6684968-1962_12_06.jpg
Digital In Arbeit

Quadros vor den Toren

Werbung
Werbung
Werbung

10.000 Brasilianer drängten sich im Hafen von Santos, als der 44jäh-rige Expräsident Janio Quadros von seiner Weltreise (aus Südafrika, an Bord des holländischen Schiffes „Ruys“) zurückkehrte. Schon eine Woche vorher sah man an den Straßenmasten in Santos Fähnchen mit dem Bild des Expräsidenten und der Unterschrift: „Janio voltöu“ — „Janio ist zurückgekehrt“, während über die Straße gespannte Spruchbänder verkündeten: „Janio hatte recht...“. Das freilich bezweifelt ein großer Teil der sechs Millionen Brasilianer, die Janio nicht zum Präsidenten gewählt hatten, damit er sein Amt nach sieben Monaten aufgebe. Auch nach der Rückkehr blieb er vorläufig die Erklärung für seinen Rücktritt schuldig. Die einen meinen, er habe auf einem Rechenfehler beruht. Janio hat sich in seiner politischen Laufbahn oft „zurückgezogen“, um als „unentbehrlich“ mit verstärkter Macht zurückgeholt zu werden. Andere glauben, daß Janio die Nerven verloren hat. (Seine Feinde sprechen von seiner Hysterie oder nennen ihn sogar einen „Paranoiker“.) Bei seinem Rücktritt sprach Janio von den niemals identifizierten „dunklen Kräften der Reaktion“, während er jetzt bei der Landung sagte, Brasilien sei weiter das Opfer von „jeder Art von Händlern“.

Als Quadros vor sieben Monaten - am 25. August 1961 — zurücktrat, sah „man“ in ihm einen Deserteur, der sein Land im Stich lasse und in

eine überflüssige und gefährliche Krise stürze.

Der Unberechenbare

Nun hat es Quadros auch als Präsident nicht einmal seinen Freunden, vor allem auf der Rechten, leicht gemacht. Außenpolitisch führte er Brasilien zu einer Neutralität, die oft proöstlich wirkte. Er versprach, die Pekinger Regierung anzuerkennen, empfing sowjetische und rotchinesische Freundschaftsmissionen und stellte sich klar auf die Seite Fid~l Castros. Wirtschaftspolitisch „stabilisierte“ er nach den Richtlinien des Weltwährungsfonds — was die Reichen noch reicher und die Armen noch ärmer machte —, legte aber dann Gesetze zur Erhöhung der Einkommensteuer und zur Beschränkung des Gewinntransfers der Auslandsgesellschaften vor. Innerpolitisch setzte er Truppen zur Unterdrückung des revolutionären Studentenstreiks in Recife ein und suspendierte eine Rundfunkstation in Rio, weil sie angeblich falsche Meldungen über eine Senkung der Militärausgaben gebracht hatte. Kulturpolitisch wußte er Wichtiges und Unwichtiges als Puritaner nicht zu unterscheiden. Er verbot Bikinis an den Stränden, Badeanzüge bei den Schönheitswettbewerben und Hahnenkämpfe. Quadros tat oft das Gegenteil von dem, was man erwartete. In den Ministerien zitterte man vor seinen „bilhetinhos“, den „Zettelchen“, mit wichtigen oder unwichtigen Befehlen, von denen er in

siebenmonatiger Amtszeit 1534 „erließ“. Aber niemals wurde in den brasilianischen Ämtern soviel gearbeitet und sowenig „verdient“ wie in dieser Zeit — und niemals wurde — umgekehrt — sowenig geleistet wie in den sieben Monaten seit seinem Rücktritt. Ein Gouverneur (von Rio Grande de Norte, Alusio Alves) sagte kürzlich, das beruhe darauf, daß jetzt nicht der Präsident, sondern erst das Parlament entscheidet (oder, genauer gesagt: nichts entscheidet).

Was geschieht bis zum 7. April?

Als Janio Quadros zurücktrat, ließen die Generäle den Vizepräsidenten Joäo Goulart, den oft als Demagogen bezeichneten antikapitalistischen Großgrundbesitzer, Tsregen dessen Linksdralls nicht an die Macht. Der Bürgerkrieg wurde nur dadurch vermieden, daß Goulart sich auf repräsentative Rechte beschränkte und die eigentlich Regierungsführung einem vom Parlament kontrollierten Ministerrat übertragen wurde. In der Praxis arbeitet jetzt freilich der Bundespräsident Goulart reibungslos, auch materiell, mit dem Ministerpräsidenten Tancredo Neves zusammen. Die von Quadros hinterlassene Verfassungskrise ist in keiner Weise überwunden. Man kämpft erbittert um das Ausführungsgesetz zur Verfassung. Weiter geht es um die Bestimmung, nach der Politiker, die in den letzten sechs Monaten vor den Wahlen Minister sind, nicht bei ihnen kandidieren dürfen. Da am 7. Oktober Gouverneure und Deputierte gewählt werden, muß also die Regierung bis zum 7. April umgebildet werden. Während man auf der einen Seite von einer Volksabstimmung über die Ergänzung der Verfassung spricht, fordern Abgeordnete, die man in der „großen Presse“ als „gewissenlose Demagogen“ bezeichnet, die sofortige Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung.

Wer eine brasilianische Zeitung aufschlägt, findet kein Wort so häufig wie das Wo „Krise“: „Krise der Verfassung“, „Krise der Autorität“, „Krise der Parteien“ und „Krise der Wirtschaft“.

Bis Vor einigen Wochen fürchtete man, daß die Rückkehr Quadros zu einer Diktatur führen könne. Aber Generäle, Regierung und Präsident erklärten, ein Staatsstreich sei angesichts der legalistischen Haltung der Streitkräfte unmöglich, Quadros wolle und könne als „freier Bürger“ zurückkehren und als solcher seine politischen Rechte ausüben. Von der äußersten Rechten bis zur extremen Linken sind sich alle darüber einig, daß Quadros einen großen Teil seiner Popularität behalten oder wiedergewonnen hat.

Dr. Carlos Lacerda, Gouverneur des Staates Guanabara (Ex-Rio), ein führender Konservativer (der UDN), sagte: „Bei der Alternative zwischen Quadros und dem Chaos wähle ich Quadros.“

Die kommunistische Zeitung „Novos Rumos“ schrieb: „Unbestreitbar hat

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung