätzte ihre Diskretion, ihre Sprachkenntnisse, sah aber mit Neid auf ihre tadellosen Umgangsformen.

Der schlechtere Teil der Tradition, der militärische, erhielt sich auch im neuen Gewand. Wieder wurde exerziert, kommandiert, registriert. Die kasernierte Volkspolizei übte auf den alten Exerzierplätzen, auf denen viele Generationen vorher geschwitzt und geflucht hatten.

Im Frühsommer 1952, als im Westen der Wille zur Freiheit konkrete Formen annahm, entdeckte Walter Ulbricht, der Lenin der Sowjetzone, urplötzlich Männer wie Lützow, Körner, Blücher und Schill. Solche Männer, erklärte er, verdienten eine größere Würdigung, als sie von der monarchischen oder weimarischen Geschichtsschreibung erhielten. Und Fritz Lange, Vorsitzender der Staatlichen Kontrollkommission, fragte in einem mit Gneisenaus Bild geschmückten Artikel im „Neuen Deutschland“: „Was wissen wir von den besten Männern Preußens? ... Wir kennen nicht einmal Leben, Taten und Vermächtnis dieser Großen unserer Nation“.

Damit setzte über Nacht eine einzigartige Ehrenrettung Preußens ein. Gegenüber dieser Heroen-Renaissance waren selbst die patentierten Ruhmesredner des Dritten Reiches Waisenknaben. Auch die an ideologische Verrenkungen einigermaßen gewohnten Kommunisten verwirrte das Kommando „Das Ganze kehrt!“ etwas. Um Ratlose an solche Rösselsprünge zu gewöhnen, erklärte das „Neue Deutschland“ in einem seiner entwaffnenden Offenheitsanfällen lakonisch, „daß eben die Geschichtsdarstellung den Erfordernissen der Zeit entsprechend, diese oder jene Fragen in ihren Betrachtungen in den Vordergrund stellen soll“.

Allenthalben hörte man nun die alten Märsche wieder: den Hohenfriedberger, den Fridericus Rex, die Yorkschen Jäger. Der sowjetische Spielmannszug in Potsdam hatte sich schon vorher „Preußens Gloria“ zum Lieblingsmarsch erwählt und blies ihn mit russischer Zähigkeit von morgens bis abends. Allenthalben sangen junge Pioniere, die Kampf- und Betriebsgruppen die alten Kriegslieder Körners. Besucher meinten, das Jahr 1813 sei angebrochen. Natürlich durfte auch die Post nicht abseits stehen. Auf den Briefmarken, bisher die unbestrittene Domäne der doppelten und dreifachen Helden der sozialistischen Arbeit, prangten jetzt die martialischen Gesichter Scharnhorsts und Gneisenaus. Jeder Knirps der Zone rasselte auf Verlangen die Konvention von Tauroggen herunter, das man zweifellos glaubte, er sei damals in der alten Mühle von Posberun. 1812, dabeigewesen. Die Schlachten der Befreiungskriege wurden zum beliebten Sandkastenspiel bei der Volkspolizei. Daß die Schulen zum spontanen Künder des Patriotismus wurden, bedurfte keiner Erörterung. Höhepunkt dieser Kampagne war die Woche vor dem 18. Jänner mit einer Verherrlichung Gneisenaus „als den großen deutschen Patrioten gegen Fürstentyra-nei und brutale Fremdherrschaft“.

In Westdeutschland, wo man um die Gestaltung der neuen Armee jahrelang ehrlich gerungen hat, hat diese „spontane“ Lösung Pankows doch einige Verwirrung hervorgerufen. Pankows Pfeile aus Moskaus Köcher trafen die Achillesferse der Bundesrepublik: die leidige Traditionsfrage. Tatsächlich verkündete die numerisch unbedeutende Deutsche Reichspartei lautstark, daß der amerikanische Stahlhelm „zu einer dauernden psychologischen Belastung“ werden könne. Und Männer wie der FDP-Abgeordnete Mende und Ex-General Hasso von Manteuffel meinten ernsthaft, man müsse sich wieder des Eisernen Kreuzes in der Bundesfahne bedienen. Eine Flut von Leserzuschriften mit der Forderung nach alten Symbolen ging an die Redaktionen. Als da ein Oberleutnant erstmals die Bonner Uniform anzog, wurde er tatsächlich für einen „persischen“ Offizier gehalten, und aus dem Osten erscholl es zynisch: „Die persische Uniform passe auch ausgezeichnet zu der Befehlsabhängigkeit vom Pentagon. Daß selbst ein so scheinbar abseits liegendes Gebiet wie der soldatische Gesang die beiden Deutschland trennt, ist leider schon vorauszusetzen. Während die herausgegebenen Liederbücher für die ..Bundeswehr“ stellenweise eher an den Liederschatz einer höheren Töchterschule erinnern, singt man jenseits der Elbe wieder die alten Soldatenlieder und freilich auch die plumpen Ergüsse mancher Dichteraktivisten, wie etwa jenen, dessen Kehrreim lautet: Vom Frieden träumen bringt nichts ein / Wer schützt die junge Saat? / Die Taube muß gepanzert sein / Darum bin ich Soldat.

Hinter all diesem patriotischem Mimikry und grober Geschichtsklitterung Pankows liegt doch das klare Ziel, eine Generation junger Deutscher zum „fanatischen Haß“ gegen den Westen zu erziehen. Und immer mehr verliert man das andere Elbeufer aus den Augen ...

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