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Ran Bemerkungen ZUR WOCHE

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DAS GUTE NACHBARVERHÄLTNIS ZU DEUTSCHLAND — gerade deshalb, weil der Oesterreicher darauf den gebührenden Wert legt, ist er hellhörig für alles, das dem rechten Maß widerspricht. Politische Abwägungen über das Verbrechen von Sarajewo, die Zündung, die den ersten Weltkrieg entfachte, haben die Presse in Deutschland in den letzten Wochen reichlich beschäftigt. Oesterreich und Deutschland saßen damals in demselben Boot. Seltsam jedoch, an wieviel Stellen dabei eine animose Behandlung der damaligen Rolle Oesterreichs durchsetzt war von des Gedankens Blässe um die Vorgeschichte und den Ablauf der für die Mittelmächte schicksalbestimmenden Geschehnisse und wie gedankenlos die Stichworte aufgetischt wurden, die gegen die verbündeten Zentralmächte geprägt worden waren, um Deutschland und Oesterreich mit der Kriegsschuldanklage zu ächten, Erkennbar hat leider heute so mancher aus der Gilde der öffentlichen Meinung nicht begriffen, daß Geschichte damals .gemacht' wurde, um in Versailles und St. Germain die Brunnen zu vergiften. — Ist es wirklich erlaubt, an dem Nachbarverhältnis Deutschland- Oesterreich herumzudilettieren, selbst dort, wo es in besonderem Maße gemeinsame Interessen angeht? Aus der vielleicht unverbindlichen Ebene privater Kundgebungen — wie auf dem Passauer Studententag — ist es nicht weit zum Uebertritt in die staatspolitische Dimension.

Im beginnenden Wahlkampf zu den bayrischen Landtagswahlen schlossen die „Nationale Sammlung — Deutsche Gemeinschaft mit dem bayrischen .Bauern- und Mittelstandsbund" und dem .Deutschen Volksdienst“ ein Wahlbündnis unter dem Schirmtitel „Bayerischer Rechtsblock'. Führer dieser Koalition von Rechtsgruppen ist der bayerische Landtagsabgeordnete August Hauß- letter, der seit Jahren als ein Politiker von großer Agilität von sich reden gemacht hat. Auf einer in Nürnberg, der Stadt der berühmten .Reichsparteitage', nun soeben abgehaltenen Pressekonferenz entwickelte Haußleiter das politische Programm dieses neuen Rechtsblockes, er fordert .eine deutschbewußte Haltung' der Regierung, keinerlei Bindungen an Ost und West — und dann auch den Anschluß Oesterreichs. Eine wohl zu übersehende Extravaganz? Wir können das nicht behaupten: zu sehr haben wir die Polgen von .Extratouren' gesehen, die auf diese Art begannen. Man wird besorgt, wenn selbst in weltanschaulich konservativen, christlichen Organen Erwägungen über ein künftiges Europa aufgėstellt werden, in dem Deutschland für die kleinen Ostländer die Außenpolitik und einige andere wichtige Agenden zu verwalten habe, während Staaten wie Oesterreich sich auf kulturpolitische Tätigkeiten spezialisieren, also ihre politische Unabhängigkeit zur freundlichen Be- fürsorgung an andere abtreten mögen. — Genug dieser notwendigen Notizen zur Woche, über die Grenzen hinüber eine erneute freundschaftliche, aber bestimmte Erinnerung an eine fällige amtliche Klarstellung der Begriffe durch die Berufenen.

DIE BEGNADIGUNG DES ÖBLARNER PFARRVIKARS PATER FREITAG, der im Widerspruch gegen den (reichsdeutschen) Paragraphen 67 des Personenstandsgesetzes zwei Menschen kirchlich getraut hatte, denen die staatliche Behörde die standesamtliche Trauung verweigerte, löst eine Aktion der österreichischen Katholiken aus, die erst beendet werden kann, wenn das Ziel erreicht ist: die Aufhebung dieses Paragraphen, der mit den Grundsätzen einer echten Demokratie ebenso unvereinbar ist wie mit dem gesamtösterreichischen Volksempfinden. Das Recht des Staates auf die amtliche Registrierung jeder Ehe ist von allen Seiten unbestritten — ebenso unbestritten müßte aber von Seiten aller aufrechten Demokraten das Recht der größten Religionsgemeinschaft unseres Landes sein, ihre Sakramente zu spenden, ohne durch eine außenstehende weltliche Gewalt daran gehindert zu werden. — So achtens- und anerkennenswert die Haltung unseres Herrn Bundespräsidenten ist, der sich in seiner Amtszeit das Vertrauen der österreichischen Katholiken erworben hat, so sehr müssen doch die Absichten des Justizministeriums im Falle dieses Gnadenaktes kritisch unter die Lupe genommen werden: die Aussetzung der Strafe nimmt den Katholiken die Aussicht, auf dem Wege über den Prozeß Freitag beim Verfassungsgerichtshof die Ungültigkeitserklärung des Paragraphen 67 zu erreichen, die ja durch vorangegangene Gerichtsentscheide bereits sehr aussichtsreich schien. Die Begnadigung erlangt so den Anschein, man wolle die österreichischen Katholiken behindern, alle Rechtsmittel auszunützen, die ihnen in der Demokratie zur Verfügung stehen, einfach indem man ihnen den Rechtsweg abschneidet. Die Zeit vor den Wahlen ist denkbar schlecht gewählt für solche Manipulationen. Unsere österreichischen Sozialisten beklagen sich immer wieder über die geringe Teilnahme von Katholiken an ihren politischen Arbeiten — jetzt wäre es Zeit für eine Gewissenserforschung: mit Lippendiensten und vagen allgemeinen Verheißungen einer Loyalität ist den Katholiken nicht gedienL

