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Priester und Politik

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Priester als Abgeordnete im Nationalrat, ein Prälat als von der Parteien Gunst und Haß umgebener Regierungschef? Wie weit liegt dies heute schon zurück! Die Generation von heute kann sich dies bald ebensowenig vorstellen, wie daß die Kanzel mitunter als politisches Podium dienen mußte und das Pfarrhaus mit dem Parteisekretariat, mit dem Sekretariat einer bestimmten Partei, identisch war. Und doch trennen uns in Österreich davon nicht mehr als drei Jahrzehnte. Welche Jahrzehnte allerdings! Um es gleich zu sagen: Der Entschluß der österreichischen Bischöfe 1933, die Priester aus dem parteipolitischen Engagement heimzuholen in den Weinberg des Herrn, war ein guter und segensreicher. Wäre er ein Jahrzehnt früher gefallen, wer weiß, ob nicht der Umweg der Kirche zu vielen Seelen abgekürzt worden wäre. Doch man soll nicht mit der Vergangenheit rechten. Für heute genügt die Feststellung: Es führt kein Weg zurück.

Aderlaß für die Partei

Wenn hier ein bedingungsloses und freudiges Ja zu einer Entwicklung gesprochen wurde, so dürfen wir jedoch nicht die Augen blind verschließen vor verschiedenen Begleiterscheinungen dieses historischen Prozesses. Sie machten vor allem der Partei, aus der sich die Priester lösten, zu schaffen. Und sie machen es, genaugenommen, noch heute. Die Partei erlitt mit einem Schlag nicht nur einen Aderlaß an akademisch gebildeten und geistig wohlgeschulten Politikern in der ersten Feuerlinie, sie verlor gleichzeitig So manchen Hüter und Wahrer ihres geistigen Fundaments. Der Weg wurde frei für die „Entideolo- gisierung” und für so manchen politischen Routinier unserer Gegenwart. Dies zu übersehen wäre genauso unstatthaft, wie Überlegungen darüber anzustellen, auf welche Weise das Rad der Geschichte zurückgedreht werden könnte. Da ist es schon viel besser, sich mit beiden Füßen auf den Boden der neuen Tatsachen zu stellen und aus ihnen das Beste herauszuholen. Für die Kirche, für den Staat, für die Gesellschaft. Niemand anderer als Kardinal König ist gerade vor einiger Zeit mit vielbemerkten Ausführungen über „Kirche und Demokratie” auf einer Studientagung (vgl. ,Die;’- Furche”, 16. Mai 1964) vor die Öffentlichkeit getreten.Erzbischof auf die Probleme, die sich aus dem Rückzug der Priester aus der Politik mit allen ihren Folgen ergeben haben, zu sprechen kam.

„Die österreichischen Bischöfe haben 1945 einen Beschluß aus dem Jahre 1933 erneuert, der den Priestern die Annahme eines politischen Amtes untersagt. Diese Entscheidung, so natürlich sie aus den Irrwegen der österreichischen Geschichte erwuchs, so selbstverständlich sie uns heute erscheint, muß aber auch in ihren Folgen bedacht werden. Wenn die Kirche ihre Priester aus der Politik zurückzieht, wenn sie sich selbst von jedem unmittelbaren Eingriff in die Politik distanziert, so heißt das auf keinen Fall, daß es ihr gleichgültig ist, welche Politik in diesem Lande gemacht wird. Im Gegenteil, ihr sorgendes, beobachtendes Interesse muß jetzt naturgemäß größer sein, da sie keinen unmittelbaren Einfluß auf die Gestaltung der Politik hat. Das heißt zum anderen ebenso selbstverständlich nicht, daß die Kirche allen politischen Richtungen in diesem Lande vollkommen gleich neutral gegenübersteht. Ihre Aufgabe ist es, mehr als früher den Akzent auf grundsätzliche Fragen zu legen. Sie hat hier die Möglichkeit, zu nuancieren und zu differenzieren, da sie der Notwendigkeit enthoben ist, Pauschalurteile abgeben zu müssen.”

Neue Aufgabe für den Priester

Ein anderes Mal hat der Kardinal von der „integrierenden Funktion” der Kirche in Österreich, in dem wir in unserer Gegenwart so manche Auflösungstendenzen und geistige Abbauerscheinungen bemerken müssen, gesprochen. Hier zeigt sich jedem Priester eine neue Aufgabe — auch im öffentlichen Leben. Die Worte, die Kardinal König gelegentlich zur Zeit spricht, finden jedesmal links und rechts der politischen Demarkationslinie unserer Innenpolitik starke Aufmerksamkeit. Seine Silvesteransprachen über das Fernsehen, in denen der Wiener Oberrade weil der Kardinal em einseitiges parteipolitisches Engagement vermeidet, finden seine Worte auch dort offene Ohren (und vielleicht auch Herzen?), wo diese gegen Bischofs worte noch vor Jahrzehnten fest verschlossen waren.

Könnte nicht ein jeder Priester in seiner Gemeinde heute ein kleiner Kardinal König sein, indem er in seinem Rahmen dieselbe „integrierende Funktion” der Kirche im öffentlichen Leben wahrnimmt und mit Zurückhaltung, die Entschlossenheit keineswegs ausschließt, auftritt und dort verbindet, wo sich manches auflösen will. Selig die Friedenstifter …

Ein letztes: „Österreich kommt immer zu spät. Um eine Armee, um ein Jahr, um eine Idee.” Napoleon hat es gesagt. Die Kirche hat ihn und alle, die das „Gesetz der Verspätung” für ein österreichisches Fatum halten, Lügen gestraft. Das Verhältnis von Kirche und Staat in Österreich, das — den Richtlinien des Katholikentages von 1952 entsprechend — heute eine „freie Kirche” in einer „freien Gesellschaft” anstrebt, wird bereits vielfach als Modell betrachtet. In West und Ost. Gerade im letzten Jahr sahen wir den deutschen Katholizismus, bei dem die Klammern von Kirche und Parteipolitik bis in unsere Gegenwart fester gefügt waren, Lockerungsübungen „modo Austriaco” machen. Und selbst in manchen Volksdemokratien — vor allem in Polen — zeigt man sowohl von seiten des Episkopats wie der staatlichen Machthaber gewisse Interessen für das österreichische Beispiel. Wir sind „eingesehen”. Eine große Aufgabe, eine große Verpflichtung, der wir uns vielleicht nicht immer und überall voll bewußt sind.

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