6608182-1954_33_02.jpg
Digital In Arbeit

QUERSCHNITTE

Werbung
Werbung
Werbung

Satzbegradigung und Sprachentflechtung

Die Sprachreformer, die bisher einig die Vereinfachung der geschriebenen deutschen Sprache forderten, haben sich nach Berichten aus meist gut informierter Quelle während einer turbulenten Sitzung in eine Reihe feindlicher Gruppen gespalten, die bald schon mit neuen Vorträgen selbständig an die Oeffent- lichkeit treten dürften.

Die radikalsten Forderungen erhebt der linke Flügel der FFS „fereinigung fon freunden der Sprachreform“. Er wünscht die völlige Abschaffung der Großbuchstaben, auch am Satzbeginn und in Eigennamen, und die konsequent phonetische Schreibung unter Berücksichtigung der mundartlichen Färbung und deren regionaler Unterschiede in den verschiedenen Gegenden. Füi"das Wort Wien wurden bisher elf Schreibmöglichkeiten festgelegt.

Eine Splittergruppe des linken Flügels, der KBS „kampfbund zur sazreform“, bereitet die Abschaffung des Beistriches vor, die als erste Tat an den Beginn einer großzügigen Vereinfachung der deutschen Grammatik gesetzt werden soll. In drei Etappen zu je fünf Jahren sollen dann auch alle grammatikalischen Gebilde mit Ausnahme des reinen einfachen Satzes und die Satzzeichen außer Punkt und Fragezeichen abgeschafft werden. Ein Vertreter des „Komitees zur Satzbegradigung und Sprachentflechtung“ wurde von Thomas Mann nicht empfangen, da der Dichter mit dem Auffrischen seiner Lateinkenntnisse zu beschäftigt ist.

Man munkelt aber von geheimen Verbindungen zwischen den Erben des deutschen Dichters Stefan George und den KDSS, den „Konservativen Dienern schöner Sprache", welche die Sprachreform ganz anders anpacken: Sie verwerfen jede Vereinfachung und verlangen kategorisch eine Bereicherung der deutschen Sprache durch die Einführung der Halbgroßschreibung. Diese Zwischenform wäre dem Zeitwort vorbehalten und wird, abgesehen von ästhetischen und philosophischen Argumenten, damit begründet, daß sie cs Ausländern erleichtert, die wesentlichen Teile eines Satzes zu überblicken. Die Einführung der Halbkleinschreibung, einer weiteren Buchstabenform für das Eigenschaftswort, wird durch Schergen der Schreibmaschinenindustrie mit allen Mitteln sabotiert. Ein Kompromißvorschlag, die Halbkleinschreibung durch obligate Rotschreibung zu ersetzen, stößt vorläufig noch auf erbitterten Widerstand bei den KDSS, die dadurch ihre Pläne zur Wiederbelebung des mehrfarbigen und verzierten Initials die allerdings noch nicht spruchreif sind gestört sehen. Entsprechende Konzessionen, wie etwa die Verwendung ästhetischerer Farbstoffe bei der Herstellung der roten Farbbandhälften, könnten auf Grund neuester Meldungen eventuell zu einer Einigung über diese Frage führen.

Wer will unter die Soldaten?

In der Deutschen Bundesrepublik rasselt die Werbetrommel. Freiwillige vor! Wer Sehnsucht nach dem feldgrauen Tuch hat, wandert nach München, besteigt die Straßenbahn und fährt hinaus an die Stadtgrenze bis dorthin, wo noch heute das Atelier von des Führers Lieblingsbildhauer — einstens von destruktiven Elementen respektlos auch „Reichs- marmorblockwart“ genannt — steht. Dort flüstert er einem harmlos aussehenden Torwart das Losungswort zu, tritt ein, erfährt wieder einmal, daß die flüchtig hingeworfene Uniform „paßt“ und erhält pro Tag seinen Sold von 10 D-Mark pünktlich ausbezahlt.

10 D-Mark, 60 Schilling für jeden Kanonier? Eine splendide Armee, diese neue deutsche Wehrmacht! Doch halt: So weit ist die Weltgeschichte noch nicht. Die Männer .aus der Münchner Vorstadt sind biedere Filmkomparsen, die fdas — wie heißt es so schön — „Menschenmaterial“ für die Verfilmung des die Deutsche Bundesrepublik im Zeitpunkt der Wehrdebatten skandalisierende Erfolgsbuch „0815“ darstellen.

