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Prozeß mit Nebengeräuschen

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Zwei Ereignisse haben die Südtiroler Öffentlichkeit um den wohlverdienten Augustschlaf, in dem normalerweise die Touristen das Bild des Landes bestimmen, gebracht: Wieder flogen Masten in die Luft, wieder gab es Verletzte, wieder wurden Häuser durchsucht. Und im Schatten der explodierenden Bomben begann in Trient am 20. August der seit langem mit großer Spannung erwartete Prozeß gegen zehn Karabinieri, die beschuldigt werden, wehrlose Südtiroler, politische Häftlinge, mißhandelt, ja gefoltert zu haben.

Um in der zeitlichen Reihenfolge zu bleiben, sei zuerst der jüngsten Sprengstoffanschläge gedacht. Ungerechtigkeiten und Übergriffe von italienischer Seife sowie fehlende Kompetenzen, die zum Überleben unserer Volksgruppe notwendig sind, verhindert man beziehungsweise erwirbt man durch Verhandlungen, durch geschickt geführte Gespräche und, dies sei besonders betont, durch Geduld und Zähigkeit.

Im Ausland diskreditiert

Darum kümmern sich die sogenannten „Südtiroler Freiheitskämpfer” je- dodh sehr wenig: solche Argumente gelten nichts. Sie lieben die Unruhe, den Lärm, das Pressegezeter. Sie scheinen sich im Glanze der neuerworbenen Publicity ausgiebig sonnen zu wollen. Früher hätte man dem einen oder anderen noch zubilligen können, daß diverse Hintermänner ihren Idealismus zu falschen Zwecken vielleicht mißbraucht, ja mit ihrer echten Sorge um das Schicksal des Landes Schindluder getrieben hätten; heute kann man das beim besten Willen nicht mehr tun. Denn ein gutes Dutzend Sprengstoffanschläge, ein paar umstürzende Elektromasten, die Sprengung einer Karabinieri-Kaserne (in Sand in Täufers), die halbstündige Beschießung der Zollkaserne in Luttach und ein paar andere „Heldentaten” haben genügt, die gute Sache Südtirols wieder einmal gründlich zu diskreditieren. Die Wahnideen einiger Leute haben zwr) (Folge: daß sieh die kritischen Stimmen im In- und Ausland mehren. Man spricht von Neonazismus, Panger- manismus, revanchistischen Ideen — und einen besseren Dienst könnte man jenen Leuten in Rom, Trient und Bozen, die sich immer wieder bemühen, die Erlangung einer echten Autonomie für Südtirol zu sabotieren, ja kaum erweisen.

Die verbrecherischen Anschläge haben auch eine erhebliche Verstärkung der Sicherheitstruppen zur Folge. Zur Zeit sollen zirka 10.000 Mann auf der Terroristensuche sein — sogar Fallschirmjäger hat man bei dieser Jagd eingesetzt. Daß diese Truppen nicht von heute auf morgen aus Südtirol abgezogen werden können, ist selbstverständlich. Ebenso klar ist es, daß bei den nächsten Gemeinde- und Landtagswahlen ein paar tausend Stimmen mehr für die italienischen Parteien abgegeben werden (in Südtirol darf das Militär in der Gemeinde, in der es stationiert ist, wählen).

Dabei haben die Südtiroler noch niemals so viel Aussicht auf eine erhebliche Verbesserung ihrer Lage gehabt wie in diesen Tagen. Die 19er-Kommission hat endlich ihre allzulange ausgedehnten Arbeiten beendet. Im September soll der Schlußbericht genehmigt und der Regierung vorgelegt werden. Ist die Regierung mit den Beschlüssen der Kommission einverstanden, so würde dies bedeuten, daß zirka 50 bis 60 Prozent der Südtiroler

Wünsche berücksichtigt worden sind.

Was die Aktionen dieser Hitzköpfe und ihrer Dunkelmänner zu bestreben scheinen, ist klar: Störung der bevorstehenden zweiseitigen Verhandlungen (sie finden bekanntlich anfangs September in Salzburg statt) und weiters die Torpedierung der Ergebnisse der 19er-Kommission.

Wandlungen…

Eines wenigstens ist nicht eingetroffen, was gleichfalls nach den Anschlägen zu befürchten war: Die Touristen haben sich durch die Anschläge nicht verwirren lassen und sind — so zahlreich wie noch nie — nach Südtirol gekommen. Alle Panikmache und Übertreibungen der in- und ausländischen Presse, die an die Südtirol-Psychose von 1961 erinnerten, waren aus der Luft gegriffen. Auch die Politiker beider Seiten haben maßvoll reagiert und sich nicht gegenseitig den „Schwarzen Peter” zuzuschieben versucht. In Rom betonte man, daß die italienisch-österreichischen Beziehungen noch nie so herzlich gewesen seien, und vermied alle Verdächtigungen. In Wien verurteilte man eindeutig die Anschläge.

Dies zeigt, daß sich in den vergangenen beiden Jahren doch einiges verändert hat. Ein vielleicht noch besserer Beweis als das bereits Gesagte ist dafür die Berichterstattung der italienischen Presse zu den jüngsten Ereignissen: sie war im Vergleich zu 1961 viel maßvoller und übte Selbstkritik, wohl erkennend, daß jede Ursache auch eine Wirkung hat.

Selbst der „Corriere della Sera”, der den Südtirolern bestimmt nicht viel Sympathie entgegenbringt, schrieb in einem Leitartikel: „Wir waren stets der Meinung, daß die Südtiroler Frage kein bloßes Polizeiproblem ist. Auch wenn wir sämtliche Terroristen dingfest machen, die Grenzen hermetisch abschließen, sie direkt oder indirekt bestraft haben, wenn wir Kilometer von Handfesseln angelegt und Jahrhunderte von Freiheitsstrafen verhängt haben, wird das politische Problem Südtirol neuerlich vor uns stehen, einfach, weil es politische Lösungen erfordert…” Richtige Worte am richtigen Platz!

Um so schmerzlicher empfand man es, daß eine der angesehensten Tageszeitungen Italiens, nämlich der katholische „II Quotidiano”, einen Artikel brachte, der, wie die „Dolomiten” schrieben, von der ersten bis zur letzten Zeile von einer Gehässigkeit und Voreingenommenheit diktiert war, daß er jedem nationalsozialistischen Hetzblatt zur Ehre gereichen würde ..,

Es geschah im Sommer 1961

‘S-Dar- ant 1 20. August begonnene5 Prazeß-gegen zehn der Mißhandlung von Südtiroler Häftlingen beschuldigten Karabinieri vor dem Oberlandesgericht in Trient gab ein Bild von den erschütternden Polizeimethoden, die im Sommer 1961 anläßlich der Terroristentreibjagden angewendet wurden. Durch den Prozeß wurden Tatbestände aufgerollt, die bis vor eineinhalb Jahren in der italienischen Presse angezwei- felt, ja von den zuständigen italienischen Behörden geleugnet wurden. So sagte der damalige Innenminister S c e 1 b a in einem amtlichen Kommunique vom 4. August 1961: „Die Verbreitung von Nachrichten über angebliche Mißhandlungen ist von denselben Zentren aus organisiert, die auch die verbrecherischen Anschläge vorbereitet haben.” Und der italienische Regierungs-Vizekommissär in Bozen, Doktor P u g 1 i s i, sagte am 22. August desselben Jahres auf einer Pressekonferenz: „Hier ist von Mißhandlungen italienischer Staatsbürger deutscher Zunge nichts bekannt. Es ist bisher keine einzige Anzeige erstattet worden…” Dabei hatte ihm der Obmann der SVP, Landeshauptmann Doktor Silvius M a g n a g o, zwei Tage vorher schriftlich mitgeteilt, daß er stichhältige Nachrichten über Mißhandlungen durch Polizeiorgane habe, ja die Spuren in einem Fall sogar selbst überprüfen konnte...

Bekanntlich erstatteten 44 Südtiroler Häftlinge — ein Teil von ihnen mußte inzwischen als unschuldig entlassen werden (die meisten allerdings erst nach 18 Monaten Untersuchungshaft!) — beim Staatsanwalt Anzeige wegen erlittener Mißhandlungen. Aber erst nach den beiden Todesfällen von Südtiroler Inhaftierten im Bozener Gefängnis (es handelt sich um die Fälle Franz H ö f- 1 e r und Anton G o s t n e r) wurde die Sache von den zuständigen Behörden aufgegriffen und eine Untersuchung eingeleitet. Der Wunsch der SVP, die eine parlamentarische Untersuchungskommission beantragt hatte, fand in Rom kein Gehör.

„Nur geprügelt, nicht verletzt..

Bei einer annähernd objektiven Berichterstattung über den Prozeß wird man kaum umhin können, die aufrechte und mutige Haltung des italienischen Bezirksrichters von Neumarkt, Dr. C i c c i a r e ll i, zu würdigen.