WÄHREND IN EUROPA EINE GEWISSE ATEMPAUSE EINGETRETEN 1ST, nach dem Sturm auf die EVG, während an der Küste Chinas ein Kleinkrieg zwischen Rotchinesen und den Anhängern Tschiangkaischeks sich entwickelt, wurde in Manila der Verteidigungspakt für Südostasien (SEATO) von den Delegierten von acht Staaten unterzeichnet. Dieser ist sehr elastisch gehalten, er verpflichtet die Signatarmächte nicht zu kriegerischen Aktionen im Falle jedes Angriffes auf eine von ihnen. Seine Bedeutung als ein Riegel zwischen dem vordrängenden Rotchina und Indien, Indonesien und Australien ist jedoch gerade im gegenwärtigen Moment nicht nur als eine politische Demonstration ersten Ranges einzuschätzen. Rotchina wandelt, dafür sprechen nicht zuletzt die Berichte der englischen Labour-Delegation nach ihrer Rückkehr aus Peking, in den Spuren des altchinesischen Imperialismus, der unter anderem die indochinesischen Völker in sein Reich heimholen will. Der wichtigste asiatische Partner der drei weißen Mächte USA, England und Frankreich ist natürlich Pakistan, das möglicherweise, als ein islamitisches Gegenstück zu Spanien in Europa, einen Brückenkopf in Asien sicherstellen soll. Die asiatischen Neutralisten lehnen, unter Führung Indiens, diesen Pakt scharf ab, sie fürchten, dadurch das starke China zu vergrämen. Und vergessen, daß sich dieser Pakt gerade zu ihren Gunsten auswirken muß, wenn er überhaupt Gültigkeit erhält: er ist ganz dazu angetan, den Appetit der chinesischen Eroberer auf jenes Maß zurückzuschrauben, das einigermaßen friedliche Zustände gewähren kann im unübersichtlichen Raum der „kleinen“, aber reichen und für europäische Verhältnisse riesengroßen Staaten Südostasiens, dessen Dschungel immer mehr zu einem Balkan des Fernen Ostens zu werden drohen, In dem sich die Vortrupps der Weltmächte gegenseitig abtasten…

FORMOSA — zu deutsch: .Die Schöngestaltete' — ist gegenwärtig, wenn man dem General der US-Army, Handy, glauben darf, eine .militärische Spinne . Die Spinnen können sich im allgemeinen keiner großen Beliebtheit erfreuen, auch wenn sie noch so schöngestaltet wären. Formosa — seit der Konferenz von Kairo 1943 von den damaligen Alliierten Taiwan genannt — ist bekanntlich das Refugium Nationalchinas und seines Marschalls Tschiangkaischek, der auf der Insel, die halb so groß wie Oesterreich ist, das an staatsmännischer und vor allem militärischer Organisationskraft nachexerziert, was er auf dem großen Truppenübungsplatz China versäumte. Die 170 Kilometer breite Straße von Fukien verhindert, daß von auswärts beigesteuerte Rüstungsgüter auf dunklen Wegen (wie einstmals in China) dem Gegner zukommen. Die fremden Lieferanten haben nicht gespart. So gibt es neuerdings ganz gewaltige Steilfeuerflakbatterien, deren Kaliber — 44,5 cm — vor zehn Jahren respektabler Festungsbeschießung entsprach; Geschütze, deren Explosionskegel angeblich 25 Kilometer umfaßt. Es wäre indes für die angespannte Lage in Südostasien dienlicher, gäbe es Batterien sozialer Wohlfahrt und Sauberkeit, die landeinwärts schössen. Die 50jährige japanische Herrschaft waltete keineswegs so übel, wie es die aus dem letzten Weltkriege entstandene Denkweise darstellte. Man hat die landwirtschaftlichen Möglichkeiten (Reis, Zuckerrohr, Süßkartoffeln, Tee, Ananas und Kampfer) mit der zwei- bis dreimal jährlichen Ernte ebenso in Schwung gebracht wie die industriellen Anlagen für Zement, Aluminium und Schiffsbau. Der natürliche Stausee Morrison versorgt die ganze Insel bis in die entlegensten Ortschaften mit Kraftstrom. Als die japanischen Techniker gehen mußten, wurden wohl vorerst die Chinesen mit Jubel begrüßt; bald aber machte sich das vom Festland bekannte Treiben von abenteuernden Industrierittern geltend, riesige Vorräte, von der U-Boot-Blockade des Krieges lagernd, wurden verschleudert, Maschinen ohne Rücksicht auf die Bevölkerung weggeschafft. Der Aufstand von 1946147 war keineswegs, wie man dies glauben machte, eine kommunistische Revolte, sondern die natürliche Reaktion der Taiwaner, deren Bevölkerung sich in den letzten fünfzig Jahren verdreifachte. Der Lebensstandard sackte ab. Die Preise stiegen. 400.000 Soldaten unter zwei Millionen Einwohnern — die bei dem Aufstand an die 5000 Tote verloren — wirkten bedrückend. Die Berichte der UNNRA- Vertreter und der ausländischen Diplomaten wirkten zuletzt erst, als Tschiangkaischek 1950 nach Formosa fliehen mußte und die Wahrheit jener Nachrichten erkannte: daß es dem allmächtigen Generalgouverneur Tschen Yih in fünf Jahren gelang, was die Japaner durch 50 Jahre Erziehung nicht vermochten — die Bewohner Formosas China zu entfremden. Es wird gut sein — auch im Interesse der 20.000 Katholiken und ihrer drei Apostolischen Präfekturen —, das Kapitel Formosa nicht mit Geschwaderbombern und Steilfeuergeschützen zu beschließen.

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