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Provokation der Vernunft

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Ohne Provokation ging es nicht, meinten die beiden Sfcudenten- vertreter, die dieser Tage — wie sich herausstellte, weitgehend im Alleingang — ihren Entwurf zur Neuordnung der Hochs diulorgani- sation der Öffentlichkeit vorlegten. Provokation sei wohl unerläßlich, um endlich aus eingefahrenen Gleisen herauszukommen und die Reformen ins Laufen zu bringen, deren Notwendigkeit von niemand bestritten werde, sagten sie weiter. Aber die Provokation dürfe nicht gegen die Gesellschaft gerichtet sein (und der Protest nicht gegen Phantome, die mangels eigener Vorstellungen zum Popanz aufgeblasen werden können).

So hatten die gutwilligen Beobach ter den Eindruck einer Provokation zur Vernunft, zum erreichbaren Ziel, auch wenn — natürlich — manche der vorgebrachten Forderungen zu weit zu gehen, andere utopisch scheinen. Zwar waren die gutgewillten Beobachter — die Journalisten, die den studentischen Vorstößen sichtlich Interesse und Sympathie entgegenbrachten — in der Minderzahl gegenüber den studentischen Mit-(oder Gegen-)streitem, die sich gegen den Alleingang auflehnten. So wurde die Pressekonferenz zur erbitterten Auseinandersetzung zwischen Alt- und Neufunktionären, Fraktionen und Gruppen — trotzdem sei der positive Aspekt dieses Vorstoßes besonders hervorgehoben.

Konstruktive Vorschläge

Sie wollten den Vorwurf nicht auf siidi sitzen lassen, daß von den Studenten noch keine konstruktiven Vorschläge zur gewünschten Reform vorgelegt worden seien. Er stimmt übrigens auch gar nicht. Die von Mitgliedern des CV verfaßte und 1964 vorgelegte Broschüre zur Reform lag vollgewertet mit allen anderen Vorschlägen den Beratungen zum Hochschulstudiengesetz zugrunde. Stephan Schulmeister, nun Autor des jüngsten Entwurfs, verfaßte schon im Vorjahr einen Vorschlag zur Neuordnung des Jus- studiums. Aber auch die Klage, man beachte die Initiativen der Studenten zuwenig, geht an der Wirklichkeit voibei — ihr Protest hat wesentlich mitgewirkt, den Entwurf für ein Taxengesetz neuformulieren zu lassen.

Hochschulreform kann weder gegen die Professoren noch gegen die Studenten durchgeführt werden, bemerkte Hauptausschußchef Wilhelm Dantine. Deswegen gehen die Ideen einer „Kritischen Universität” am Ziel vorbei. Aber natürlich haben die Studenten größtes — und legales — Interesse daran, diaß auch ihre Stimmen gehört werden, wenn man darangeht, die seit 120 Jahren fast unveränderten Strukturen zu modernisieren.

Das hoffen sie dadurch zu erreichen, daß allen am Hochschulleben beteiligten Gruppen — Professoren, Dozenten, Assistenten und Studenten — Mitsprache und Mitbestimmung bei allen Entscheidungen eingeräumt werde. So steht die Frage der Repräsentation im Mittelpunkt der Vorschläge. In allen Gremien — dem Akademischen Senat, den Fakultätskollegien, den Kommissionen — sollen neben den Ordinarien auch Mittelbau und Hörer Sitz und Stimme haben.

Mitbestimmen ist mehr als Anhören Darüber, daß die Studenten bei der Behandlung aller sie unmittelbar oder mittelbar berührenden Probleme angehört werden müssen, gibt es heute kaum noch Meinungsverschiedenheiten. Nur — Mitbestimmung ist mehr als Angehörtwerden. Mitbestimmung bedeutet Mitverantwortung. Wie weit diese beim raschen Wechsel in den studentischen Funktionen und der langfristigen Auswirkungen akademischer Entscheidungen überhaupt übernommen werden und zum Tragen kommen kann, ist wohl sehr schwer zu beantworten.

Wie die Alten sungen …

Das gilt natürlich vor allem für die heißesten Eisen dieses Komplexes, die Mitsprache bed Berufungen und Habilitfcieruingen. Die Anwesenheit von Assistenten- und Studentenvertretern in den Kommissionen solle erreichen, daß auch jemand da sei, der sich für Exponenten abweichender, von den „konservativen Ordinarien” abgelehnter Lehrmeinungen einsetzė, daß Scheinverhandlungen, Gefälligkeitsberufungen unterbleiben, vor allem aber, daß auch die Frage der pädagogischen Fähigkeiten eines Kandidaten berücksichtigt würden.

Nun, daß alle diese Erscheinungen Vorkommen, wird von niemandem bestritten — nur sollten Ausnahmen nicht verallgemeinert werden, um neue Regeln einzuführen. Normalerweise sorgt ebenso die Zusammensetzung der Kommission wie die angespannte Lage auf dem „Profes- sorenmarkt” dafür, daß alle notwendigen Gesichtspunkte erwogen, alle werden. Ob miit oder ohne Ausschreibung wäre dann ebenso von zweitrangiger Bedeutung wie mit oder ohne Anwesenheilt von Studenten- oder Assistemtenvertre- tern. Und daß dem, der solche Praktiken praktizieren will, auch dann noch manche Möglichkeiten offenstünden, wäre wohl kaum zu bezweifeln. Anderseits dürfte doch wohl auch nicht außer acht gelassen werden, wie viele hochschulfremde Versuche zur Beeinflussung der Berufspraktiken gerade in den letzten Jahren beobachtet wurden — bis zur Blockade der Erneuerungen im Ministerrat. Wenn schon bei den Professoren Mangel an Objektivität bei der Erstellung der Vorschläge vorausgesetzt wird — müßte dann nicht auch ihnen der Zweifel an der Unbeeinflußbarkeit der Studentenvertreter zugestanden werden?

Der Entwurf hat viele diskutierbare Vorschläge, die meist auf ausländischen Beispielen aufbauen, von der längeren Funktionsperiode der Rektoren und Dekane über die — aus dem östlichen System übernommene — Möglichkeit, Prorektoren und Prodekane für besondere Aufgaben zu bestimmen, bis zur Bildung von Abteilungen aus verwandten Instituten und bis zur Erlassung von Hochschulverfas- sungen im autonomen Bereich. Manches davon kam schon in den vergangenen Beratungen zum „Paket” der Hochschiulgesetze zur Diskussion, ohne sich noch durchsetzen zu können. Anderes scheint neu zu sein.

Das Papier liegt da — es sollte nicht übersehen werden. Wie weit sich die Gremien, Ausschüsse und Kommissionen der Hochschülerschaft darauf einigen können, wird sich zeigen, ebenso was dann schließlich vom Urkonzept noch übrig bleibt. Das ist auch gar nicht das Entscheidende. Wichtig ist, daß hier der Wille dokumentiert wird, mit den Professoren zusammen die brennenden Fragen des höchsten Bildungswesens zu beantworten — zu ihnen Vertrauen zu haben, auch wenn mitunter dieses Vertrauen enttäuscht werden sollte.

Vertrauen sollte nun auch von den Professoren bewiesen werden, Vertrauen in die Mündigkeit der Studierenden, in ihren guten Willen — auch wenn mitunter der eine oder andere von ihnen diese Voraussetzungen in Frage zu stellen scheint. Denn Vertrauen ist die Voraussetzung für die Zusammenarbeit

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