Dieser stellte bei den ihm eingelieferten Häftlingen Zeichen von schweren Mißhandlungen fest und ließ sie aus eigener Initiative von bekannten Gerichtsärzten, deren Autorität nicht an- gezweifelt werden kann, untersuchen. Diese Untersuchungen, auf denen der jetzige Prozeß in Trient ausschließlich aufbaut, bestätigten, daß Mißhandlungen verübt worden waren. Gleichzeitig erstattete der junge Prätor auch Anzeige an die Staatsanwaltschaft.

Ursprünglich waren 21 Karabinieri angezeigt worden. Wenn jetzt nur zehn von ihnen vor Gericht stehen, so hat dies darin seinen Grund, daß die Vergehen der übrigen bereits bei der Voruntersuchung unter die kürzlich erlassene Amnestie gefallen sind. Die Angeklagten, so hieß es in der gerichtlichen Begründung, hätten die von ihnen verhörten Südtiroler nur geprügelt, jedoch nicht „verletzt” .. .

Der Prozeß gegen rund ein Dutzend Polizeiorgane ist für die italienische Justiz als auch für die italienische Öffentlichkeit ein absolutes Novum. Er wird auch als solches empfunden: Die Zeitungen berichten täglich in großer Aufmachung über den Verlauf des Prozesses, der .paradoxerweise in dem noch unter Kaiser Franz Joseph erbauten Oberlandesgericht der alten Konzilsstadt Trient stattfindet. Aber auch die ausländische Presse ist stark vertreten, ein Beweis, daß man den Problemen Südtirols heute doch weit mehr Interesse entgegenbringt als noch vor einigen Jahren.

Die Angeklagten lachen und scherzen.

Die Karabinieri sind absolut nicht „auf die gleiche Stufe” mit den Südtirolern, die sich am 9. Dezember dieses Jahres in Mailand verantworten müssen, gestellt: Während die Südtiroler Burschen mit schweren Eisenketten gefesselt in den Saal geführt wurden, genießen die angeklagten Polizeiorgane alle Freiheiten. Der Präsident des Gerichtshofes, der Flaimstaler Giacom- meili, der sonst mit seinen zwei sehr tüchtigen jungen Beisitzern augenscheinlich (bemüht isi,wden Prozeß absolut korrekt durchzuführen, hat das Photographieren der Angeklagten im Gerichtssaal untersagt…Die Karabinieri, unter denen sich die beiden im Jänner 1962 wegen ihrer Erfolge bei der Terroristenbekämpfung hoch ausgezeichneten Offiziere Vilardo und Rotellini befinden, erwarten augenscheinlich, daß sie amnestiert werden. Sie lachen und scherzen — wenngleich das Lachen oft nicht recht echt wirkt — und lassen sich recht gern photographieren . ..

Der Anklage haben sich die Südtiroler Häftlinge als Privatbeteiligte, vertreten durch sechs Anwälte, angeschlossen. Unter den Anwälten befindet sich der bekannte Rechtsanwalt Dr. Gallo aus Vicenza, der zu den besten Anwälten Italiens zählt. Ein weiterer Vertreter der Siidtiroler Zivilpartei ist der SVP-Senator Dr. Luis Sand, der unter anderem die Revision des Weißsteiner-Prozesses durchgeführt hat. Auch Dr. Karl Gartner, ein agiler Rechtsanwalt aus dem Vintschgau, und der KP-Regionalrat Dr. Sandro Canestrini sind Vertreter der Privatbeteiligten. Die Verteidigung V i 1 a r d o s, der in Südtirol zu einer traurigen Berühmtheit gelangt ist, hat der neofaschistische Landtagsabgeordnete Dr. M i t o 1 o übernommen. Daneben fungieren noch einige andere Verteidiger, unter ihnen ein Staatsadvokat.

Die angeklagten Karabinieri haben bei der Einvernahme alle ihnen zur Last gelegten Vergehen geleugnet. Sie sind jedoch durch die ärztlichen Protokolle sowie durch die Aussagen von zirka zwei Dutzend Belastungszeugen, von denen einige über die entwürdigenden Mißhandlungen, die an ihnen bei den Verhören verübt wurden, selbst berichten konnten, schwerstens belastet. Mit ihrer Amnestie ist zu rechnen. Trotzdem würde der Prozeß deswegen an seinem moralischen Wert nichts verlieren. Denn für die Südtiroler Bevölkerung ist die Feststellung eines italienischen Gerichtes entscheidend, daß geprügelt, ja sogar gefoltert worden ist. Diesen Beweis ist man der Welt, vor allem aber der italienischen Öffentlichkeit schuldig. Denn nur durch die Aufdeckung und — wenn möglich — Sühne solcher Llngeheuer- lichkeiten wird man sie in Zukunft vermeiden können…

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