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Radikal bis zur Staatsstellung

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Die Situation von mehtt-als 700.000 japnischen Hochschulstudenten auf

zu bringen keine leichte Aufgabe. Genau Befrachtet, werden Lage und Probleme jedes einzelnen von diesen 700.000 verschieden sein, je nach Persönlichkeit, Geschlecht, Alter, Familie, Stand, sozialer Stellung, nach dem geographischen Gebiet, der Religion, Umgebung, Weltanschauung und Schule. Betrachtet man diese einzelnen Probleme jedoch von einem globalen Standpunkt aus, so zeigt sich im Zusammenhang mit dem gegenwärtigen sozialen System Japans doch auch viel Gemeinsames. Auf dieses soll hier näher eingegangen werden, da es für den europäischen Leser von Interesse sein wird.

Für Chruschtschow zu radikal

Als erstes sei auf die politisch vielbeachtete Stellung der Studenten gegenüber dem japanisch-amerikanischen Sicherheitsvertrag und ihre Opposition gegen die Regierung Kishis hingewiesen. Die Aufmerksamkeit der gesamten Weltöffentlichkeit richtete sich damals auf Tokio. Hier offenbarte sich die Auflehnung der japanischen Studentenschaft gegen das existierende soziale System. Als extreme Äußerungen dieser Einstellung mag man sich daran erinnern, daß im November 1959 Studenten ins Parlament einzudringen vermochten. Auch an die Demonstrationen gegen den geplanten Besuch Eisenhowers in diesem Jahr ist hier zu denken. Selbst die Sozialistische Partei und Leute, die die Kishi-Regierung und den Sicherheitsvertrag ablehnten, verurteilten damals diese Studentenaktionen sehr entschieden. Freilich dürfen wir diese Alleinaktionen und Raufereien, die vom kommunistisch geführten ,,Zengakurenu-Verband geleitet wurden, nicht gleichsam als Wesen der japanischen Studenten verallgemeinern.

Doch kann man nicht übersehen, daß dem Zengakuren in ganz Japan 250 lokale Studentenverbände unterstehen und mehr als 300.000 Studenten angehören. Neben dem Zengakuren gibt es keinen anderen großen Studentenverband, daher kann dieser immer wieder die Führung an sich reißen. Es ist wichtig, zu bemerken, daß das kommunistische Führungs-

gręmiųm des Zengakuren, ober die KómMtjftístfséfré Partei Japans heftig kyt HsierP; "urid die Roexistenztheone Chruschtschows aßlehnt.' ’Es gibt zwischen dem trotzkistischen Zengakuren mit seiner radikalen, destruktiven und revolutionistischen Einstellung und Rußland anscheinend keine Verbindungen. Wohl sind nicht alle Anhänger vom Zengakuren auch Anhänger seiner Grundeinstellung, sie werden jedoch ebenso wie ein Teil der anderen Studenten vorn gegenwärtigen sozialen System als kommunistisch verdächtigt. Prof. Nakaya, der frühere Direktor des Studentenkomitees der Tokioter Universität, stellte fest, der Charakter der heutigen Studenten sei die „Nichtanerkennung einer Autorität“. Damit dürften wir beim Grundproblem sein. Die heutige Studentengeneration sah mit dem Sturz des absoluten militaristischen Vorkriegsjapan auch die alten Autoritäten zerbrechen.

Das gegenwärtige Sozialsystem Japans ist ein kapitalistisches, aufgepfropft auf den älteren Feudalismus. Die konservative Liberaldemokratische Partei regiert mit diesem System im Rücken Japans. Die unzufriedenen Studenten kritisieren diese Regierung und, damit untrennbar verbunden, den außenpolitisch so bedeutungsvollen Sicherheitsvertrag. Die Demonstrationen gegen den Sicherheitspakt richten sich selbstverständlich auch gegen den Vertrag selbst, viel mehr jedoch gegen die undemokratische Methode, mit der die Regierung ihn abschloß. Die Intellektuellenschicht hat immer einen theoretischen Grund für ihre Ablehnung bereit. Sie erstrebt eine absolute Neutralität Japans und befürchtet, daß durch den Sicherheitsvertrag auch Japan in eine eventuelle Weltauseinandersetzung hineingezogen werden könnte. Sie ist anderseits aber nicht so antiamerikanisch eingestellt, daß sie eine Freundschaft mit Rußland und Rotchina anstrebte. Diese so charakterisierten radikalen Intellektuellen sind eine ziemlich breite Schicht. Sie verurteilen das kapitalistische System und erhoffen sich vom sozialistischen alles. Unter ihrem Einfluß stehen die Studenten, die keinerlei reale Erfahrung mit einem kommunistischen System und auch keine klare Weltanschauung haben.

Die Studenten sind bloß gegen die Abachi, Japan efheúť militärisch zu stärken, und empfinden daher Sympathie mit dem Sozialismus.

Der Erfolg ihrer Bewegung hat trotz allem keine Stärkung der Sozialistischen Partei bei den letzten Wahlen gebracht. Für den Ausländer erscheinen ihre Demonstrationen als antiamerikanische, antikonservative Revolution; ihr Resultat war jedoch nur ein Wechsel in der Person des Regierungschefs. Diese Tatsache beweist die Stärke des jetzigen sozialen Systems, die Schwäche der Sozialistischen Partei und das nur momentane Aufflackcrn der Studentenbewegung. Diese kennt auch keinen Lösungsweg, sondern erschöpft sich in negativer Ablehnung des Vorhandenen. Eine positive Weltanschauung haben nur die rein kommunistischen Studenten auf der einen, die christlichen auf der anderen Seite. Davon besitzen die kommunistischen viel größere Kraft infolge der größeren internationalen Unterstützung, deshalb können sie auch die Führung übernehmen. Wie schon gesagt, sind sie aber nicht kommunistisch im ortho-

dox-moskowitischen Sinne. Ihr Idealismus, mit dem sie sich zum Beispiel gegen die Unterdrückung Ungarns durch Rußland wandten, übt große Anziehungskraft aus. Denselben reinen Idealismus finden wir im allgemeinen bei jedem japanischen Studenten. Der Grund für das nur zeitweise politische Wirken der Studentenschaft ist das Problem des Berufes und des Lebensunterhaltes. Europäische Studenten, die

nach Absolvierung des Studiums ohne weiteres in einen Beruf eintreten können, machen sich keinen richtigen Begriff von der Bedeutung dieser Frage in Japan. In einem kleinen Land mit mehr als 90 Millionen Einwohnern sind zirka IO Millionen arbeitslos oder auf ähnlich niedrigem Lebensstandard, und von den Beschäftigten sind 60 Prozent unterbezahlt. Will ein Japaner eine gute Stellung finden, so muß er in den Staatsdienst eintreten oder einen höheren Rang in der Privatwirtschaft anstreben. Dafür ist aber unbedingt ein abgeschlossenes Hochschulstudium notwendig, und darum gibt es in Japan so viele Universitäten und Studenten. Darüber hinaus gibt es große Rivalitäten zwischen den Universitäten, und der Weg zum Erfolg führt nur über einzelne von ihnen, die hohes Prestige haben. Trotz der Kritik am jetzigen System konzentriert sich der japanische Student darauf, einmal eine gute Position in eben diesem System einnchmeri .zu können.

Die eigene Meinung.

Die radikale Bewegung ist daher auf die Zeit des Studiums beschränkt, und dieser Widerspruch bereitet dem einzelnen große Schwierigkeiten. Der japanische Student lebt in einer großen Spannung, und die Gesellschaft und die Universität tun nichts, um diese Spannung zu vermindern. Wenn dieses Bewußtsein um die innere Krisis anwächst, so kommt es zu Reaktionen wie eben bei den Demonstrationen gegen den Sicherheitsvertrag. Es wurden schon vorhin einige Gründe für den Anschluß vieler Studenten an den Zengakuren angeführt. Vielen fehlt außerdem noch das eigene Denken, sie folgen viel lieber fremden Überzeugungen. Dafür macht Prof. Nishi-nuna von der Tokioter Universität das nach dem Kriege an Volks- und Mittelschulen approbierte Prüfungssystem nach Quizart verantwortlich, durch das ein eigenes Denken nicht gefördert wurde.

Der japanische Student besitzt also meist keine klare eigene Weltanschauung. Wenn dennoch die Lebenseinstellung japanischer Studenten — jetzt abgesehen von Kommunisten und Christen — charakterisiert werden soll, so ist diese wohl am besten mit Skeptizismus und beruflichem Emporstreben, mit opportunistischen Tendenzen zu kennzeichnen. Die christliche Weltanschauung könnte hier sehr Wertvolles leisten. Es scheint, als wären hier nur Nachteile, nur schlechte Seiten der japanischen Studenten aufgezeigt worden. Freilich gibt es auch solche junge Intellektuelle, die trotz der Schwierigkeiten ernsthaft eine Lösung der sozialen Probleme zu finden trachten, leider sind es nicht viele. Es wäre nur zu hoffen, daß die verantwortlichen Stellen in Japan eine konkrete Lösung der sozialen Frage durchsetzen, damit den Studenten endlich ein ruhiges Studium ermöglicht wird. Nur dann können die jungen Kräfte, in deren Händen die Entwicklung des zukünftigen Japans liegt, in ihre verantwortungsvolle Aufgabe hineinwachsen. Gelingt dies nicht, werden sich die sozialen Spannungen immer extremer steigern und Japan der Freiheit und des Friedens berauben.

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