Gerade mit diesen „unbekannten Soldaten“, mit denen dieser Anti-Kasernenhoffilm steht und fällt, hat die Gesellschaft ihre liebe Not. Wer kann heute noch exakte Gewehrgriffe klopfen, wer einen zügigen Parademarsch hinlegen, wer hüpft — auch für 10 DM im Tag — mit vorgehaltenem Karabiner drei Runden um den Kasernenhof?

„Schwere Zeiten“, klagt mit traurigem Gesicht der Manager.

Zwar könnte ihm geholfen werden durch eine Kompanie des Deutschen Bundesgrenzschutzes; allein in Bonn verhält man sich abweisend.

So bleibt nichts anderes übrig, als weiter die Werbetrommel zu rühren und nach „Reisläufern“ Ausschau zu halten.

Dabei hat die Sache noch einen anderen Haken: die Kanoniere von 0815 haben junge Rekruten zu sein. Alte Schlachtrösser, die — für 10 D-Mark — sich vielleicht noch der verklungenen Weisen, angefangen von „Stillgestanden“ bis zum „Marsch, marsch“ erinnern wollten, scheiden beinähe zur Gänze aus. Die Altersgrenze ist mit 30 Jahren festgesetzt.

Und den jungen Jahrgängen klingen auch in Deutschland die Worte „Links um“ und „Ganze Abteilung kehrt“ heute wie Fremdworte. Noch …

So wird gar nichts anderes übrigbleiben,

als in allen Blättern von Rang ein Inserat einzuschalten, zu dem wir folgenden Text vorzuschlagen uns erlauben:

Wetten, daß auf diesen Aufruf noch eine Kompagnie zustande kommt. Au? Oesterreich sind wir im Notfall gerne bereit — na, sagen wir — einen Halbzug via Braunau nach München in Marsch setzen.

Der Weg zurück

Als aus Nordrhein-Westfalen die Nachricht von Mr. H. W. Schumann aus Michigan durch die auswärtige Presse ging, daß sich besagter Herr, Ingenieur und Chef einer amerikanischen Firma für Elektrowerkzeuge, in Düsseldorf eine alte, ausgediente Gaslaterne aus Großvaters Zeiten von der Stadtverwaltung ausbat, um sie über den großen Teich mit erheblichen Kosten durch alle mißtrauischen Zöllnerblicke zu bringen, bezeichnete man dies als „hobby“, zu deutsch soviel als „Stek- kenpferd“. Um so eher, als Mr. Schumann erklärte: „In Amerika hat man eine Vorliebe für alte Dinge; wenn meine Nachbarn die Laterne sehen, wollen sie alle eine haben, denn das junge Amerika liebt alte Sachen.“ Wie hatte doch der alte Goethe über das junge Amerika gedichtet? „Amerika, du hast es besser als unser Kontinent, der alte, hast keine verfallenen Schlösser und keine Ba-salte…, dich stört nicht im Innern zu lebendiger Zeit unnützes Erinnern …“

Was sollen wir aber nun sagen, wenn wir einen weißhaarigen Gießereibesitzer aus Baltimore im Staate Maryland dieser Tage erblickten, als er im Greiner-Haus in Wien, Kahlenberger Straße 26, unter dem Torbogen zum Hofe sich bemühte, behutsam mit einem Taschenmesser ein Stück des Verputzes zu lösen? Wir müssen unseren Landsleuten vielleicht erläuternd erklären, daß in diesem

Hause mit seiner einfachen Barockfassade Beethoven im Jahre 1824 wohnte; ein Fenster der Behausung ging in den Hof, zwei in den Garten.

Kluge werden bemerken, daß es nicht mehr der alte Putz wäre. Aber darum ging es dem Mann, einem der Achthunderttausend aus einer Stadt, in der auch erheblich viele Oesterreicher, oder, genauer gesagt, Amerikaner österreichischer-- Abkunft wohnen, darum ging es ihm nicht. Er sprach von keinem „hobby“. Er sprach von eüim „re- turn“, von einer Rückkehr, Wiederkehr. Inmitten einer Zeit von Streit und Zerstörung — Angehöriger einer Macht, die — nun, wir wissen. Aus Baltimore, wo Thomas Wolfe, der Deutschenfreund, starb, und die pessimistischen Worte vom „es führt kein Weg zurück“ geschrieben. Es führt doch einer zurück — vorerst in eine alte Straße voller Musik. Vielleicht bahnen solche Männer breitere Straßen als mancher gewiegter Diplomat.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung