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RANDBEMERKUNGEN

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TAUGLICH ZUM ÜBERLEBEN! Noch immer strömen täglich Flüchtlinge nach Oesterreich ein. Ihre Versorgung stellt eine große Last für Oesterreich dar. Aber Regierung und Volk haben die Lasten mit aller Selbstverständlichkeit übernommen, ohne viel Aufhebens zu machen. In den ersten Tagen überboten sich die Länder des Westens in Hilfsversprechungen. Tausenden von Ungarn wurde die Einreise in diese und jene Länder zugesagt. Wenn man die Zusageziffern summiert hätte, wäre es notwendig gewesen, noch zusätzlich Ungarn für die Emigration zu werben. Dann ist es still geworden. Zudem hat man die Gelassenheit, mit der Oesterreich seine menschlichen Pflichten erfüllte, offensichtlich falsch gedeutet. Nun scheint es (zumindest bis vor kurzem), daß Oesterreich den gröfjten Teil der Lasten der Versorgung von Zehntausenden von Ungarn selbst übernehmen muß. Das Ausland hat die Ungarn (von rühmlichen Ausnahmen abgesehen) mit symbolischen Gesten versorgt, mit „Empfehlungen“, mit Geldzuwendungen, die angesichts des Umfanges des notwendigen Aufwandes kaum den Charakter von Andeutungen haben. Die Flüchtlinge aufzunehmen, ist man aber nur in wenigen Ländern bereit (die Schweiz hat rühmlich den Anfang gemacht). Da und dort ist man freilich bereit, die Flüchtlinge zeitweilig aufzunehmen. Und was dann? Andere Länder machen — und das ist das Ungeheuerliche — die Aufnahme der dem Inferno Entronnenen vom Ergebnis einer ärztlichen Untersuchung abhängig. Als ob wir an jenem schwarzen Novembersonntag die verstörten Frauen und Kinder am österreichischen Schlagbaum gezwungen hätten, sich einer Taug-lichkeifsunfersuchung zu unterziehen. „Tauglich zum Ueberleben.“ Haben wir die Untauglichen, die alten Männer und die alten Weiblein, die sich kaum auf den Füßen halten konnten, zurückgewiesen? Manche Länder aber brauchen offensichtlich nur (billige) Arbeitskräfte, für die Kohlengruben oder für die Bergwerke. Wohltat wird mit Geschäff kompensiert.

SAISONARBEITSLOSIGKEIT Ist eines jener Schlagworte, die jedes Jahr die Statistiken der Beschäffigungslage begleiten. Auf den ersten Blick hat es tatsächlich den Anschein, als begänne mit jeder Frostperiode ein Anstieg der Arbeitslosigkeit. Es ist aber — wie dies kürzlich der Bundesminister für soziale Verwaltung im Finanz- und Budgefausschuß ausführte — ein Unding, Ende Februar 1956 an die 224.000 Arbeitslose zu verzeichnen (was ist mit den Ausgesteuerten?) — und Ende August 1956 dann bei 65.000 Arbeitslosen zu versichern, die Vollbeschäftigung, sei erreicht. Es ist ein Zeichen mangelnder Invesfitionsplanung und Arbeitslenkung, wenn es vorkommen kann, dafj in einem einzigen Monat — im Jänner 1956 — die Zahl der Arbeitsuchenden um 46.000, das sind 30 Prozent, ansteigt! Nehmen wir vorsichtig blofj zwei Personen zu diesen 46.000 hinzu, dann fallen mit einem Schlag 138.000 Konsumenten aus einer Wirtschaff heraus, die von einer gleichmäßigen Beschäfigungslage Einkauf und Lagerhaltung, damit aber auch Kreditanforderung abhängig macht. Es ist nun einmal keine Vollbeschäftigung, wenn vom Herbst an eine steigende Menge von Menschen als Konsumenten verlorengeht; die Verluste durch Hemmung der Produktion kann keine auch noch so imponierende Sommerhitze ausgleichen. Der Bundesminister hat schon vor langer Zeit — und die Gewerkschaffen sowie das Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau sekundierten 4* für eine stärkere Heranziehung der älteren Arbeitskräfte Stimmung gemacht, und alle zählten die Vorzüge auf, welche diese zum Feiern verurteilten Menschen besitzen. Wie die Kurve der Arbeitslosigkeit zeigt, hat sich praktisch nichts geändert, obwohl man Nachschulprämien gewährte. Man vergaß aber ein Arbeitsvermittlungsgesetz und ein Gesetz zur Organisation der Arbeitsämter — beide längst überfällig! Weifer hat man rechtzeitig verabsäumt, die Arbeitszeit gesetzlich zu regeln. Man sah auf vielen Arbeitsplätzen im Sommer noch um 21 Uhr Menschen arbeiten und Ueberstunden machen: diese fehlen im Herbst und Winter als Leistungsausgleich. Ein Ausbau der produktiven Arbeitslosenfürsorge durch Erhöhung der vorgesehenen Budgetsumme von 36 auf 70 Millionen Schilling ist sehr zu begrüfjen, mufj aber mif gesetzlichen Maßnahmen, wie vorhin aufgezeigt, koordiniert werden. Sonst ist die Heranziehung von Budgetmitteln nicht produktiv, sondern unproduktiv.

DER STELLVERTRETER EDENS. Mif seiner Berufung als — zunächst — interimistischer Leiter der britischen Regierungsgeschäfte sieht sich R. A. Butler zum zweiten Male im seiner politischen Laufbahn vor eine fast unlösbar scheinende Aufgabe gestellt. Das war so vor fünf Jahren, als ihn seine Ernennung zum Schatzkanzler im letzten Kabineft Churchill zum eigentlichen Exekutor der Erbschaft machte, die das Labour-Regime den Konservativen hinterlassen hatte. Wenn der damals drohende Staatsbankrotf abgewendet, das erschütterte Vertrauen in die Währung gefestigt und die Produkfionskraff der Nation neu belebt werden konnte, so war das in entscheidendem Maße Butler zu verdanken, der es verstand, seine in langjährigen Studien geformten volkswirtschaftlichen Theorien mit Zähigkeit und Geduld in die Wirklichkeit umzusetzen. Daß es später zu Rückschlägen in seiner anfangs so erfolgreichen Sanierungsarbeit kam, war wohl auch dem Optimismus zuzuschreiben, mit dem er die bereits zurückgelegten Etappen seines Werkes überschätzte, zum größeren Teil aber den schweren Hypotheken, die dem Staatshaushalt und der gesamten Wirtschaft des Landes durch die Experimente der vorhergehenden Regierung auferlegt worden waren. Die breiten Schichten davon zu überzeugen, daß es dringend notwendig geworden sei, ihre Ansprüche an das Nationaleinkommen und die öffentliche Hand zurückzuschrauben und ihre Arbeitsleistung in Einklang zu bringen mit ihrem Verlangen nach einem stetig steigenden Lebensstandard, bildete ein Problem, dem im schatzamtlichen Wirkungskreis allein nicht beizukommen war. Trotzdem würde es Butler wahr-

scheinlich gelungen sein, dem in der Folge eingetretenen weiteren Verfall der britischen Wirtschaffslage vorzubeugen, wäre er nicht wenige Monate nach dem Regierungsantritt Edens im Zuge eines fast sämtliche Ressorts betreffenden Ministerrevirements von seinem Posten entfernt und als Lord-Siegelbewahrer praktisch kaltgestellt worden. Für einen Mann seiner Kenntnisse, Erfahrungen und Verdienste — er hatte sich schon vor Uebernahme des Schatzamtes in den dreizehn Jahren seiner Tätigkeit als Unter-staatssekrefär im Amt lür Indien und im Außen-amf und anschließend als Unterrichfsminister anerkanntermaßen hervorragend bewährt — war das eine Kränkung, die ihn hätte veranlassen können, sich jeder ministeriellen Verantwortung zu entledigen. Er hat das nicht getan, sondern weiterhin als Mitglied der Regierung die Politik Edens in loyalster Weise gedeckt, obzwar ihm, wie man weiß, diese Politik schon seif geraumer Zeit wachsende Sorgen bereitete. Und nun haf er mit der Stellvertretung des Premiers die wohl schwierigste Mission seines Lebens übernommen. Das Ergebnis bleibt abzuwarten; aber wenn England heute über eine Persönlichkeit verfügt, der es gelingen kann, aus dem Abenteuer des Edenschen Unfernehmens in Aegypten zu retten, was es zu retten gibt, dann ist es sicherlich Richard Austen Butler.

OLYMPISCHER FRIEDE UBER DEN STREITENDEN NATIONEN: Melbourne, November 1956. Die Tragik, die den blauen Himmel dieser Olympischen JSpiele überschattet, wurde wöht keinem der Teilnehmer tiefer und schmerzlicher bewufjt, als den ungarischen Sportlern, die aus Schnee und Eis, aus einem in Tod und Terror versinkenden Lande in den tropischen Sommer Australiens kamen. Alle Nationen, die sich im Zeichen der fünf Ringe zu Melbourne 1956 fanden, sollten dieses Mitspielen der Ungarn, einer der besten Sporinafionen der Erde, als Verpflichtung auffassen: nun endlich den olympischen Frieden hinauszutragen in die Welt, und Frieden zu schaffen. — Gegenüber der ungarischen Wirklichkeit — in Budapest und Melbourne — wirkten die Proteste dieser und jener Nationalkomifees gegen die Teilnahme dieser und jener anderen Nationen als deplaciert; so wie eben der Protest Nasser-Aegypfens gegen die Teilnahme Englands, Frankreichs und Israels. — In den letzten Tagen vor der Eröffnung war Melbourne von Gerüchten über Absagen erfüllt: dann aber kamen doch alle, besser, fast alle. Als besonders erfreulich muf; die Teilnahme der Schweiz, die in letzter Minute ihre Absage rückgängig machle, bezeichnet werden. Die Eidgenossenschaft vertritt in Europa die älteste Verbindung freier Spiele und des Freiheitskampfes der ganzen Nation. — Welche positive Bedeutung diesen Friedensspielen zukommt, nämlich der Entgiftung des von Angst, Mihtrauen und Hah geladenen Weifklimas gerade in sehr kritischen Tagen und Wochen, hat Papst Pius XII. zum Ausdruck gebracht. Der Heilige Vater hat es sicherlich sehr genau überlegt, als er in eben diesen Tagen seine Botschaft an alle in Melbourne versammelten Völker sandte: Sie schliefst mif den Worten: „Für eure friedvollen Wetfkämpfe, für euren fairen Geist und für das Verstehen untereinander, ganz gleich, welcher Rasse ihr seid oderjpus welchem Vaterland ihr kommt, sende Ich Meine besten Wünsche und spende euch den apostolischen Segen.“ Dieser Segen gilt allen Sportlern der Olympischen Spiele. — Da spielten sie nun, da kämpften sie mit Aufbietung ihrer letzten persönlichen Kräfte um den olympischen Lorbeer. Junge Frauen und Männer der Völker dieser Erde. Und beschämen durch ihre worflosen Taten die Politiker und Ideologen, die es noch immer nicht gelernt haben, ihre notwendigen Auseinandersetzungen in andere, friedlichere Formen überzuführen. Das ist die Lehre von Olympia 1956, dessen Friedensfeuer, umlodert von den Flammen kriegerischer Aktionen, auf einer Insel brennt, in Australien, das seinen Namen einst zu Ehren eines Mannes erhielt, der aus Ausfria, aus Oesterreich kam ...

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